Medien Medien: Frauentausch mit Folgen
HALLE/ZERBST/MZ. - Daneben zeigte RTL 2 in der sogenannten Doku-Soap die gebildete, aktive und harmonische Tausch-Familie aus Hamburg. Eine Sendung, die inzwischen die Medienaufsicht auf den Plan gerufen und in der Kleinstadt im Kreis Anhalt-Bitterfeld für Empörung gesorgt hat.
Bereits in der vergangenen Woche war es vor dem Haus der Familie zu Protesten gekommen. Diese habe durch die Sendung die ganze Stadt in ein schlechtes Licht gestellt, hieß es. Beschimpfungen fielen, rohe Eier und Flaschen flogen. Über das Internet hatte ein Mann offenbar zu den Protesten aufgerufen. An diesem Mittwochabend verhinderte ein starkes Polizeiaufgebot, dass es zu weiteren Attacken auf die Familie kam.
Szenen, die Zerbsts Bürgermeister Helmut Behrendt (FDP) missfallen. "Ich kann den Unmut der Menschen verstehen, doch das geht zu weit." Außerdem suchten die Zerbster die Schuld bei den Falschen. Die Familie sei eher Opfer.
In der 198. Folge der RTL-2-Sendung "Frauentausch" tauschte die 32-jährige Yvonne aus Zerbst ihren Platz mit Natalie (38) aus Hamburg. Zehn Tage lebten die Frauen in der jeweils anderen Familie.
Was in Zerbst für Ärger sorgt, ist jedoch vor allem, wie die Stadt dargestellt wurde: "Man hat nur die schlechtesten Ecken gezeigt, nur kaputte Straßen und Ruinen, das ist nicht realistisch", so Bürgermeister Behrendt. "Das grenzt an Diskriminierung." Auch Hamburg habe solche Ecken, die seien aber nicht gezeigt worden. Wirklich in Rage gerät Behrendt, der seit 18 Jahren die Geschicke der Stadt lenkt, wenn er an die Wirkung der Sendung denkt: "Hier wurden alle Zerbster und letztlich alle Ostdeutschen mit dieser eher bedauernswerten Familie auf eine Stufe gestellt. Das ist nicht fair." Und Behrendt legt noch nach: "So werden altbekannte Klischees des dummen, faulen und gefräßigen Ossis bedient, der von Sozialleistungen lebt." Für Behrendt ist die Darstellung "regelrechte Stimmungsmache".
RTL 2 weist die Vorwürfe indes zurück. "Für uns gibt es so etwas wie Ost-West-Klischees nicht", versichert Sprecherin Susanne Raidt. Man stelle in erster Linie die Familien vor. Dabei interessiere es nicht, woher diese stammten. Dass die Hauptfiguren der Sendung gezielt nach ihrer Gegensätzlichkeit ausgewählt werden, ist jedoch kein Geheimnis.
Arm - reich, Stadt - Land, Kontraste zeigen, Lebensweisen gegenüberstellen, das ist das Konzept der seit Juli 2003 ausgestrahlten Serie. In der Konfrontation sieht Gerhard Lampe, Medienwissenschaftler an der Universität Halle, letztlich den Erfolg der Sendung. "Hier werden völlig unterschiedliche Menschen aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen und mit Situationen konfrontiert, die sie überfordern. Das ist ein kalkuliertes Doku-Drama, das mit Tränen und Gebrüll sein Zielpublikum erreichen will." Dabei sei es durchaus üblich, dass die Situation in den Beiträgen extrem zugespitzt werde. Auch andere Formate, überwiegend im Privatfernsehen, nutzten die Lust der Zuschauer an Konflikten.
Dass dafür auf Klischees zurückgegriffen wird, sei notwendig, um das Zielpublikum zu erreichen, so Lampe. Jedoch bestehe die Gefahr, dass sich Klischees verselbständigen. Dadurch könne das Selbstwertgefühl einer ganzen Bevölkerungsgruppe in Mitleidenschaft gezogen werden. "Das wäre fatal." Und auch sonst gebe es klare Grenzen. Die seien zum Beispiel überschritten, wenn jemand der Lächerlichkeit preisgegeben werde.
Das sieht die zuständige Medienaufsicht in der am 8. Januar ausgestrahlten Folge wohl als gegeben. Eine Expertengruppe der Landesmedienanstalten werde intensiv prüfen, inwieweit RTL 2 mit dieser Folge ethische und moralische Grenzen überschritten habe. "Auch wenn die Teilnehmer sich freiwillig für eine solche Doku-Soap bewerben, berechtigt das die Sender nicht, sie medial hinzurichten. Jeder hat ein Recht auf Menschenwürde", sagt Thomas Langheinrich, Vorsitzender der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK). Neben der Prüfung durch die ZAK wird sich auch die Kommission für Jugendmedienschutz mit der Folge beschäftigen.
Die Zerbster Familie bereut das mediale Experiment inzwischen: "Das ist mir alles so peinlich", sagt der Familienvater. "So sollte das nicht laufen."