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Organzucht für die Forschung Organzucht für die Forschung: Biotech-Unternehmen denkt über Ansiedlung in Halle nach

Von Hagen Eichler 08.06.2018, 08:00
Darrick Carter (links) und der Hallenser Thomas Neumann können sich vorstellen, in Sachsen-Anhalt Fuß zu fassen.
Darrick Carter (links) und der Hallenser Thomas Neumann können sich vorstellen, in Sachsen-Anhalt Fuß zu fassen. Hagen Eichler

Halle (Saale) - Über einen Bildschirm flimmert das Schönste, was Sachsen-Anhalt an Kultur und Geschichte zu bieten hat: Weinberge an der Saale, der Magdeburger Dom, eine Dampflokomotive auf dem Brocken. Die Bilder sollen auf das Land aufmerksam machen, und zwar auf der „Bio 2018“ in Boston, der weltgrößten Messe für Biotechnologie.

Für 8.000 Dollar hat die Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt (IMG) hier bescheidene vier Quadratmeter Standfläche angemietet, um Gespräche zu führen. Die Box ist gerade groß genug für einen kleinen Tisch und einige Stühle. Ein US-Unternehmer, der dort Platz genommen hat, kennt Sachsen-Anhalt ziemlich gut - weil er selbst aus Halle stammt: Thomas Neumann, seit 20 Jahren in Seattle im Nordwesten der USA zu Hause und Inhaber eines Biotech-Unternehmens.

Schon vor einem Jahr kam er mit einer IMG-Mitarbeiterin ins Gespräch, damals fand die Messe in San Diego statt. Der 56-Jährige möchte einen Standort in Europa aufbauen. „Und als Hallenser liegt für mich natürlich Halle nahe“, sagt er. Den Weinberg-Campus mit seinen Forschern und Unternehmen hält er für eine gute Umgebung. Aber: Entschieden ist noch nichts. Es kann etwas werden, vielleicht auch nicht. Es hängt vor allem davon ab, ob sich Geldgeber finden.

Neumann ist promovierter Mediziner. Wegen seiner interessanten Doktorarbeit wurde er 1996 an die Universität des Bundesstaats Washington eingeladen, nahe der kanadischen Grenze. Er wurde dort Assistenzprofessor, wechselte in die Wirtschaft und gründete 2012 seine eigene Firma. Mit derzeit 16 Mitarbeitern züchtet er in winzigen Plastikgehäusen Teile menschlicher Organe, der Niere etwa oder von Blutgefäßen. An diesen lassen sich Medikamente testen. „Bei Tierversuchen getestete Medikamente fallen zu 90 Prozent durch, wenn sie am Menschen eingesetzt werden. Der Mensch ist eben keine 90 Kilogramm schwere Ratte“, erklärt Neumann. Seine Produkte sollen weiterhelfen.

Seit vergangenen Sonntag  besucht Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) die US-Ostküste mit den Städten Boston, Philadelphia und New York.

Begleitet wird er von knapp 30 Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft. „Wir wollen ,Türöffner’ für heimische Unternehmen auf dem US-Markt sein sowie für den Standort Sachsen-Anhalt werben“, hatte der Minister im Vorfeld angekündigt.

Gerade in wirtschaftspolitisch nicht einfachen Zeiten sei es von großer Bedeutung, den Dialog mit Partnern fortzuführen und neue Kontakte zu knüpfen.  

Allerdings steht die Reise bisher nicht nur unter einem guten Stern. Das Interesse der US-Unternehmen an Sachsen-Anhalt ist gering. Im Bereich der Wissenschaftskooperation gibt es jedoch Ergebnisse.

So wurde der in Magdeburg entstehende Forschungscampus „Stimulate“ für Medizintechnik offiziell Partner der renommierten Harvard-Universität.

Etwa 20 Patente hält Neumanns Firma nach eigenen Angaben. Im kommenden Jahr werden seine Produkte sogar im All getestet: in der ISS. Viele Astronauten hätten im All Nierenprobleme, die Ursache sei noch unklar, sagt Neumann. Zeit, es herauszufinden.

Schmieder: „Die wollen echte Probleme der Menschheit lösen“

Von einem Produktionsstandort in Halle aus könnte Neumann ohne Zollschwierigkeiten und mit kurzen Wegen Europa beliefern. Ulf-Marten Schmieder, Geschäftsführer des Technologieparks Weinberg-Campus, will dem Ex-Hallenser den Weg zurück in die Heimatstadt bahnen.

„Gleich nächste Woche gehe ich los und spreche Unikliniken und Forschungseinrichtungen an, ob sie an einer Geschäftsbeziehung interessiert sind“, sagt Schmieder nach einem langen Tag mit vielen Messegesprächen. Ihn fasziniert, wie die Biotech-Branche tickt. „Denen geht es nie ums große Geld, oder nicht nur. Die wollen echte Probleme der Menschheit lösen.“

Daheim in Seattle hat Neumann sogar noch einen anderen Ansiedlungs-Interessierten auf Halle aufmerksam gemacht, einen Bekannten aus gemeinsamen Forschertagen. Darrick Carter, in Bayern aufgewachsener Sohn einer deutschen Mutter und eines amerikanischen Vaters, plant ein großes Projekt zum Kampf gegen Krebs. Seine Firma, erzählt Carter, nutze Patente auf zwei Eiweiße, die Krebszellen angreifbar machen. „Die Tumorzellen sind normalerweise wie zusammengeschweißt, Medikamente kommen nicht hinein. Eines unserer Eiweiße öffnet die Tumore. Die schmelzen richtig weg“, erzählt er.

Interesse am Weinberg-Campus: „Meine Frau ist noch etwas skeptisch“

Zehn Millionen Euro braucht der 47-Jährige, um klinische Forschung zu finanzieren. Bei einem Förderprogramm der Europäischen Union habe sein Ansatz es bereits in die zweite Runde geschafft, sagt Carter. Auch er ist interessiert am Weinberg-Campus. Sollte es klappen, würde er mit seiner Familie nach Halle ziehen. „Meine Frau ist allerdings noch etwas skeptisch“, räumt Carter unumwunden ein.

Geschäftsabschlüsse kann Sachsen-Anhalts Marketingfirma an diesem Tag nicht vermelden. Es gehe darum, Geschäftsmöglichkeiten auszuloten, sagt IMG-Chef Thomas Einsfelder. Diese Chance nutzen auch zwei Firmen aus Sachsen-Anhalt, die sich mit eigenen Ständen auf der Messe präsentieren: die Wacker Biotech GmbH, die in Halle Proteine herstellt, sowie das Pharmaunternehmen IDT Biologika aus Dessau. 7.000 Besucher zieht es in die große Halle im Hafengebiet von Boston. Viele absolvieren Gespräche im Halbstundentakt.

Jungunternehmer  Ideen vor:  Willingmann zeigt sich fasziniert

Am Abend treffen sich die Aussteller noch vor einer großen Bühne, um herausragenden Geschäftsideen zuzujubeln. Der Moderator betritt die Bühne wie ein Rockstar, dann stellen Jungunternehmer ihre Ideen vor. Sie erklären, wie sie die Welt verbessern wollen – hinter diesem Anspruch bleibt hier niemand zurück.

Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) zeigt sich fasziniert von der Energie, die durch den Saal wabert. Er träumt von einem Kulturwandel an den Hochschulen. „In Deutschland wollen die meisten Studierenden angestellt werden. Hier wollen sie Unternehmer werden. Davon können wir viel lernen.“