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Leipzig Leipzig: Revival eines illegalen Straßenmusikfestivals

Von Susann Huster 12.08.2009, 06:16
Logo «Wendejahr 1989» (FOTO: DPA)
Logo «Wendejahr 1989» (FOTO: DPA) dpa

Leipzig/ddp. - Wenn Jochen Läßig an jenen 10. Juni 1989zurückdenkt, ist er immer noch Feuer und Flamme. Das von ihmmitorganisierte illegale Straßenmusikfestival, das an diesem belebtenSamstag in Leipzig bei Stasi-Leuten und Polizei für riesige Aufregungsorgte, ist auch 20 Jahre später bis ins Detail im Kopf desehemaligen Oppositionellen hängen geblieben. Für ihn sei dasFestival, das als Generalprobe für die friedliche Revolution in dieGeschichte einging, das «gelungenste Wende-Ereignis» gewesen. VonFreitag bis Sonntag erlebt der mutige Aufstand der Musiker von damalsein Revival.

Im Leipziger Studentenclub Moritzbastei richtet der VereinLeipziger Künstler und Kunstfreunde eine dreitägige Sang- undKlangparty mit Läßig und anderen Protagonisten von damals aus. Läßigwird am Freitagabend beim Eröffnungstalk des Festival-Revivals nocheinmal den Tag vor mehr als 20 Jahren Revue passieren lassen undanschließend gemeinsam mit seinem Sohn musizieren.

Bei dieser Gelegenheit präsentiert der heute 48-Jährige zweiLieder, die er bei dem Festival gespielt hat: den Georg-Danzer-Song«Die andere Seite» - ein Aussteigerlied, das von den DDR-Oberen alsAufforderung zur Ausreise verstanden wurde - sowie «Der rote Karl»,in dem Läßig von einem aufmüpfigen, «moralischen Kommunisten»erzählt, der nicht «buckeln» wollte und es deshalb in der DDR zunichts gebracht hätte.

Auch den Querdenker Läßig hätte wohl im Arbeiter-und-Bauern-Staatkeine große berufliche Karriere erwartet. «Ich war ein extremerStaatsfeind», sagt er. Damals habe er nichts zu verlieren gehabt,denn ihm stand nach eigenen Worten vermutlich nur ein Dasein alsHausmeister in der Kirche, schlimmstenfalls sogar ein längererGefängnisaufenthalt bevor.

Zwei Jahrzehnte nach diesen bewegten Zeiten des Umbruchs ist ausdem Theologiestudenten von damals ein anerkannter Jurist mit einergut gehenden Kanzlei in Leipzig geworden. Der frühere «Staatsfeind»der DDR sitzt im feinen Zwirn vor seinen Mandanten. Auch wenn es dasSchicksal mit ihm vermutlich besser gemeint hat als zu DDR-Zeiten,erinnert sich Läßig gern an seine Epoche als Aufständischer gegen dieDDR-Diktatur.

«Ich hatte einen rebellischen Charakter», erzählt der Mann, der1989 das Neue Forum in Leipzig mitbegründet hat. Trotz allerBemühungen konnte der Geheimdienst nicht verhindern, dass sich am 10.Juni 1989 zahlreiche Musiker in der Leipziger Innenstadtversammelten. In einem mutigen Musik-Marathon spielten sie zunächstmehrere Stunden unbehelligt.

Erst gegen Mittag fuhr ein Polizei-Lkw vor und begann eineregelrechte Hetzjagd. «Jeder, der ein Instrument hatte, wurdemitgenommen», erinnert sich Läßig. Trotz der vielen Festnahmen wurdeer zu seiner eigenen Verwunderung verschont. Die Absicht, diedahinter steckte, hatte er allerdings schnell durchschaut: Dieanderen Musiker sollten denken, dass er mit der Stasi unter einem Hutsteckte. «Die wollten mich auf keinen Fall zum Märtyrer machen», sagter.

Läßig denkt heute auch mit einem weinenden Auge an dieUmbruchzeiten zurück. «Es ist schade, dass wir damals nicht mehrwaren, die Kraft und Mut für die Revolution hatten», sagt er. Gerademal zwei Dutzend Leute hätten der Opposition in Leipzig angehört.Dabei hatte die Messestadt 1989 noch mehr als 530 000 Einwohner.

Der ehemalige Grünen-Politiker Läßig ist inzwischen Mitglied derSPD. Nach neun Jahren ist er 1999 aus dem Leipziger Stadtratausgeschieden. «Ich bin aber ein politisch denkender Menschgeblieben», sagt er.

Auch seiner Musik ist Läßig treu geblieben. Er findet allerdingsdurch seine Arbeit wenig Zeit zum Musizieren. Eine Gelegenheit dazubietet sich nun beim Festival-Revival, wo er einige seinerWeggefährten aus Wendezeiten wiedertrifft. Initiator des Festivalsist der sächsische CDU-Landtagsabgeordnete und frühere PosaunistRobert Clemen.

Sein Programm erinnert mit Musik, Tanz und Gesprächsrunden an dieStimmung des Sommers 1989. «Mich stört, dass sich Leute, die in derWendezeit kaum eine Rolle gespielt haben, heute als großeWende-Aktivisten feiern lassen», kritisiert Clemen. Nun sollten dieMenschen gewürdigt werden, die «in gefährlichen Zeiten den Kopfhingehalten haben».

Er selbst sei bei dem illegalen Straßenmusikfestival damals nichtdabei gewesen, weil er es zu spät erfahren habe. «Das bedauere ichsehr. Ich war damals gerade bei einem Gig in Halle», berichtet der42-Jährige, der in den 1980er Jahren in der Band Konfus rockte. DasStraßenmusikfestival am 10. Juni 1989 war Clemen zufolge die erstewirkliche Konfrontation der Oppositionsbewegung mit der Staatsmachtin Leipzig - mit Menschen, die im Land bleiben und nicht ausreisenwollten.

Etwa die Hälfte der Musiker von damals hat Clemen aufgespürt undin die Moritzbastei eingeladen. Finanziert wird die dreitägigeVeranstaltung, für die Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) dieSchirmherrschaft übernommen hat, hauptsächlich aus dem Landesfonds«20 Jahre friedliche Revolution».