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Nachterstedt Nachterstedt: Abriss der verlassenen Häuser hat begonnen

Von regine lotzmann 31.01.2013, 19:57

nachterstedt/MZ. - Denn schon wird das Zeichen dafür gegeben, dass der Abriss-Bagger mit seiner Arbeit beginnen soll. "Das ist ein anstrengender Tag für uns, da haben wir viel Arbeit und Mühe reingesteckt", sagt Uwe Steinhuber, Sprecher des Bergbausanierers LMBV, als am Donnerstag der lange geplante Rückbau des direkt am Concordia-See gelegenen Wohngebietes "Am Ring" losgeht.

Seit dreieinhalb Jahren stehen die Häuser leer. Seit dem Erdrutsch von Nachterstedt (Salzlandkreis), bei dem drei Menschen starben. Vier Millionen Kubikmeter Erdreich stürzten in den Concordia-See. Nun soll das letzte Zeugnis dieses Unglücks verschwinden. Damit der Weg frei ist für die Sanierung der Abbruchkante.

Und schon greift der Bagger nach dem Wellblechdach eines kleinen Vorbaus am Haus Nummer 17b, lässt eine Glasscheibe splittern, trägt die hölzernen Wände ab. 100 Meter entfernt, hinter dem Sperrzaun, der das Betreten des Geländes verwehrt, steht Hans Fraust. Die Hände tief in den Taschen seiner roten Wetterjacke. "Die Veranda ist schon weg", sagt er und starrt auf das Gebäude, das nur ein Stück weit weg von seinem eigenen Zuhause steht. Seinem ehemaligen Haus, um genau zu sein. Denn auch Fraust hat - wie seine einstigen Nachbarn, die seit der Schreckensnacht das Wohngebiet nicht mehr betreten durften - inzwischen ein neues Zuhause.

Dass der 65-Jährige hierher gekommen ist, sich umringen lässt von Kamerateams und Fotografen, diese Entscheidung hat er sich nicht leicht gemacht. "Man möchte wegrennen, möchte losgehen, gar nichts davon sehen." Er zuckt mit den Schultern und blickt auf das Haus, das der Bagger zerfrisst. Sieht zu, wie die Schaufeln an dem braunen Putz kratzen, eine Dachrinne fällt, die ersten Mauersteine und ein Stück vom Dach im Container verschwinden. Doch irgendwie ist der Nachterstedter auch froh, dass die Siedlung endlich abgerissen wird, ihn nicht mehr an die schwersten Stunden seines Lebens erinnert. "Keiner von uns kann sich mehr vorstellen, auch nur eine Nacht in seinem alten Haus zu schlafen. Da würde man die schrecklichen Momente nie wieder aus seinem Kopf heraus kriegen, keine ruhige Minute mehr haben."

Siegfried Hampe versteht das. Der Ortsbürgermeister von Nachterstedt, der sich zu Fraust an den Sperrzaun gestellt hat, schaut auch mit gemischten Gefühlen zu. "Natürlich ist das komisch, aber das ist eine Sache, mit der wir uns in Nachterstedt abgefunden haben", erzählt er. Auch Hampe freut sich, dass die Arbeiten nun beginnen.

Sie sollen bis April abgeschlossen sein. Bis dahin werden von sieben Mitarbeitern einer Bernburger Spezialfirma zwölf Doppelhäuser und 48 Nebengebäude abgebrochen, rund 5 400 Tonnen Bauschutt entsorgt.

"Mit welchen Häusern es nach dem Abriss der Nummern 17 und 18 weitergeht, hängt von der Witterung ab", erklärt LMBV-Projektmanager Dirk Henssen. Bleibe das Wetter wie jetzt, werde nahe der Böschung weitergemacht. "Weil die Ausschau nach Rissen in diesem Bereich besonders wichtig ist, darf da kein Schnee liegen", betont Henssen.

Die bergrechtlich genehmigten Arbeiten unter Aufsicht von Landesbergamt und LMBV werden schließlich streng überwacht. Von Riss- und Böschungsbeobachtern, seismischen Bewegungsmeldern, GPS-Messsystemen, der hydrologischen Überwachung der Grundwasser-Messstellen und Mitarbeitern der Bergwacht.

Zudem haben Experten eine Sicherheitslinie gezogen, bis zu der das Abrissteam mit seinen Geräten agieren darf. Die dahinter liegende Haushälfte, die seit Jahren direkt auf der Abrisskante steht, und ein weiteres Haus können deshalb erst später abgerissen werden. "Mit einem Langarmbagger, der das nach hinten zieht", kündigt Henssen an. "Und wenn dabei ein Ziegel nach unten fällt, dann ist das eben so", sagt der LMBV-Mann, der sich wundert, dass das halbe Haus nach dreieinhalb Jahren noch immer nicht abgestürzt ist. Und so freut er sich, dass es erst vorletzten Freitag einer Spezialfirma gelungen ist, den Heizöltank dieser Haushälfte leerzupumpen, aus ihm rund 2 000 Liter Heizöl zu bergen.

"Der Abriss der Häuser geht übrigens nur bis zur Kellersohle", erklärt LMBV-Sprecher Uwe Steinhuber. "Die Keller müssen dann später raus." Danach werde durch einen Gutachter entschieden, wie es weitergeht, damit die Böschung standsicher wird.

Doch zunächst wird am Nachterstedter Ufer erst einmal Baulärm an der Tagesordnung sein. Egal, wie das Wetter ist. Selbst ein schmutziggrauer Himmel voller Regenwolken und ein eisiger Wind, der den Bauleuten an Sicherheitswesten und Helmen zerrt, kann daran nichts ändern.