Ärger um "AfD-Hirse" Biomare Leipzig gegen AfD Hirse - Drohung nach Verkaufsstop

Mitten im Bio-Supermarkt Biomare im Leipziger Stadtteil Plagwitz steht ein alter, kleiner Trecker. Darauf stehen unter anderem Packungen mit Dinkelmilch und ein Korb Bananen. Links und rechts verlaufen Holzregale mit hunderten von Produkten. Nur ein kleines Fach ist leer, daran hängt ein Aushang auf dem steht: „Auslistung Spreewälder Hirsemühle“. In einem kurzen Begleittext wird erläutert, dass der Inhaber der Hirsemühle ein AfD-Funktionär ist, dessen Partei den menschengemachten Klimawandel leugnet.
Das Schild ist nur ein paar Zentimeter groß, doch die dahinter stehende Entscheidung hat Anfang Oktober eine große Debatte im Handel und den Sozialen Netzwerken ausgelöst. Sollte aus politischen Motiven ein Händler einen Lieferanten boykottieren? Auch andere Bio-Ketten haben inzwischen Hirsemühle-Produkte, die vom Bio-Unternehmer Jens Plessow, der im AfD-Vorstand des Spree-Neiße-Kreises in Brandenburg sitzt, ausgelistet. Führende AfD-Politiker sprechen von einer „linken Meinungsdiktatur“.
Leipziger Händler nahm Hirse von AfD-Politiker aus dem Regal
Der Mann, der die Hirsemühle aus dem Müsliregal verbannt hat, heißt Malte Reupert. Der 49-jährige Biomare-Inhaber ist ein groß gewachsener Mann, der Vater von sechs Kindern trägt eine dunkle Stoffhose und ein Leinen-Hemd. Drei Märkte, die sich in studentisch geprägten Vierteln befinden, hat er seit 2006 in Leipzig aufgebaut. 8000 bis 10000 Artikel führt Biomare. „Wir haben umfassende Sortimentsrichtlinien, die wir konsequent und transparent umsetzen“, sagt Reupert. Man treffe eine notwendige Vorauswahl für die Kunden. Zu den Kriterien zählen nicht nur die Anbaumethoden oder der Umgang mit Mitarbeitern, sondern auch ein Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel.
„Wenn ein Lieferant diesen leugnet, muss ich davon ausgehen, dass er auch nicht klimabewusst arbeitet“, sagt Reupert. Daher schrieb er Mitte Juli 2019 Plessow eine Mail, dass Biomare beabsichtige, sein Produkt auszulisten. Am Ende des Textes stand der Hinweis, „für einen konstruktiven Dialog zur Verfügung“ zu stehen.
Reupert: AfD-Hirse-Produzent leugnet Klimawandel
Neun Tage später antwortete Plessow sichtlich verärgert per Mail: Er warf Reupert zunächst vor, „einen unbescholtenen Bürger in Stasi-Manier nachzuspionieren“. In der Mail heißt es: „Kontrollieren sie bei allen ihren Geschäftspartnern in orwellscher Art und Weise die persönlichen Einstellungen und gesellschaftlichen Ansichten?“ Plessow wirft Reupert vor „antidemokratisch“ zu agieren.
Der Umsatz mit Biolebensmitteln in Deutschland lag 2018 bei 10,91 Milliarden Euro, berichtet handelsdaten.de. Knapp 60 Prozent des Gesamtumsatzes mit Nahrungsmitteln aus ökologischem Anbau erwirtschaftet inzwischen der konventionelle Lebensmittelhandel. Biosupermärkte sind dagegen Märkte, die nur ökologisch hergestellte Waren verkaufen. Zu den größten Bio-Ketten gehören Denn’s bio (Dennree), Super Natur Markt (Alnatura) sowie BioCompany.
Die umsatzstärkste Bio-Supermarktkette in Deutschland ist laut handelsdaten.de Alnatura. Im Geschäftsjahr 2017/2018 erwirtschaftete das Unternehmen mit 131 Märkten einen Umsatz von 822 Millionen Euro.
Plessow ist 44 Jahre alt, hat Landwirtschaft studiert und seit 2004 die Hirsemühlen aufgebaut. Seine Lieferanten kommen aus der Lausitz. „Wir haben die Hirse hier wieder heimisch gemacht“, erzählt er im MZ-Gespräch am Telefon. Nach seinen Worten engagiert er sich bewusst in der AfD. Die Flüchtlings- und Klimaschutzpolitik der Bundesregierung lehnt er ab. Plessow sagt: „Ich bin nicht gegen Klimaschutz, doch in der Lausitz moderne Kohlekraftwerke abzuschalten und dann zeitweise Kohlestrom aus Polen und Atomstrom aus Frankreich zu beziehen, ist nicht nachhaltig.“ Von Reupert fordert er „Realismus statt Utopismus“. Im Mailverkehr schrieb er Reupert: „So geschichtsvergessen, wie sie sich präsentieren, nehme ich stark an, sie sind Westdeutscher.“
Leipziger Biomare-Gründer will Klimaschutz voranbringen
Doch Reupert ist Leipziger und engagierte sich bereits als Jugendlicher in der friedlichen Revolution 1989. Er studierte Bio-Landbau und anschließend Volkswirtschaft. „Ich wollte wissen, wie der Kapitalismus funktioniert“, erzählt er. Seit Jahren ist er ehrenamtlich auch bei den Grünen aktiv, erst im Stadtrat in Leipzig und dann im Landkreis Nordsachsen. Sein Unternehmen Biomare sieht er als „wirtschaftlichen Teil der Umwelt- und Friedensbewegung“.
