"Mega"-Macher Mathias Ortmann "Mega"-Macher Mathias Ortmann: Ex-Hacker von Megaupload kämpfen für Datenschutz

Halle (Saale)/MZ - Kim Schmitz war immer der laute, der mit den schnellen Autos und den Mädchen. Hinter dem Lautsprecher in Menschengestalt, als der sich der frühere Hacker über Jahre inszenierte, verschwand auch Mathias Ortmann, obwohl er doch immer da war, auch bei Megaupload, dem ebenso umstrittenen wie erfolgreichen Projekt, das die beiden Jugendfreunde gemeinsam aufgebaut hatten.
Millionen Nutzer zählte der Online-Datenspeicher täglich. Bis die US-Behörden im Januar 2012 zuschlugen. Schmitz, Ortmann und eine Handvoll Mitarbeiter wurden von einem Sondereinsatzkommando der neuseeländischen Polizei in Auckland festgenommen. Der Vorwurf lautete auf millionenfache Copyright-Verletzungen, mit der sie hunderte Millionen verdient haben sollen. Dazu hätten sie Nutzer Filme und Musik auf Megaupload hochladen lassen, fleißige Uploader seien prämiert worden. Über geschaltete Werbeanzeigen seien nicht nur Technik und Infrastruktur finanziert, sondern auch riesige Gewinne gemacht worden.
Die Bilder der Sondereinheit, die Schmitz’ Grundstück stürmt und seine Villa schwer bewaffnet einnimmt, gingen um die Welt. Doch nicht einmal zwei Jahre später wird aus dem angeblich größten Urheberrechtsverletzungsfall aller Zeiten allmählich eine Blamage für die Fahnder: Im Sommer verschob ein Gericht in Neuseeland die Entscheidung über die von den USA verlangte Auslieferung der Männer. Auch eine mit dem Fall befasste US-Richterin äußerte Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Prozesses.
Die Seiten gewechselt
Mit dem Portal Mega haben Schmitz und Ortmann Anfang des Jahres einen neuen Dienst gestartet, mit dem ausgerechnet die früheren Hacker sich als Verteidiger der Privatsphäre ihrer Nutzer gegen die Wissbegierde von Geheimdiensten und Behörden inszenieren. Mega soll sicheren Dateiaustausch durch Verschlüsselung bieten und Geheimdiensten so die Möglichkeit nehmen, private Daten einzusehen. Eine Million Nutzer meldeten sich bereits am ersten Tag an, bis heute ist die Zahl der User auf 5,5 Millionen gestiegen. Seit Beginn der NSA-Affäre hat sich der Zustrom noch einmal beschleunigt.
Für Mathias Ortmann, der bereits als Teenager in der Computerszene Furore gemacht hatte und später Informatik studierte, ist das nicht verwunderlich. „Wir wurden durch die illegale Überwachung durch den neuseeländischen Geheimdienst sensibilisiert“, beschreibt der IT-Chef von Mega. Dabei hatte eine staatliche Behörde es Fahndern ermöglicht, gesetzwidrig Gespräche der im Megaupload-Fall Verdächtigen mitzuhören - ein Vorfall, für den sich der neuseeländische Premier inzwischen bei Schmitz und Co. entschuldigt hat.
Verschlüsselung ist die Waffe des Bürgers
Lange vor den Snowden-Enthüllungen über weltweite Geheimdienstaktivitäten sei ihm, Schmitz und ihren gleichfalls noch unter der Bedrohung durch das laufende Auslieferungsverfahren stehenden Kollegen dadurch klargeworden, „dass richtig und konsequent angewandte Verschlüsselung die einzige wirksame Waffe des Bürgers gegen umfassende staatliche Überwachungsbestrebungen ist“. Im Interview spricht Ortmann über das Auslieferungsverfahren, die Dominanz der USA im Netz und die Trägheit Europas beim Versuch, Alternativen zu Google, Amazon und Co. zu schaffen.
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Herr Ortmann, was werfen die US-Ermittler Ihnen und den anderen früheren Megaupload-Mitarbeitern konkret vor?
Ortmann: Die Hauptvorwürfe sind Copyrightverletzungen, die man anhand einiger weniger Dateiübertragungen nachweisen will, und die YouTube-Importfunktion, die es in den Jahren 2006 und 2007 gab. Dann ist da die Beihilfe zur Copyrightverletzung, weil wir Speicher für Dritte bereitgestellt und ein Partnerprogramm unterhalten haben, wie es damals Standard in unserem Marktsegment war. Dazu kommt noch der Vorwurf Geldwäsche, denn nach US-Recht ist jede Transaktion Geldwäsche, sobald man die Geldquelle als kriminell definiert hat. In unserem Fall haben wir Gehälter und Rechnungen bezahlt. Die Kriterien des deutschen Geldwäschegesetzes wären da gar nicht erfüllt. Und schließlich Betrug und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dieser Vorwurf folgt aus der Tatsache, dass die als illegal definierte Firma aus mehr als zwei Personen bestand.
Wie viele Verfahren laufen derzeit?
