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MZ-Serie Adel in Sachsen-Anhalt MZ-Serie Adel in Sachsen-Anhalt: Die Bio-Grafen von Möckern

Von Margit Boeckh 23.08.2015, 11:11
Auf Gut Möckern wird seit anderthalb Jahrzehnten biologischer Anbau betrieben, weshalb Hans-Dietrich Graf vom Hagen - hier mit Frau Angelika - auch als „Bio-Graf“ bekannt wurde. Er hat Landwirtschaft von der Pike auf gelernt.
Auf Gut Möckern wird seit anderthalb Jahrzehnten biologischer Anbau betrieben, weshalb Hans-Dietrich Graf vom Hagen - hier mit Frau Angelika - auch als „Bio-Graf“ bekannt wurde. Er hat Landwirtschaft von der Pike auf gelernt. Andreas Stedtler Lizenz

Möckern - Das Tischgebet ist Tradition: „. . . und segne, was du uns bescheret hast. Amen.“ Heute wie jeden Tag, wenn sich die vom Hagens mittags versammeln. Drei Generationen sitzen da am Tisch. Hans-Dietrich Graf vom Hagen und seine Frau Angelika, Sohn Johann Christoph mit Frau und drei Enkeln, das Jüngste noch im Kinderwagen. „Ich genieße das sehr“, schaut Mutter Angelika zufrieden über die Runde und teilt Erbseneintopf aus. Der gemeinsame Mittagstreff ist möglich, weil der Sohn inzwischen Gut Möckern übernommen hat, seine Frau sich ums Ökonomische kümmert und beider Büros gleich nebenan sind. Tischgespräch? Natürlich die Ernte. Beim Getreide gab’s Einbußen. Jetzt hofft man auf Ausgleich durch Mais und Rüben.

„Wir sind ja buchstäblich steinreich“, bezeichnet der Senior bildhaft, was den Landwirten im Vorfläming zu schaffen macht: die sandigen, „steinreichen“ Böden, der spärliche Regen an der Abseite des Harzes. Doch mit der Natur sind die Altvorderen schließlich auch fertig geworden. Die Rückkehr nach Möckern jedenfalls war für die Hagens keine Frage. Zurück auf die Scholle, die Generationen Heimat war und ist.

Von Amerika und Chile zurück nach Möckern

Aufgewachsen inmitten der väterlichen Landwirtschaft im sächsischen Delitzsch, hat Hans-Dietrich vom Hagen seit je Landluft geschnuppert. Auch bei Besuchen auf dem Gut der Großeltern in Möckern. Fröhliche Kindheitserinnerungen des 1939 Geborenen. Bis hin zu jenem Tag Anfang Mai 1945: „Da rückten die Russen auf Delitzsch an und wir sind mit dem Ruderboot über die Mulde auf und davon. In Schleswig-Holstein startete die Familie den Neuanfang. Unser Vater war irgendwann auch aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekommen und hat wieder eine Landwirtschaft auf die Beine gestellt.“

Sohn Hans-Dietrich hatte noch mehr im Sinn: „Ich wollte selber etwas schaffen.“ Es trieb ihn nach Amerika, Skandinavien, Persien, schließlich Chile, wo er Wein und Äpfel anbaute. „Bis dann dieser Anruf von meiner Frau kam: ,Komm sofort heim. Die Mauer ist gefallen!’ Ich hab’ sofort den Fernseher angemacht. Die nächste Maschine war meine.“ Heim ging es erst mal zur Familie im Westfälischen. Frau Angelika, die er noch in Deutschland geheiratet hatte, war wegen der Kinder dort geblieben.

Die Familiengeschichte der Grafen vom Hagen, der Freiherren vom Hagen und der Herren von dem Hagen hat gemeinsame Wurzeln. Seit Anfang des 12. Jahrhunderts ist das ritterliche Geschlecht der von dem Hagen in der alten Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen urkundlich nachweisbar. Der älteste bekannte Ahnherr, Ernst de Indagine, saß als Lehnsherr im 12. Jahrhundert auf der nördlich von Mühlhausen gelegenen Haynerburg, später Rüdigershagen und erbliches Lehen. Die Familie hat sich weit verzweigt. Stammvater des gräflichen Zweiges vom Hagen wurde Christoph Friedrich Wilhelm (1754 – 1813), der neben Schloss Möckern auch die Güter bei Mühlhausen und im Eichsfeld bewirtschaftete. 1803 erhob ihn König Friedrich Wilhelm III. in den erblichen Grafenstand. Das Gros der Güter blieb bis 1945 im Familienbesitz.

Die Münchhausen sind ein ursprünglich in Niedersachsen, später auch Sachsen-Anhalt beheimatetes Adelsgeschlecht, das 1183 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Mitte des 13. Jahrhunderts teilte es sich in eine schwarze und eine weiße Linie, die beide noch bestehen. Das ehemalige Prämonstratenser-Chorherrenstift Leitzkau wurde im 16. Jahrhundert durch einen Hilmar von Münchhausen erworben. Berühmtheit erlangte Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720 – 1797) als „Lügenbaron“. (mbo) Weitere Informationen unter www.hagenscherfamilienverband.de und www.gotha-handbuecher.de.

