1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Leipzig: Leipzig: Start in ein neues Leben

Leipzig Leipzig: Start in ein neues Leben

Von HARALD BOLTZE 04.01.2010, 18:39

WETHAU/MZ. - Und anders als bei gewöhnlichen Geschenken war Anne Hauptmann in diesen frühen Morgenstunden, kurz bevor sie unter Vollnarkose gesetzt wurde, nicht in der Lage, sich zu freuen. "Es war keine Angst, auch keine Freude. Es war nichts. Höchstens Unsicherheit", sagt die 27-Jährige heute.

Die junge Frau bekam am 3. September 2009 ein neues Herz, ein neues Leben geschenkt. In einer sechsstündigen Operation wurde ihr krankes Herz gegen ein Spenderorgan ausgetauscht. Das monatelange Warten war beendet. Mit der Operation fängt bei einer Herztransplantation allerdings die riskanteste Phase erst an.

Doch zunächst ein Rückblick: In Naumburg und Wethau aufgewachsen und das Abitur gemacht, gerade von einem Au-pair-Aufenthalt in den USA zurückgekommen, fängt Hauptmann 2003 in Stendal an zu studieren. "Ich hab es auf den Umzug und den Stress geschoben", erinnert sie sich an die ersten Male, als sie zusammenklappte. Als sportlich und kerngesund galt sie. Ein Allgemeinarzt fand nichts, verwies sie an einen Kardiologen. Als dessen Stimme plötzlich ernst wurde, dachte Anne Hauptmann, sie sei im falschem Film. Nichts war es mit nach Hause gehen. Es ging auf die Intensivstation.

"Dilatative Kardiomyopathie" lautete die Diagnose: ein vergrößertes Herz, daraus folgende Rhythmusstörungen. Alles wohl auf eine Virus-Erkrankung zurückzuführen. Es folgten Medikamente, eine Transplantation wurde erwähnt. Das schien für Anne Hauptmann weit weg, ging es ihr doch zunächst besser. Doch was sich in den folgenden Jahren fortsetzen sollte: Auf ein "Auf" folgte stets ein "Ab".

Das nächste Ab hatte einen implantierten Defibrillator zur Folge. Die Elektroschocks - man kennt sie, wie sie in Arztserien per Defibrillatoren auf die Brust der Patienten gesetzt werden - hatte Anne Hauptmann nun in sich. "Es passierte etwa jedes halbe Jahr. Als ob man an einen geladenen Weidezaun greift, aber nicht loslassen kann."

Trotzdem verliefen die Jahre 2004 und 2005 "gar nicht so schlecht". Sie zog nach Halle, begann ein Biologie-Studium. Aber es folgte das nächste Ab. Und der nächste implantierte Defibrillator. Der alte war nicht mehr stark genug. Und sie wurde ins Herzzentrum Leipzig überwiesen. "Wenn ich denen gesagt habe, dass ich mich ganz gut fühle, hat mir das kaum einer geglaubt." Ihre Werte waren schlechter als ihr Gefühl. Von Lebensgefahr sprachen die Ärzte mit ihr so offen nicht. Als Schutz. Doch das wusste Anne Hauptmann auch so. "Psychisch war ich da ganz unten." Hinzu kamen Rückschläge. Embolien hätten sie fast ein Bein gekostet. "Eine Transplantation wurde nun immer deutlicher angesprochen. Doch in diesem psychischen Zustand wäre ich dazu gar nicht in der Lage gewesen", sagt sie heute. Dennoch ließ sie sich auf die Warteliste setzen.

Im Dezember 2008 dann der Tiefpunkt. Keine hundert Meter am Stück Laufen, kaum mehr Treppensteigen. "Jetzt stand die Entscheidung an, ob ich mich auf der Warteliste auf 'high urgent' (sehr dringend) hochstufen lasse." Anne Hauptmann entschied sich schließlich dafür. Zur Hochzeit einer Freundin durfte sie noch gehen, ab dem 8. Juni musste sie dann rund um die Uhr in der Leipziger Klinik sein. Erreichbarkeit auf dem Handy reichte nicht mehr. Ein wenig Hin- und Herlaufen auf der Station, Fernseher, Laptop, die anderen Patienten und die Besuche ihrer Mutter und von Freunden machten die Wartezeit erträglicher. Sie fing zudem an, Tagebuch zu schreiben.

Dann der 12. August. "Wir haben ein Herz bekommen, es ist für dich", sagte die Schwester. Doch das Organ hielt der medizinischen Prüfung nicht stand. Das Warten ging weiter. Ihr Geburtstag, der 2. September, verstrich. Etwa 400 Herzen werden jährlich in Deutschland verpflanzt, doch knapp 1 000 Patienten kommen jedes Jahr auf die Warteliste. Anne Hauptmann hatte Glück am 3. September. Was nicht heißt, dass dann alles glatt lief. Zwar nahm ihr Körper das Organ auf. Doch fielen ihre Nieren die ersten zwei Wochen nach der Operation aus. Blutungen am Herz erforderten weitere Eingriffe.

Zwei bis drei Tage liegen Patienten nach einer Herztransplantation im künstlichen Koma. Bei Anne Hauptmann waren es sechs Tage. Als sie aufwachte, nahm sie zunächst kaum etwas wahr. Nur langsam kam sie zu sich, erkannte ihre Mutter, durfte aufstehen - und wurde sofort gezwungen, sich zu bewegen. "Laufen, laufen, laufen", hieß es. Doch vor allem eines wird ihr in Erinnerung bleiben. "Ich habe mein neues Herz nicht nur gefühlt, sondern sogar schlagen hören. Richtig laut. Mein krankes Herz hatte ich nie gemerkt."

Man ahnt, was auf dieses Auf folgte. "Mir musste Wasser aus der Lunge abgesaugt werden, später gab es erneute Einblutungen, wieder eine Operation. Ich fühlte mich schwach, konnte kaum sprechen." Das erhoffte neue Leben fing mehr als mühselig an. Mitte Oktober begann schließlich die Reha, fortan ging es bergauf. Als sie im November nach Hause entlassen wird, kann sie spazieren gehen und sich dabei mühelos unterhalten. Zuvor lange undenkbar. Nun lebt sie bei ihrer Mutter in Wethau. Jeden Tag merkt sie Fortschritte. Aber sie weiß, dass ihr Körper das Herz noch zu jeder Zeit wieder abstoßen könnte. Sie weiß, dass ihr Krebsrisiko um ein Vielfaches erhöht ist. Wenn bis dahin alles gut geht, will sie im Frühling wieder nach Halle ziehen. Ob sie ihr Biologie-Studium fortsetzen kann, ist wegen der erforderlichen Labor-Arbeit fraglich. Infektionsgefahren muss Anne Hauptmann meiden. Dass sie ihre Ernährung umstellen musste und derzeit häufig Mundschutz tragen muss, macht ihr wenig aus. "Ich lebe bewusster. Ich bin so dankbar."