Orkan «Kyrill» in Mitteldeutschland Orkan «Kyrill» in Mitteldeutschland: Jetzt beginnt das große Aufräumen

Helmstedt/Magdeburg/dpa. - Ein 40-jähriger Mann überlebte im Bördekreis einender schwersten Stürme der vergangenen Jahrzehnte nicht, weitere 13 Menschen wurden landesweit verletzt, teilte das Innenministerium am Freitag mit. Neben dem Oberharz, der zeitweise wegen gesperrter und blockierter Straßen von der Außenwelt abgeschnitten war, traf die Wucht des Orkans vor allem Wittenberg, wo die zum UNESCO-Welterbe gehörenden Luthergedenkstätten in Mitleidenschaft gezogen wurden.Überall im Land begann am Freitag das große Aufräumen: In nahezuallen Regionen wurden Bäume entwurzelt sowie Dächer beschädigt oder abgedeckt.
Starke Schäden verursachte der Sturm am Stromnetz, dutzendeHochspannungsmasten knickten wie Streichhölzer um, Leitungen rissen. Nach dem fast flächendeckenden Stromausfall am Donnerstagabend, bei dem 250 000 Stromkunden im Dunkeln saßen, mussten auch am Freitag zunächst noch rund 70 000 Haushalte ohne Energie auskommen, vor allem im Landkreis Wittenberg, im Harz und im Norden von Sachsen-Anhalt. Im Tagesverlauf sollten die Schäden nach Angaben der Versorger EnviaM und EON-Avacon weitgehend behoben werden. Der am Abend bundesweiteingestellte Bahnverkehr normalisierte sich am Freitag nur langsam.
Seine zerstörerische Wirkung entfaltete der Orkan vor allem inWittenberg - reihenweise wurden dort Dächer abgedeckt. Von derweltbekannten Schlosskirche, an deren Tür Martin Luther 1517 seine 95Thesen anschlug und die Reformation einleitete, lösten sichGesteinsbrocken. Das Dach des vor dem Lutherhaus befindlichen«Predigerseminars» wurde teilweise abgedeckt, auch das Denkmal derKatharina von Bora, Luthers Frau, wurde beschädigt. Nach Angaben derUnwetterzentrale tobte in der Stadt möglicherweise eine Art Tornado,mit letzter Sicherheit könnten das jedoch nur Augenzeugen sagen.
Fassungslosigkeit herrschte in Groß Rodensleben (Bördekreis), woam Abend ein 40 Jahre alter Mann durch den Sturm ums Leben kam. Diesteinerne Wand einer alten Scheune krachte auf eine angrenzendeGaststätte und begrub vier Menschen unter sich. Drei überlebten dasUnglück schwer verletzt. Bei Osterweddingen im Bördekreis suchte diePolizei am Freitag zunächst vergeblich nach einem seit der Nachtvermissten Mopedfahrer.
Im Oberharz waren Einsatzkräfte im Dauereinsatz, um Straßen vonumgestürzten Bäumen zu befreien. Im Verlauf des Freitag entspanntesich hier die Lage, viele gesperrte Straßen konnten laut Polizeiwieder freigegeben werden. An mehreren Harzflüssen, die nach starkemRegen rasch angeschwollen waren, spitzte sich die Hochwasserlagenicht weiter zu. Nahe Hasselfelde bargen Helfer zehn Schüler und dreiErwachsene einer Wandergruppe, die wegen zahlreicher umgestürzterBäume die Nacht in einer Wanderhütte verbringen mussten.
Bei Magdeburg rettete die Feuerwehr einen Autofahrer, dessen Wagenim Sturm ins Schleudern geriet und zwischen herabhängendenStarkstromleitungen zum Stehen kam. Der Mann musste mehrere Stundenin seinem Auto verharren, weil er andernfalls einen tödlichenStromschlag erlitten hätte. Im Kalibergwerk Zielitz saßen 183 Kumpelrund drei Stunden unter Tage fest, weil sie mit den Förderkörbenwegen des Stromausfalls nicht nach oben fahren konnten.
Der Bahnverkehr kam am Freitag nur schrittweise wieder in Gang,viele Berufspendler kamen so verspätet oder gar nicht zur Arbeit. DieZüge des privaten Anbieters Veolia Verkehr im Nordharznetz fuhrennach Unternehmensangaben wieder weitgehend normal, bei den Fern- undNahverkehrszügen der Deutschen Bahn AG normalisierte sich derZugverkehr zunächst nicht in vollem Umfang.
Die Versicherer konnten zunächst noch keine Angaben zurGesamtschadenshöhe im Land machen. Einen Überblick werde esfrühestens Anfang nächster Woche geben. «Derzeit laufen die Meldungennoch ein», sagte Dieter Roskowetz von den Öffentlichen VersicherungenSachsen-Anhalt (ÖSA). Allein bei den Stromversorgern war vonMillionenschäden am Netz die Rede.
Der Orkan war vom Donnerstagabend an mit Windgeschwindigkeiten vonbis zu 198 Stundenkilometern über das Land gefegt, die höchstenGeschwindigkeiten wurden auf dem Brocken im Harz gemessen. Am Freitagwehte der Wind auf dem mit 1142 Meter hoch gelegenen Harzgipfel «nur»noch mit bis zu 115 Stundenkilometern.

