Mitja-Mord Mitja-Mord: Die zwei Gesichter des Uwe K.
Leipzig/MZ. - Er wirkt unbeteiligt, als er von sechs Justizbeamten in den Saal geführt wird und das Blitzlichtgewitter der Medien beginnt. Den Blick in dutzende Kameras meidet Uwe K. Seine ersten - und einzigen - Worte kurz nach Prozessbeginn sind kaum zu verstehen: Maurer aus Schkeuditz, geschieden. Viel mehr hören die rund 100 Zuschauer nicht von dem hageren Mann, dem der Mord an dem neunjährigen Mitja aus Leipzig vorgeworfen wird.
Was sie hören, sind wenig später Berichte über die zwei Seiten des Mannes, der seit 1982 fünfmal wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt wurde. Da ist Oberstaatsanwältin Claudia Laube, die von "verachtenswerten" Motiven "auf niedrigster Stufe" spricht. Uwe K., klagt sie an, sei am 22. Februar an der Straßenbahnhaltestelle in Leipzig-Stahmeln auf Mitja getroffen, habe sich entschlossen, ihn zu missbrauchen. Mitja folgte dem Unbekannten in dessen Wohnung. Dort habe K. in vergewaltigt und gedrosselt, ihm den Mund zugehalten, als er schrie. Und ihn dann getötet, damit die Sexualstraftat nicht entdeckt wird.
Die Staatsanwaltschaft strebt ebenso wie die Anwältin von Mitjas Eltern für K. lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung an. "Die Sicherungsverwahrung steht im Raum", räumt Verteidiger Malte Heise ein. Seinem Mandanten, betont er aber, sei es nach seiner letzten Verurteilung 1998 und einer Sexualtherapie gelungen, bis zu dem Mord lange ein sozial angepasstes Leben zu führen.
Heise bemüht sich, ein anderes Bild von K. zu zeigen. Der 43-Jährige sei von der Öffentlichkeit vorverurteilt worden, kritisiert er. "Der Angeklagte ist kein Killer. Der Angeklagte ist auch keine Bestie." Er schäme sich sehr und "entschuldigt sich aus tiefstem Herzen" insbesondere bei Mitjas Eltern - "im Wissen, dass er eine Entschuldigung nicht erwarten darf". Immer wieder bittet der Verteidiger darum, K.s Lebensumstände zu berücksichtigen. Etwa, dass er selbst als Sechsjähriger missbraucht und als Neunjähriger vergewaltigt wurde. Dass Bekannte ihn als "sonst gutmütig, liebenswürdig und ruhig" bezeichnen. Heise nennt den Maßregelvollzug in einer psychiatrischen Klinik, den Alkoholentzug, der 2000 "übereilt" abgebrochen worden sei, die 2004 beendete Sexualtherapie, deren Fortsetzung der Therapeut für nicht notwendig gehalten habe. Er schildert K.s Ende 2006 gescheiterte Beziehung zu seiner neuen Lebensgefährtin, dessen erfolgloses Bemühen um ein Umgangsrecht für die 2003 geborenen Tochter. "Das stelle für den Angeklagten eine enorme Belastung dar." Im Februar 2007 sei er - vom Job beurlaubt - "völlig frustriert" gewesen. Für Mitja ein tödliches Verhängnis.
Fast minutiös schildert der Verteidiger, was am 22. Februar passierte. "Die Aktenlage ist glasklar, er wäre auch ohne Geständnis überführt worden", sagt Heise. Uwe K. sei auf dem Heimweg aus der Straßenbahn gestiegen, weil ihm nach zwölf Gläsern Bier übel wurde. Er traf Mitja. Der Junge selbst habe K. angesprochen. Auf der gemeinsamen Weiterfahrt entstand in der Straßenbahn das Fahndungsbild, auf dem Mitja neben seinem Mörder sitzt und lächelt.
In der Wohnung von K. habe der Angeklagte weiter getrunken, während der Junge vor dem Fernseher saß. Am Abend habe er Mitja im Schlafzimmer missbraucht und getötet. Eine Nacht später brachte der Schkeuditzer die Leiche des Jungen mit einem Handwagen in seine Gartenlaube. Ansätze, sie im Garten zu vergraben, gab er auf. Während die Polizei mit mehreren Hundertschaften nach K. suchte, versteckte sich der 43-Jährige in einer leer stehenden Laube nahe seines Gartens. In der Nacht zum 1. März stürzte er sich nach einem ersten missglückten Suizidversuch in Schkeuditz vor eine Straßenbahn.
Suizidgedanken, glaubt Seelsorger Herrmann Göthel, gibt es jetzt nicht mehr. Göthel hat oft mit dem Angeklagten geredet - nur über die Tat nicht. Die hatte K. bislang auch den Ermittlern nicht erklärt. "Ihm fehlt es an Kraft und emotionaler Stärke, sich dazu selbst zu äußern", sagt sein Anwalt.
Mitjas Eltern erfahren all das nur über ihre Anwältin und die Medien. "Insbesondere die Mutter fürchtet, es nervlich nicht durchzustehen, dem Angeklagten gegenüberzutreten", sagt deren Anwältin Ina Alexandra Trust. An einem geheim gehaltenen Ort hoffen die 50-Jährigen, die sieben weitere Kinder haben, "dass alles bald vorbei ist".