1940 als Freiin von Münchhausen geboren, hatte sie als Kind Bombennächte im Keller des Münchhausen-Schlosses Leitz-kau erlebt. War von dort mit den Großeltern im Mai 1945 gen Westen geflohen. Über abenteuerliche Stationen hat sich auch Angelika Gräfin vom Hagen retten können. War – Zufall oder Fügung? – auch nach Chile geraten. Das spanisch rollende „R“ klingt bei der studierten Außenwirtschaftsökonomin bis heute durch. Ihren Mann hat sie allerdings in Hamburg kennengelernt. Zufall auch das. Genauso wie die Bindung zur angestammten Region im damals noch so fernen Osten.

Warum es Hans-Dietrich Graf vom Hagen und seine Familie zurück nach Möckern zog, lesen Sie auf Seite 2.

Beim Pfarrer aufgenommen

Zwischen den ursprünglichen Familiensitzen Möckern und Schloss Leitzkau liegen nur wenige Kilometer. All die Erinnerungen, die Orte, die nun endlich wieder erreichbar waren, führten zu dem kurzen Entschluss „noch Weihnachten 1989, vom Baum weg, um vier Uhr früh hinzufahren, um all das wiedersehen zu können“, schildert Hans-Dietrich Graf vom Hagen jene emotionsbewegte Reise, an deren Ende sie über Leitzkau („Heute sitzt dort die Stiftung Dome und Schlösser Sachsen-Anhalt“) nach Möckern gelangten. „Das war eine LPG, eine sozialistische Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Ziemlich desolat zum DDR-Ende.“ Aufgenommen wurde die Hagen-Familie beim Pfarrer. „Wir wussten ja erst mal nicht, wie es weitergeht.“ Doch dann trafen sie auf den Vorsitzenden der LPG, die auf dem ehemaligen Hagen-Gut wirtschaftete. „Der war auch als Flüchtling hier gelandet. Da gab es gleich Verständnis“, schildert Hans-Dietrich vom Hagen und erinnert sich lächelnd an die Begrüßung, bei der er mit „Kollege Graf“ angeredet wurde. „Zusammen haben wir uns dann bei einer Rundfahrt die Felder angesehen. Weil ich gutes Kartenmaterial von den Großeltern hatte, kannte ich die Schläge ja genau.“

„Aus Möckern wurde dann mein dritter Neustart“, erzählt Graf vom Hagen. Erleichtert habe diesen vor allem, „weil die Leute im Dorf auf uns zukamen. Vielen waren die Großeltern in guter Erinnerung als Arbeitgeber und Nachbarn. Das war unsere Eintrittskarte.“ Unvergessen die rührende Szene, als der frühere Stellmacher vom Gut auf Hans-Dietrich zukam mit den Worten: „Junge, bist du groß geworden.“ Die Hagens sind über dieses herzliche Willkommen im Ort tief dankbar. Gemäß der gesetzlichen Bestimmungen konnte man nur einen Teil des einst 3 000 Hektar umfassenden enteigneten Besitzes zurückkaufen. Das zugehörige Schloss wollten sie nicht – „Da hätten wir unser ganzes Geld reinstecken müssen.“ Der schön restaurierte Barockbau beherbergt heute eine Schule. Die Grafenfamilie wohnt im einstigen Schafstall. Den hat sie sich behaglich ausgebaut. „Auf dem Gut haben wir auf Teamwork gesetzt“, sagt der Graf. Was sich auszahlt: „Unsere langjährigen Mitarbeiter sind eher Partner, dem Betrieb eng verbunden.“

Möckern bleibt Heimat

Auf Möckern wird Bio-Anbau betrieben. „Unser Sohn hat Agrarökonomie in England studiert. Er arbeitet mit Passion im Wald und auf dem Acker, er hat sein Hobby zum Beruf gemacht“, sehen die vom Hagens die Nachfolge gesichert. „Auch für unsere Töchter, die mit ihren Familien vorübergehend im Ausland leben, ist Möckern ganz klar die Heimat“, strahlen die Eltern, die sich ehrenamtlich unter anderem bei den Johannitern, im Roten Kreuz und in der Altershilfe engagieren. Bliebe noch die Sache mit dem „Kollegen Graf“? „Nun ja“, befindet Hans-Dietrich Graf vom Hagen nüchtern, „der Adelstitel ist heute nur Bestandteil des Namens. Viel wichtiger ist uns die Verpflichtung gegenüber unseren Vorfahren. Dass wir sie weitergeben an die nächsten Generationen. Tugenden wie Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, keine Arroganz. Unsere Kinder sollen das weiterleben.“ (mz)

Wohnhaus der Familie und Gutsverwaltung sind in einem ehemaligen Schafstall untergebracht.
Wohnhaus der Familie und Gutsverwaltung sind in einem ehemaligen Schafstall untergebracht.
Andreas Stedtler Lizenz