Mikrozensus Mikrozensus: Der Daten-Verweigerer
WITTENBERG/MZ. - Henry Schönfelder ist ein grundsätzlich skeptischer Mensch, wenn es um seine Daten geht. Er kauft nicht im Internet ein. Er lehnt Online-Banking ab. "Die Kriminalität", begründet der Wittenberger schlicht. "Wenn ein Programm auf den Markt kommt, dann gibt es auch schon einen Hacker, der es geknackt hat. Sie geben Ihre Daten preis und ehe Sie damit fertig sind, ist das Konto dreimal leer." Das will er nicht. So weit, so gut.
Nun aber will der Staat an seine Daten, und der 44-jährige Optiker geht auf die Barrikaden. Mikrozensus heißt das Zauberwort - aus Sicht des Wittenbergers ist der eher ein Fluch. Der, sagt Schönfelder, kam im Herbst 2008 "wie ein Lottogewinn über mich". So überraschend, nicht so Glücksseligkeit verbreitend. Vier Jahre lang soll Schönfelder jährlich einen umfangreichen Fragebogen über sich und seinen Haushalt ausfüllen. Über Personen, die darin wohnen, Einkommen, Arbeit, Bildung ... Er zweifelt die Rechtmäßigkeit an. Aber: "Zur Auskunft ist er nach dem Mikrozensusgesetz verpflichtet", sagt Bernd Fucke, Dezernatsleiter Bevölkerung und Mikrozensus im Statistischen Landesamt.
Schönfelders Haushalt ist einer von insgesamt rund 390 000, die bundesweit für die staatliche Repräsentativstatistik ausgewählt werden, die die Lücke zwischen den Volkszählungen füllt. Er aber sagt schlicht: "Den Staat gehen meine Daten nichts an." Zwar ringt er sich nach einer Weile dazu durch, etwas auszufüllen. Nachdem er aber unter anderem Fragen auslässt - nach seinen Kindern, der Zahl seiner Angestellten, seiner Arbeitszeit -, moniert das Landesamt den Bogen als unplausibel. Schönfelder argumentiert, das Amt müsse schon Daten über ihn haben, um das zu tun.
Nun jedenfalls verweigert er sich komplett. Immer wieder schreibt er den Behörden: "Ich werde keinerlei Informationen über mich und meine Familie an Sie weitergeben." Weist 2009 die erste Strafe - ein Zwangsgeld in Höhe von 100 Euro - zurück, 2010 auch die zweite. Inzwischen standen zwei Gerichtsvollzieher vor seiner Tür. Ihm droht die eidesstattliche Versicherung, im Ernstfall sogar Ersatzzwangshaft. Schönfelder schimpft: "Ich fühle mich kriminalisiert." Zumal eidesstattliche Versicherung und Zwangshaft im amtlichen Schuldnerverzeichnis eingetragen werden. "Plötzlich kriegt man dann keine Kredite bei Banken mehr", sagt Schönfelder. "Es geht zu weit, einem Unternehmer mit Knast zu drohen." Für den Widerständler ist es eine Sache des Prinzips. "Der Staat ist der größte Datensammler. Und ich kann nicht kontrollieren, wer darauf Zugriff hat, ob sie anschließend vernichtet werden. Die Daten bleiben ja nicht einmal in Sachsen-Anhalt."
Bestandteil des Mikrozensus ist auch eine EU-Arbeitskräftestichprobe. Es sei, sagt Schönfelder, einfach nicht zeitgemäß, so viele Daten über sich preiszugeben - für die kriminelle Hacker im Zweifel Millionen kassieren. Doch auch beim Landesdatenschutzbeauftragten hat der Optikermeister mit seinen Argumenten keinen Erfolg. Er könne keine Gesetze außer Kraft setzen, sagt Harald von Bose. "Ich habe den Fall geprüft und es gibt keinen Anlass, dem Landesamt für Statistik einen Verstoß gegen den Datenschutz vorzuwerfen."
Im betreffenden Amt selbst verweist Dezernatsleiter Fucke auf die strenge Anonymisierung, die auch vom Datenschutzbeauftragten in Abständen kontrolliert werde. Die Namen der Befragten würden vor der Verarbeitung der Daten abgetrennt. "Die Person selbst ist für uns nicht von Interesse, sondern nur die Struktur des Haushaltes", sagt Fucke. Nach einem ausgefeilten Stichprobenverfahren werde ein Prozent der Wohnungen ausgewählt, das dann für 99 andere analog stehe. "Die Hochrechnung ist aber nur so lange gesichert, wie die Stichprobe auch eingehalten wird", sagt Fucke. Einfach auf einen Freiwilligen wechseln, wie es Schönfelder fordert, funktioniere deshalb nicht. Darüber hinaus, betont er, finde kein Datenaustausch mit anderen Behörden wie etwa Finanzämtern statt.
Fucke sagt es deutlich. Aus dem Mikrozensus herauskommen: "keine Chance". Selbst die Zahlung von Zwangsgeld befreit nicht von der Abgabe der Daten. Allerdings hat auch Schönfelder recht, wenn er glaubt, dass es außer ihm noch mehr Menschen gibt, die sich gegen die amtliche Statistik wehren. 150 bis 160 Zwangsgeldverfahren werden jährlich eingeleitet, weil Menschen ihre Angaben verweigern.
Wie viele dabei so hartnäckig bleiben wie der Optiker aus Wittenberg, ist allerdings unklar.