Ortmann: Von der US-Seite läuft ein Auslieferungsantrag hier in Neuseeland. In den USA ist es das Strafverfahren. Wir dagegen versuchen in der USA per Gericht, den Megaupload-Nutzern ihre Daten wieder zugänglich zu machen. Außerdem fechten wir das Recht der US-Regierung an, über ausländische Firmen zu bestimmen. Hier läuft zudem ein Verfahren wegen unserer Überwachung durch den Geheimdienst. Zudem wehren wir uns gegen Durchsuchungsbefehle und die unangemessene Durchführung der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen eine Entscheidung zu unseren Gunsten. Außerdem wollen wir endlich Akteneinsicht im Auslieferungsverfahren.
Gibt es absehbare Zeitabläufe, wann was entschieden sein könnte?
Ortmann: Über die Akteneinsicht wird das höchste Gericht in den nächsten Wochen befinden. Aber mit einer endgültigen Entscheidung im Auslieferungsverfahren ist wohl erst nach den Parlamentswahlen Ende 2014 zu rechnen.
Beeinträchtigt das die Aufbauarbeit bei Ihrer neuen Firma Mega?
Ortmann: Im Gegenteil. Wir verzichten auf die Bereitstellung von Serverkapazität in den USA und auf die Anstellung von US-Bürgern, arbeiten aber ansonsten mit US-Firmen sehr gut zusammen.
Hat es bei Megaupload damals Anzeichen dafür gegeben, dass staatliche Stellen mitlesen?
Ortmann: Nein. Das Mitlesen von Kommunikation an Glasfaser-Übergabepunkten hat keine technisch messbaren Auswirkungen.
Wann ist Ihnen klar geworden, dass Institutionen wie die NSA bestrebt sind, alles nur Denkbare zu wissen?
Ortmann: Der Verdacht kam mir mit der Enthüllung der illegalen Machenschaften des neuseeländischen Geheimdienstes und von NSA-Partner im Zusammenhang mit Megaupload. Viele standen meiner Sicht damals skeptisch gegenüber - dann kam Snowden...
Wie lässt sich ein Netz aus so großen Datenbanken überhaupt strukturieren und durchsuchbar machen?
Ortmann: Der Schlüssel zur Skalierbarkeit liegt in der massiv parallelen Datenverarbeitung auf preisgünstiger Standardhardware. Google macht es nicht viel anders.
US-Firmen wie Google beherrschen das Netz, Megaupload setzte dem etwas entgegen. Hatte das Vorgehen der USA gegen Sie damit zu tun?
Ortmann: Inwieweit das bei der Entscheidung der US-Regierung eine Rolle spielte, lässt sich erst sagen, wenn wir Akteneinsicht bekommen haben, die man bisher kategorisch verweigert. Aber mit Megabox arbeiteten wir jetzt an einen iTunes-Konkurrenten, der die Künstler aus der Abhängigkeit von den großen Labels befreien soll.
Warum wären solche Alternativen zu den US-Riesen wichtig?
Ortmann: Suchergebnisse sind Macht. Was nicht auf der ersten Seite steht, findet nicht statt. Die Suchanfragen selbst sind außerdem eine extrem sensible Art von personenbezogenen Daten. Beides in die Hände eines Konglomerats aus kommerziellen und politischen Interessen zu legen, ist gefährlich.
Weshalb bewegt sich Europa nicht?
Ortmann: Die EU ist ein träger Koloss. Milchquoten und Angleichung der Krümmungsradien von Wurzelgemüse zwischen Irland und Zypern sind wichtiger als die digitale Agenda.
Mit Mega haben Sie eine verschlüsselte Cloud gestartet. Honorieren Nutzer die Idee?
Ortmann: Wir können nicht mit Sicherheit sagen, wie viele Kunden sich wegen der Verschlüsselung für uns entschieden haben oder ob andere Kriterien wie das große Speicherplatzkontingent für unser schnelles Wachstum verantwortlich sind. Aber Tatsache ist,
dass wir seit den Snowden-Enthüllungen deutlich mehr Benutzerinteresse verzeichnen.
Angekündigt ist als nächstes ein verschlüsselter Messenger. Ist Verschlüsselung eine Strategie gegen Überwachung?
Ortmann: Wir arbeiten an verschlüsselter Nachrichtenübermittlung per Chat und Audio-/Video-Kommunikation. In der Tat ist, ein sicheres Endgerät vorausgesetzt, Verschlüsselung ein äußerst wirksames Mittel gegen Überwachung.
Sie sind sicher, dass Geheimdienste nicht mitlesen können?
Ortmann: Moderne kryptographische Verfahren sind auch durch die NSA nicht zu brechen. Geheimdienste umschiffen sie lediglich - durch das Mitlesen des Klartexts vor der Ver- oder nach der Entschlüsselung, durch Kompromittierung der Endpunkte oder durch Ausnutzung von Implementierungsfehlern.
Wenn Sie die NSA aussperren, wäre das sicher wieder eine Provokation für die USA – hoffen Sie noch auf den Tag, an dem Sie wieder Urlaub in den USA machen können?
Ortmann: Es geht nicht um die Provokation von Supermächten, sondern um den Schutz vertraulicher Kommunikation vor staatlicher Willkür. Gerade die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts lehrt uns, dass Regierungen sehr viel mehr Schaden anrichten können als alle Terroristen der Welt zusammen. Bis zum Abschluss des Auslieferungsverfahrens kann ich Neuseeland nicht verlassen, mich im Land aber frei bewegen. Ob ein Urlaub in den USA je wieder gefahrlos möglich sein wird, steht noch in den Sternen.
