Neil Young-Konzert in Leipzig Neil Young-Konzert in Leipzig: Hippie-Rausch mit E-Gitarren am Völkerschlachtdenkmal

Leipzig - Die guten, alten Hits. Der 70-jährige Neil Young, Rockstar aus Kanada und seit einigen Zeiten in den USA lebend, packt sie gleich zu Beginn seines Konzertes aus. In der Leipziger Hitze am Mittwochabend fängt es erst andächtig ruhig, unironisch, intim und entspannt an. Volksfeststimmung, die Songs „After the Goldrush“, „Heart of Gold“, „Needle and the Damage Done“ und „Mother Earth“ werden gespielt.
Album mit 13 live eingespielte Songs
Gitarren, Mundharmonika, Klavier. Young trägt Sonnenbrille, einen Cowboyhut, schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Earth“. So heißt auch sein neues Album. Dort sind 13 live eingespielte Songs zu finden, Wölfe, Bienen, Grillen, Bären, Elche, Wale, Vögel und Kojoten sorgen neben Maschinengeräuschen für den akustischen Hintergrund. Ein Fleuchen und ein Keuchen, dort das Unberührte, da die menschlichen Zerstörungen.
Auf den Hund gekommen, ist Young aber noch lange nicht, vielmehr ist er wieder auf Rebellen-Tour. In der Mitte der Bühne hängt ein rotes Herzchen, Young trägt ein rotes Knöchelband an der linken Hand, ein paar Schritte vor, ein paar Schritte zur Seite. Weibliche Farmer huschen vorbei, gefolgt von lebendigen Chemiekeulen in Hochsicherheitsanzügen. Ansagen dazu? Fehlanzeige. Youngs Botschaften, sein „Global Village“, steht hingegen mitten im Publikum, seinen Kampf gegen Agrarkonzerne und Gentechnik hat er sogar lokal verankert. Nach den Vertretern seiner Werte ließ er vorab in der Region suchen. So waren sie dann auch beisammen: Der Leipziger „Ökolöwe“, das Aktionsbündnis für eine gentechnikfreie Landwirtschaft in Sachsen, das globalisierungskritische Netzwerk „Attac“, das sich gegen Abkommen wie TTIP und CETA wendet, und die Klimaaktivisten vom „Ende Gelände!“.
Dazu gab es Flyer über das „Monsanto Tribunal“, welches vom 14. bis 16. Oktober in Den Haag stattfinden wird. Dort sollen die umwelt- und gesundheitsschädigenden Tätigkeiten, die Monsanto zu Lasten gelegt werden, exemplarisch beurteilt werden. Und dann ist da noch der ewige Zwiespalt, so alt wie die Menschen selbst, in vielen Zeilen Youngs versteckt: Wo endet der Fortschritt, wo beginnt die Zerstörung? Das ist hier die Frage. Ist Mutter Erde vor der Gier des Großkapitalismus auf der Flucht, dann bietet Young ihr Asyl.
Der Abend wird rockiger
Im Song „Saddle Up The Palomino“ singt er: „The way I feel, this must be real“. Man nimmt ihm sein Engagement ab, aufgesetzt ist es nicht, da muss er live keine Kampfansagen an die Populisten dieser Erde verschicken. Macht er auch nicht. Young spielt ein Konzert, das trotz zweier riesiger Videoleinwände auffällig minimalistisch wirkt. Es gibt keine Showeffekte, keine Raketen steigen in die Luft. Dafür bekommt man begnadete Gitarrensoli, ein paar Lichtkegel und Evergreens, die scheinbar ewig meditativ zelebriert werden. Musikalische Monumente, vor denen das Völkerschlachtdenkmal an diesem Abend verblasst: „Unknown Legend“, „Alabama“, „Words“, „Love to Burn“.
Erinnerungen und Romantik
Young wird im Laufe des Abends rockiger, Willie Nelsons Söhne Micah und Lukas sind Bestandteile der neuen Begleitband „Promise of the Real“, die diese so typisch markant hohe Stimme des Stars faszinierend rahmt. Als die Atmosphäre nach der Hälfte der gut 25 Songs schon genügend mit Erinnerungen und Romantik aufgeglüht ist, geht es über „Mansion on the Hill“ und „Like A Hurricane“ zum grandiosen Finale mit „Rockin’ in the Free World“. E-Gitarren, die bis ins Mark fräsen, entsprechende Soli, die einen waschechten Musiker-Gottesdienst einleiten. Folk, Rock und Country. Und immer dabei: Die Momente des Predigens, die rhythmische Wiederholung von Schlagworten. Love, Earth, Heart, Love.
Ein kollektives Kopfnicken, ein sägender Groove, der sich ins Unbewusste einnistet. Musikalische Seelengrundierungen, die man nicht mehr tilgen kann. Ein Hippie-Rausch. Fast scheint es, als würden allein die Gitarren die Welt retten können. Beim Song „Love and only Love“, endlos schwingt das Gitarrengewitter ein und aus, geht es ganz tief. Hierbei fallen Menschen auf die Knie, sakrale Momente mit dem Bierglas in der Hand. Die Live-Mitschnitte auf den Videoleinwänden verzerren sich, es vibriert. Ein satter Vollmond links neben der Bühne sorgt für unorganisierte Poesie. Am Ende, Young hat es noch einmal allen gezeigt, fallen nur drei Worte: „Thank you, Germany!“ Draußen auf den Wiesen liegen die Menschen, eine lange, schwärmerische Nacht beginnt, ein „Rockin’ in the Free World“-Summen und Sehnsüchte bis weit in die Stadt hinein. (mz)