Wolf im Wildtiergehege? Wolf im Wildtiergehege?: Sika-Hirsch gerissen, Firma vor dem Aus

Ragösen - Eine Plane bedeckt am Freitagmittag im Ragösener Wildgatter den Kadaver. Es dauert noch Stunden, bis die Mitarbeiterin des Wolfskompetenzzentrums aus Iden (Kreis Stendal) zur Spurensicherung eintreffen wird. Das Opfer liegt direkt am doppelt gesicherten Zaun.
Kindern, die den Tieren hier alle einen Namen gegeben haben, soll der Anblick erspart werden. „Es ist nicht Hansi“, beruhigt ein Mann. Freilich ist das kaum zu erkennen, von dem in der Nacht zum Freitag gerissenen Tier sind nur noch die Knochen übrig.
Das war mal ein Sika-Hirsch - seine Heimat ist eigentlich Japan oder China. Sikas sind sehr anspruchsvoll und ein Phänomen: Sie werden praktisch nie krank, sind sehr wetterhart und brauchen nur wenig Futter. Sie haben aber offensichtlich im Fläming einen Todfeind. Wie der sich Zugang zum gesicherten Areal verschafft hat, das muss noch eindeutig geklärt werden.
„Es war der Wolf“, ist sich Hans-Peter Klausnitzer aber schon jetzt sicher. Der Geschäftsführer der Firma KSL Anhalt-Fläming hat nicht nur einen ideellen Wert, sondern auch einen materiellen Verlust zu beklagen. Etwa 600 Euro kostet ein Exemplar. Dieses Geld muss das Land ersetzen - falls der Täter zweifelsfrei als Wolf ermittelt wird.
Solch ein eindeutiges Ermittlungsergebnis hat freilich Klausnitzer noch nicht erlebt. Beim ersten Angriff vor drei Jahren - ein Muffel wird gerissen - kommt das Ergebnis per Brief. Dabei wird lapidar mitgeilt: Der Wolf werde ausgeschlossen. Als mögliche Alternativen werden Vergiftungen oder streunende Hunde genannt. „Die gibt es bei uns gar nicht“, so Klausnitzer.
„Das sind alles nur ständige Ausreden. Wer in einem Neubaublock wohnt, kann sich nicht vorstellen, dass der Wolf gefährlich ist“, sagt Hausmeister Uwe Walter. Die Männer reden sich in Rage. „Ich habe der Frau vom Wolfskompetenzzentrum geraten, heute in Begleitung zu kommen“, sagt Klausnitzer. Es werden deutliche Worte fallen.
Die Empörung und die Wut in Ragösen sind riesengroß. Der Grund ist das tierische Massaker exakt vor einer Woche. Gleich zwölf Tiere wurden gerissen. Zwei weitere, die zunächst überlebt haben, mussten von den Qualen erlöst werden, heißt es gegenüber der MZ. „Das waren mehrere Wölfe“, glaubt der Geschäftsführer, der klarstellt: „Uns wurde bestätigt, dass unser Doppelzaun sicher ist.“
Es gab also einen Mittäter: „Friederike“. Als Spätfolge des Orkans war ein Baum auf die Zäune geknallt. Die tierischen Einbrecher haben danach ihre Kletterkünste bewiesen.
„Ich fahre jeden Morgen mit einem mulmigen Gefühl zum Gehege“, sagt Klausnitzer. „Es macht keinen Spaß. Ich denke übers Aufhören nach“, sagt der Mann. Das freilich wäre auch ein Rückschlag für den Gasthof und die Pension Rosenhof. Hier wird schon seit 1879 mit der Natur geworben.
Aktuell weist ein Schild auf eine besondere Attraktion hin: auf die Sikas. Erst im Herbst, so wird der MZ berichtet, sei ein Gast völlig verängstigt aus dem Wald in die Herberge zurückgekehrt. „Die Pilzsammlerin hat zwei Wölfe gesehen, die sie beobachteten“, so Klausnitzer. Der Wolf im Fläming habe die Tierwelt stark reduziert und vor allem auch verändert. „Selbst Wildschweine werden aggressiv. Da wird schon mal ein Hund angegriffen“, so der Fachmann.
Da gehe die Romantik verloren, meint auch Hans-Peter Schneider, der die MZ einschaltet, weil er davon überzeugt ist, dass die Öffentlichkeit von den dramatischen und tragischen Ereignissen in Ragösen erfahren muss. „Im Land der Frühaufsteher muss man wach werden“, sagt der Freund des Hauses.
Er verweist auf eine Online-Petition aus Brandenburg. Ziel sei es, den Wolf ins Jagdgesetz aufzunehnen. „Die Wölfe müssen dem Fläming entnommen werden“, so Klausnitzer, der voller Sarkasmus sagt: „Wenn jetzt noch Dracula durch die Lüfte schwebt, nennen wir uns Kleintranssilvanien.“
Offizielle Erkenntnisse zu den Vorfällen in Ragösen kann es noch nicht geben. Die Ergebnisse von den DNS-Tests werden erst in sechs Wochen - Expressuntersuchungen sind deutlich teurer - vorliegen. Diese lange Zeitdauer hat auch schon der Kemberger Bürgermeister Torsten Seelig (CDU) kritisiert.
Der Grund für sein Statement waren sechs gerissene Schafe in seinem Ortsteil Gommlo. Auch hier steht ein Wolf unter akutem Tatverdacht. Der Heideverein plädiert nach den Vorfällen für regionale Strukturen. Das Stadtoberhaupt will da deutlich mehr. „Wir brauchen klare Regelungen, um Entscheidungen selbst vor Ort treffen zu können“, sagte er der MZ. (mz)
