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Zweiter City-Tunnel für Leipzig? Zweiter City-Tunnel für Leipzig?: Warum ein junger Bauingenieur dafür kämpft

Von Alexander Schierholz 01.02.2018, 11:00
Das ist auch sein Werk: Frank Eritt in der Station Wilhelm-Leuschner-Platz des Leipziger City-Tunnels. Der Ingenieur war am Bau beteiligt, nun plädiert er für einen zweiten Tunnel, um Ostdeutschlands größte Stadt vor dem Verkehrskollaps zu bewahren.
Das ist auch sein Werk: Frank Eritt in der Station Wilhelm-Leuschner-Platz des Leipziger City-Tunnels. Der Ingenieur war am Bau beteiligt, nun plädiert er für einen zweiten Tunnel, um Ostdeutschlands größte Stadt vor dem Verkehrskollaps zu bewahren. Andreas Stedtler

Leipzig - Das hier ist auch sein Werk. Frank Eritt steht auf der Treppe, die hinab führt zum S-Bahnhof Wilhelm-Leuschner-Platz des Leipziger City-Tunnels.

In nur vier Jahren hat sich die unterirdische Verbindung zum wichtigsten Nahverkehrsknoten in Mitteldeutschland entwickelt. Zu Eritts Füßen passieren Züge im Fünf-Minuten-Takt die unterirdische Station mit ihren Wänden aus abertausenden Glasbausteinen.

Frank Eritt ist an Leipzigs City-Tunnel beteiligt

„Ich freue mich jedes Mal, wenn ich durch den Tunnel fahre“, sagt Eritt. Ein bisschen Stolz sei dabei, und das „Gefühl, etwas Bleibendes geschaffen zu haben“.

Eritt, 35, Jeans, Hemd, Kapuzen-Strickjacke, ist Bauingenieur. Als die Röhren des Ende 2013 eröffneten City-Tunnels vom Norden nach Süden quer durch die Leipziger Innenstadt getrieben wurden, arbeitete er in der Bau- und Projektleitung.

„Ich kenne hier jeden Raum, jedes Kabel, jeden Schalter.“ Für die Dokumentation, die bei solchen Großprojekten notwendig ist, hat er alles fotografiert.

Probleme beim Bau des ersten City-Tunnels

Die Leipziger haben sich längst gewöhnt an den Tunnel. Vergessen der Ärger beim Bau, der jahrelang die Innenstadt beeinträchtigte. Vergessen die Verdopplung der Baukosten auf knapp eine Milliarde Euro.

Vergessen die wegen etlicher Probleme im Untergrund Jahr um Jahr verschobene Eröffnung. Die Röhren ermöglichen nicht nur ganz neue Wege innerhalb der Stadt.

Sie bringen auch täglich Zehntausende aus dem Umland bis ins Stadtzentrum und wieder zurück - aus Halle, aus Dessau, aus Bitterfeld. Auf den beiden Linien zwischen Halle und Leipzig sind die Züge zu Stoßzeiten regelmäßig überfüllt.

Zweiter Tunnel soll Stau-Chaos vehindern

Nun wird in Leipzig sogar über einen zweiten City-Tunnel diskutiert. In Ost-West-Richtung gebaut, könnte er in der seit einigen Jahren wieder wachsenden Stadt ein Mittel gegen den drohenden Dauerstau sein.

Er könnte nahe der Red-Bull- und der benachbarten Konzert-Arena verlaufen; zehntausende Fans von RB Leipzig und Konzertbesucher kämen so bequem ans Ziel. Er würde, vermutlich, teurer als der bestehende Tunnel. Und wohl erst in Jahrzehnten fertig.

Vernunft oder Wahnsinn? Frank Eritt, der selbst regelmäßig die S-Bahn nutzt, kann für sich in Anspruch nehmen, diese Diskussion mit angestoßen zu haben. Er ist kein Verkehrsexperte, sondern ein Baufachmann.

Tunnel vor dem Hauptbahnhof?

Ende 2016, weit vor der jetzigen Debatte, liest er von einem Vorschlag der Leipziger CDU, einen Teil des Innenstadtrings vor dem Hauptbahnhof in einen Tunnel zu legen, um die City vom Autoverkehr zu entlasten.

Unsinn, findet Eritt, technisch gar nicht machbar. Der Straßentunnel müsste unter dem bestehenden S-Bahn-Tunnel durch, in rund 30 Metern Tiefe. Warum nicht ein zweiter langer S-Bahn-Tunnel?, denkt er.

„Da wäre die Entlastungswirkung viel höher als bei einem kurzen Straßentunnel.“ Er ärgert sich so sehr über den CDU-Vorschlag, dass er sich bei der „Leipziger Volkszeitung“ meldet. In dem Beitrag, in dem Eritt seine Tunnel-Idee dann erläutert, wird er als „Experte“ bezeichnet. Er winkt ab. „Das bin ich doch gar nicht“, sagt er.

