MZ-Nebenjob-Serie - Teil 6 MZ-Nebenjob-Serie - Teil 6: Schuften im Eisschrank
ALSLEBEN/MZ. - Draußen ist es stockdunkel, als der Wecker klingelt. Ich stehe im Bad und schaue hinaus. Kein einziges Licht brennt in der Wohnsiedlung. Der Rasierpinsel bleibt trocken. Keine Zeit mehr. Schließlich will ich nicht unpünktlich sein. Schnell ein Espresso und ab ins Auto. In einer halben Stunde muss ich in der Alsleber Niederlassung der Firma Bofrost sein.
Um 4 Uhr erwartet mich dort der Lagerist. Kein einziges Auto kommt mir um diese Zeit entgegen. Alsleben (Salzlandkreis) ist menschenleer. Ich bin zehn Minuten zu früh. Das Firmengelände ist hell erleuchtet. Die Lieferfahrzeuge mit den Kühlkoffern und der Firmenwerbung stehen in einer langen Reihe am Lagerhaus. An der Zufahrt zum Gewerbegebiet biegt ein Auto ein und fährt zum Tor der Firma. Ein Mann steigt aus, öffnet das Tor und fährt auf das Gelände. Ich folge ihm. Er gibt mir ein Zeichen, mein Auto abzustellen.
"Ich bin Thomas", reicht mir der Mann die Hand. Thomas Bußdorf, wie ich auf Nachfrage erfahre. Er ist der Lagerist - und recht wortkarg. Aber auch ich mag so früh noch nicht reden. Ich trotte ihm hinterher ins Gebäude. Für eine Schicht werde ich bei Bofrost Lagerluft schnuppern. Ich weiß nur, dass es kalt sein wird. Eiskalt, wie ich erahne.
"Ziehen sie sich eine warme Jogginghose drunter und einen warmen Pullover an. Auch eine warme Mütze brauchen sie", hatte mir Niederlassungsleiter Lars Brabandt Tage zuvor am Telefon gesagt. Watteanzug und Handschuhe würde ich erhalten. Thomas Bußdorf taxiert mich von oben bis unten. "XXL müsste dir passen", landet er einen konfektionstechnischen Volltreffer und holt einen dunkelblauen Watteanzug aus dem Schrank. Mittlerweile trifft ein zweiter Lagerist ein. "Stefan Ripka", stellt er sich vor. Wir ziehen uns an. Ich fange an zu schwitzen. "Nicht den Helden spielen, wer friert, geht raus und wärmt sich auf", erklärt mir Bußdorf eine wichtige Regel für die Arbeit bei minus 28 Grad. In der Hand hat er 24 Listen, von jedem Verkaufsfahrer eine.
Aufgelistet ist, was jeder am Vortag verkauft hat. Das müssen wir im Lager zusammenstellen, damit die Fahrer ihren Grundbestand an Waren wieder auffüllen können. Hört sich simpel an. Wir stiefeln los. Ripka drückt den Hebel der Lagertür auf und sofort umfängt uns Kälte - bittere Kälte. Ich schaue auf eines der Thermometer an einem Regal. Tatsächlich: Das Quecksilber endet bei 28 Grad. Schlagartig kriecht mir die Kälte den Rücken hoch, wo ich doch eben noch geschwitzt habe. Ich muss mich irgendwie bewegen, sage ich mir.
Gar nicht so einfach. Die beiden Lageristen erklären mir erst das System in den Regalen, die man mit großen Handrädern verschieben kann, und die ich mir viel größer vorgestellt habe. Dort lagern gefrorene Reibekuchen, Kartoffelklöße, Suppen, Gemüse, Pommes, Braten, Fisch und, und, und. "Gemüse ist grün, Kartoffel gelb, Fisch blau", zeigt Ripka auf die Packungen und gibt mir so eine grobe Orientierung. Ich schaue verdutzt auf Plastikflaschen mit gefrorener gelber Flüssigkeit. Es gibt tiefgefrorenen Orangensaft, geht mir durch den Kopf. Jedes Produkt hat eine mehrstellige Artikelnummer. Die steht auf den Packungen, auf den Kartons und an den Regalfächern.