So hat sich Biomare ein anspruchsvolles Programm aufgestellt, den eigenen CO2 -Ausstoß zu senken. Das erwartet Reupert auch von seinen Lieferanten. Die Hirsemühle sei auch nicht die erste Firma, die der Markt ausgelistet habe. So werden beispielsweise keine Waren vom Bio-Tee-Hersteller Pukka mehr verkauft, da dieser vom weltweit tätigen Lebensmittelriesen Unilever übernommen wurde. Von einem Bio-Bäcker hat sich Reupert getrennt, weil dieser in die Reichsbürgerszene abgedriftet sei.
Nach Leipziger Auslistung: Andere Märkte ziehen nach
Doch der Fall Hirsemühle zieht weite Kreise. Auch bundesweit agierende Öko-Supermarktketten wie Alnatura und Bio-Company sowie der Fachgroßhändler Weiling haben die Produkte aus dem Sortiment genommen. Plessow kann noch nicht genau abschätzen, wie sich das auf sein Unternehmen mit zwei Mitarbeitern auswirkt. „Doch ist es wohl das Ziel der Händler, unsere Existenz zu gefährden“, sagt der Unternehmer.
Er wirft den Bio-Ketten zudem vor, scheinheilig zu agieren: „Hirse aus der Lausitz wird verbannt, weil der Firmenchef in der AfD engagiert ist, dafür wird dann Hirse aus der Ukraine und China zugekauft, weil das so umweltschonend ist“, sagt er ironisch. Reupert begegnet dem: Es gebe andere regionale Hersteller, die die Lücke bereits gefüllt hätten.
AfD-Führung befeuert Fall mit Vergleich zur Judenverfolgung
Die AfD-Führung spitzt das Thema in den Sozialen Netzwerken derweil weiter zu. Der Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Lüth, schreibt auf Twitter über das Auslistungsschild bei Biomare: „Ökos! Wehrt Euch! Kauft nicht bei AfDlern.“ Das ist eine unmissverständliche Anspielung auf den Boykott jüdischer Geschäfte in der NS-Zeit. Damals hieß es: „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei Juden.“
Wie ist die Auslistung wirtschaftlich, rechtlich und ethisch einzuordnen? Die MZ hat dazu zwei große Handelsforschungsinstitute angefragt, wie sie den Fall einschätzen. Beide wollten sich aufgrund des politischen Hintergrundes jedoch nicht äußern. Der Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden hält das Vorgehen von Biomare für rechtlich unbedenklich: „Die Auslistung ist von der Gewerbefreiheit gedeckt. Jeder kann Geschäfte machen, mit wem er will - oder auch nicht.“ Mit dem Boykott jüdischer Geschäfte sei das nicht vergleichbar, weil dieser staatlich verordnet wurde. Eine andere Frage sei, ob die Politisierung des wirtschaftlichen Handelns sinnvoll ist. Ragnitz sieht in diesem Fall aber kein Problem.
Auslistung ok? Experten sind sich uneinig
Nach Ansicht des Wirtschaftsethikers Ingo Pies von der Universität Halle „muss man solche Fragen losgelöst vom konkreten Einzelfall diskutieren“. Und dann werde schnell klar: „Es gibt gute Gründe für die Meinungsfreiheit. Falschen Argumenten sollte man argumentativ begegnen. Sonst droht eine Tyrannisierung der Minderheit durch die Mehrheit.“
Konkret zum Fall meint Pies: „Wenn man die Meinung des Produzenten nicht für in Ordnung hält, sollte man sich mit dieser Meinung auseinandersetzen, aber nicht mutwillig Arbeitsplätze zerstören und wirtschaftliche Existenzen vernichten. Wenn das Schule macht, kommen wir auf gefährliches Terrain.“ Dahinter steckt die Sorge, dass die wirtschaftliche und berufliche Freiheit eingeschränkt wird.
Nach Streit mit AfD - Anschlagsdrohung gegen Biomarkt
Damit stellt sich auch die Frage: Treibt Reuperts Vorgehen die Spaltung der Gesellschaft voran? Ihm selbst ist „der Dialog sehr wichtig“. Natürlich gebe es Probleme in der Klimapolitik und bei der Integration. „Doch jeder sollte selbst einen Beitrag leisten, um die Lage zu verbessern.“
Vor einigen Jahren zog Reupert den Zorn von linken Gruppierungen auf sich, weil er plakatierte: „Kapitalismus ist das Resultat deiner Weigerung, es besser zu machen.“ Daraufhin gingen die Fensterscheiben in einem seiner Märkte zu Bruch. Der neu-rechten Zeitung „Junge Freiheit“ gab er vor wenigen Tagen ein Interview in dem er sagte: „Diese Ähnlichkeit in der moralisierenden Selbstgerechtigkeit ist gewiss auch einer der Gründe, warum sich AfD und Grüne so innig hassen, ohne je wirklich miteinander reden zu können.“ Doch ist seine Entscheidung zur Auslistung nicht auch ein Stück moralisierend? Viele sehen das jedenfalls so.
Reupert ist einem Shitstorm ausgesetzt - einem lawinenartigen Auftreten negativer Kritik. Doch nicht nur das, es gibt auch Anschlagsdrohungen gegen ihn und die Märkte. Reupert muss das ernst nehmen. Polizei und Staatsanwaltschaft sind eingeschaltet. Hätte er es für möglich gehalten, dass sein Vorgehen solche Wellen schlägt? „Die Möglichkeit, dass so etwas passiert, war mir zumindest bewusst“, sagt der Biomare-Chef. Er werde aber daran festhalten, seine Entscheidungen auch öffentlich zu machen. „Mir geht es nicht darum, einen AfD-Funktionär abzustrafen, sondern eine klimaschonendere Wirtschaft zu befördern“, sagt Reupert. „Die Auslistung der Hirsemühle war dazu ein Mosaikstein.“ (mz)