Eritts Idee: Zweiter S-Bahn-Tunnel

Das ist ein bisschen tief gestapelt, denn Frank Eritt bringt seine Erfahrungen vom Bau des ersten City-Tunnels mit. Die unterirdische Trasse für diesen sei nur unzureichend frei gewesen, erläutert er.

So seien Leitungen und Stahlträger für die Verankerung von Gebäuden im Weg gewesen. Eritt deutet aus dem Fenster auf ein großes Einkaufszentrum. Die Fundamente des mehrgeschossigen Hauses in der Innenstadt hätten vor dem Bohren der Röhren verstärkt werden müssen - obwohl die Tunnel-Pläne beim Bau des Zentrums bekannt gewesen seien.

Eritt fordert daher: Für einen zweiten Tunnel müssten jetzt vorsorglich Trassen freigehalten werden, wo dies möglich sei. Jede Kommune hat einen Flächennutzungsplan, in dem dies geregelt werden könnte.

Noch viele Fragen zum Bauvorhaben ungeklärt

„Natürlich weiß niemand, was in 30 Jahren ist“, sagt Eritt. „Aber wir müssen doch vorausschauend denken und planen, wenn wir unser Land sinnvoll gestalten wollen.“

Die Trassenfrage ist nur eine von vielen, die zu klären sind. Doch im Rathaus ist man zurückhaltend. „Wir stehen noch ganz am Anfang“, sagt Matthias Hasberg, Sprecher der Stadt.

Vor kurzem hat Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) die Zusage abgerungen, eine allererste Untersuchung des Tunnel-Projekts mitzufinanzieren. Jung fuhr dafür eigens nach Dresden.

Braucht Leipzig einen zweiten City-Tunnel?

„Zunächst geht es um die Frage, ob der Bedarf wirklich da ist, auch in Jahrzehnten noch“, sagt Hasberg. Schwierig genug. Niemand könne einschätzen, wie sich das Mobilitätsverhalten der Menschen entwickeln werde. Kommen die Planer zu dem Schluss, ein Tunnel lohne sich, könne eine Machbarkeitsstudie angefertigt werden.

Auch dann würde es wieder um tausend Detailfragen gehen: Wo genau verlaufen die Röhren? Wo liegen Haltepunkte? Wo wird der Tunnel an das bestehende S-Bahn-Netz angeschlossen? Wie geht man um mit ökologisch sensiblen Bereichen wie dem Leipziger Auwald, dessen Ausläufer womöglich unterquert werden müssten?

„Es kann auch sein, dass wir nach der ersten Prüfung feststellen müssen: Es geht nicht“, sagt Hasberg.

Leipzig wächst jedes Jahr

Den vielen Unbekannten stehen die Fakten gegenüber: Leipzig wächst. Jahr für Jahr kommen mehrere tausend Einwohner dazu.

Die Stadt saugt wie ein Schwamm vor allem junge Menschen aus ganz Ostdeutschland auf. Prognosen sehen Leipzig im Jahr 2030 bei mehr als 700.000 Einwohnern, schon jetzt sind es knapp 600.000.

Sie brauchen Wohnungen, Jobs, Schulen, Kitas, Verkehrswege. Schon heute, sagt Hasberg, habe die Stadt ein „Mobilitätsproblem“. Der Fahrzeugbestand wachse jährlich um 3.000 bis 4.000 Autos. „Wie organisieren wir das, damit wir künftig keine Zustände haben wie in München oder Stuttgart?“

Klar ist auch: Ein neuer Tunnel ist, so nennt der Rathaus-Sprecher es, „ein Generationenprojekt“. Ein Blick nach München zeigt, dass diese Einschätzung nicht aus der Luft gegriffen ist: 2001 fiel in Bayerns Landeshauptstadt nach jahrelangen Diskussionen die Entscheidung für einen zweiten S-Bahn-Tunnel. Erst 16 Jahre später begannen die Arbeiten. Die Bauzeit soll weitere neun Jahre betragen.

Leipzig braucht auch Schulen und Kitas

Tunnel hin, Verkehrskollaps her: Gerade wegen seines Wachstums setzt Leipzig die Prioritäten derzeit anders: „Wir müssen erst einmal Schulen und Kitas bauen“, sagt Hasberg, „das hat Vorrang.“

Genau da liegt aus Sicht von Frank Erritt aber auch ein Teil des Problems: Würden die meisten Kinder mit dem Auto gebracht und geholt, erzeuge das zusätzlichen Verkehr - für ihn noch ein Argument für den öffentlichen Nahverkehr, und damit für den zweiten Tunnel.

Eritt glaubt daran. Vom ersten Tunnel ist er ohnehin längst überzeugt. „So kommen zu den Stoßzeiten 400 Menschen im Fünf-Minuten Takt mit der S-Bahn bis in die Innenstadt“, sagt er. „Wenn man sich vorstellt, dass die alle mit dem Auto fahren würden, wird deutlich, wie wichtig der Tunnel mittlerweile ist.“ (mz)