Bußdorf gibt mir eine der Listen, schiebt mir einen Rollwagen mit mehreren Plastikfächern heran und ich lege los. Was heißt loslegen? Ich irre durch die Regale und taste mich durch junge Erbsen, Griechischen Salat und Broccoli-Auflauf. Mein Part sind wohl die Beilagen. Bußdorf streift durch das Eisregal. Was heißt streift? Er greift gezielt in die Kartons. Schnell füllt er den ersten Rollwagen. Wo waren die Reibekuchen? Ich finde sie und schaue auf die Packung. Das sind doch Kartoffelpuffer, denke ich mir und beginne, nach Eierstich und Kroketten zu fahnden. "Da vorn ist Konsum, bei mir ist Intershop", hält mich Ripka zurück. Ich bin in seinem Revier. "Ich habe Rehbraten, Fisch, nur edle Sachen", lacht er und ich sehe, wie sich sein Atem zu Reif verwandelt. "Kartoffeln und Gemüse gibt es überall", zeigt der Intershop-Lagerist auf die Regale, zu denen sich Bußdorf schon wieder einen neuen Rollwagen zieht.
Ich flitze los. Aber jetzt hält mich Bußdorf fest. "Mach langsam!" Es ist schlecht, wenn Ware falsch zusammen gestellt ist und die Fahrer das beanstanden. Das, so erklärt er mir, hält später viel mehr auf. "Mit der Zeit findest du dich mehr und mehr zurecht", macht er mir Mut. Das stimmt. Mit etwas mehr Gelassenheit flutscht die Arbeit besser. Mittlerweile finde ich die Reibekuchen auf Anhieb und weiß so ungefähr, wo ich gewürfelte Zwiebeln suchen muss. Nach zweieinhalb Stunden fahren wir den letzten gefüllten Wagen in die Reihe.
Komisch, die Kälte merke ich kaum und es sind schon Stunden vergangen. Ohne jedes Tageslicht habe ich jegliches Gefühl für die Zeit verloren. Aber nicht für den Raum. Ich weiß schon viel besser Bescheid zwischen Konsum und Intershop. Als wir das Lager verlassen, schlägt uns warme Luft entgegen. Draußen scheint die Sonne. Warm soll es heute werden. Wir gehen in den Aufenthaltsraum der Lageristen. Ripka kocht Kaffee. Wir packen das Frühstück aus. Als Dessert gibt es Eis. Was auch sonst! Ripka holt es aus einer Truhe.
Die beiden Männer sind Bofrost-Urgesteine und schon lange dabei, Bußdorf, 49 Jahre alt, seit 1994. Früher war er Verkaufsfahrer, seit zwei Jahren arbeitet der gelernte Zootechniker nach einer Knieoperation im Lager. "Das Treppensteigen zu den Kunden, das ging nicht mehr", sagt er. Bei Ripka war es anders. Er hat im Lager eine Zeit ausgeholfen. Die Arbeit gefiel ihm, er blieb. Das Geld stimmt. Gezahlt werde nach Tarif. Und das zeitige Aufstehen, daran könne man sich gewöhnen. Dafür sei früher Feierabend. Außer an dem Tag, wenn die Lieferung kommt und das komplette Lager aufgefüllt wird. "Dann arbeiten wir bis 17 Uhr", sagt Ripka. Und heute ist so ein Tag.
Draußen in der Halle trudeln nach und nach die ersten Verkäufer ein. Sie lassen sich ihre Rollwagen aus dem Lager bringen, checken ihre Ware nach den Listen und bringen sie in die Fahrzeuge. Zehn Minuten haben sie dafür Zeit. Nichts darf antauen. Und draußen hat das Thermometer die 20 Grad überschritten. Beanstandungen gibt es kaum. Selbst nicht bei den Wagen, die ich mit gepackt habe. Das beruhigt mich. Dann geht es für die Fahrer auf Tour, für manchen von ihnen bis in den Harz und in die Altmark. Jetzt den ganzen Tag auf die Straße? Dann lieber zurück in die Bofrost-Arktis.
Aber erst wird der große Laster mit 14 Tonnen Ware entladen. Auch das muss schnell gehen. Bußdorf prüft die Ware, Ripka fährt die Paletten ins Lager. Ich kann nur handlangern, schneide mit dem Messer die Schutzfolie von den Kartons. Die richtige Arbeit beginnt noch vor dem Mittag. Das Lager ist fast zugestellt, alles muss jetzt in die Regale gepackt werden. Diesmal wird es körperlich wesentlich anstrengender. Vorteil: Die Kälte spürt man kaum.
Für mich ist die Schicht vorbei. Ich verabschiede mich von meinen beiden Mitstreitern Ripka und Bußdorf und hoffe, ihnen wenigstens eine kleine Hilfe gewesen zu sein. "Hat Spaß gemacht", sage ich ihnen und bin allerdings nicht sicher, ob sie mir das glauben. Aber es stimmt. Und das Schöne ist: Ich habe nach der Arbeit sogar noch was vom Tag. Aber erst nach einem kleinen Nickerchen. Denn die Wärme, die mich draußen umfängt, macht plötzlich ganz schön müde.