Mitteldeutsche Zeitung Mitteldeutsche Zeitung: Gegen den Strom
Halle (Saale)/MZ. - Er ist gegen den Strom geschwommen. Oder geflogen. Aber dann stimmt ja das Bild nicht mehr. Gleich wie, Heinz Kiegeland hört es nicht gern, etwas Besonderes zu sein. Aber so ist es nun mal: Während sich in zwei Jahrzehnten deutscher Einheit ganze Heerscharen von Westdeutschen anschickten, Spitzenpositionen in ostdeutschen Unternehmen einzunehmen, ist Kiegeland in umgekehrte Richtung gegangen. "Er ist eine der - leider nicht sehr häufigen - Karrieren eines Ossis, der sich im Westen voll durchgesetzt hat", sagt Prof. Alfred Neven DuMont, der Verleger und Aufsichtsratsvorsitzende der Kölner Verlagsgruppe M. DuMont Schauberg.
Ein Lob zum Abschied. Heinz Kiegeland geht, 68-jährig, in den Ruhestand. Das Ende eines Weges, der vom gelernten Drucker bis an die Spitze der Geschäftsführung der Verlagsgruppe führte. "Hätte mir in den 80er Jahren jemand eine solche Entwicklung prophezeit, ich hätte ihn für verrückt erklärt", sagt der Hallenser.
Klar, die Wende war noch nicht in Sicht, und Kiegeland lebte das Leben eines ganz normalen, im Beruf versierten DDR-Bürgers. Es ging aufwärts im Druckhaus der "Freiheit". Der Meister für Druck und Flachdruck wurde Bereichsleiter, dann Produktionsbeauf- tragter, dann Produktionsleiter. Und dann geschasst. Die Stasi bescheinigte ihm: "Politisch untragbar." Alle Funktionen waren futsch, die Versetzung in die Stadtdruckerei folgte.
Die Wende brachte Kiegelands Comeback. Er kehrte ins Stammhaus zurück. Gefragt, worauf er besonders stolz ist, kommt die Antwort ohne Zögern: "In geheimer Abstimmung haben mich 90 Prozent der Kollegen zum Geschäftsführer gewählt. Das bewegt mich noch heute." Später, als die Partnerschaft mit dem Kölner Verlagshaus Konturen annahm, bekam der basisdemokratische Akt seinen juristischen Stempel: Kiegeland wurde zum Geschäftsführer der Mitteldeutschen Druck- und Verlagshaus GmbH bestellt.
Das große Pendeln zwischen Halle und Köln begann. Am Ende, so haben es Findige ausgerechnet, soll Kiegeland 83 Tage in 7 000 Metern Höhe zugebracht haben. Von 2002 bis Anfang 2009 als Sprecher der Gruppengeschäftsführung. Der ranghöchste Dienstposten im Unternehmen. "Und das hat er großartig gemacht und sich wirklich Verdienste erworben", urteilt heute Prof. Alfred Neven DuMont.
Wie geht das, wenn man doch "nur" Drucker gelernt hat? "Das Entscheidende ist das Gespür für Menschen. Man muss es schaffen, Vertrauen aufzubauen", sagt Kiegeland. Er sei mit einer gehörigen Portion Respekt in die westdeutschen Führungsetagen gegangen, habe aber schnell gemerkt, dass auch dort nur "mit Wasser gekocht wird".
Fachlich war der Ingenieur Kiegeland, was die Technik betraf, ohnehin kaum zu schlagen. Und als Anfang der 90er innerhalb eines Jahres in Halle die neue Druckerei förmlich aus dem Boden gestampft wurde, machte der Mann wohl auch seinen Crash-Kurs in Sachen ausgebufften Verhandelns. "Da habe ich viel an Cleverness gelernt. Das kam mir später zugute." Kiegeland hat im Verlauf seiner Manager-Jahre so manchen geschäftlichen Deal zum Nutzen des Unternehmens eingefädelt. Und mancher glaubt, dass ihm dabei auch seine Art zugute kam. "Kein Freund großer, aber ein Mann klarer Worte", heißt es in Kollegenkreisen. "Den Heinz", sagt einer "den konnte man einfach nicht missverstehen".
Anfang 2009 konnte Heinz Kiegeland auf einem Neujahrsempfang verkünden, dass das Verlagshaus 2008 eines der besten Ergebnisse seiner Geschichte erwirtschaftet habe und gut gewappnet sei, um dem "Wind von vorne" zu trotzen. Gelegenheit für ihn, ein wenig kürzer zu treten. In diversen Beiräten und als Geschäftsführer im Berliner Verlag gab es freilich genügend zu tun. Nun also der Ruhestand. Angst vor der großen Langeweile? Kiegeland lacht. "Meine Zeit wird gewiss nicht reichen, allein, wenn ich nur an die vielen Ehrenämter denke." Außerdem gelte es, vernachlässigte Freundschaften wieder zu pflegen.
Sollte der Drucker, aus dem ein Manager wurde, vorhaben, einst seine Memoiren zu schreiben, müssten sie mit diesem Satz beginnen: "Mein Weg zeigt, was Menschen möglich ist, wenn sie sich frei entwickeln können."