Vockerode Vockerode: Kreis streicht Fahrten vom Einkaufsbus nach Dessau

Vockerode - Das Unternehmen Vetter und der Landkreis ziehen die Reißleine: Die Tour 14 der Linie 304 - der von den Einwohnern auch für die Flüchtlinge erkämpfte Einkaufsbus - wird kräftig zusammen gestrichen. Statt fünfmal die Woche von Vockerode (8.53 Uhr) über Mildensee zum Dessauer Hauptbahnhof und zurück (11.40 Uhr) wird der Bus ab sofort nur noch dienstags und freitags verkehren. Neu ist dabei aber auch, dass die Haltestelle „Vockerode Siedlung“ angefahren wird.
Mitglieder des Flüchtlingsrats Sachsen-Anhalt haben Asylbewerber in Vockerode und Holzdorf besucht. „Dabei haben wir große Defizite feststellen müssen beim Zugang von Infos über das Asylverfahren, Aufenthalt und Ankommen in der BRD und zur ärztlichen Versorgung,“ heißt es in einem Brief an Landrat Jürgen Dannenberg (Linke).
Laut Cynthia Zimmermann und Christine Bölian haben die meisten Flüchtlinge keinerlei Wissen über den Ablauf ihres Asylverfahrens oder ihre Rechte. Die Frauen schlussfolgern: Das stehe im Widerspruch zum Landesaufnahmegesetz, nach dem zur Aufnahme auch Beratung gehöre.
Vize-Landrat Jörg Hartmann (CDU) widerspricht. Natürlich gebe es die Beratungen. „Ich muss aber einräumen, dass sicher nicht jeder Flüchtling alle Details eines Asylverfahrens kennt“, so Hartmann. Der Flüchtlingsrat werde noch eine Antwort auf den Brief vom 19. Mai erhalten. Allerdings wird die Verwaltung dann mitteilen müssen, dass die Forderung aus Magdeburg „nach Vergünstigungen im Nahverkehr“ zu spät kommt. Die Entscheidung zum Einkaufsbus Vockerode ist gefallen.
„Die Nachfrage ist zu gering“, begründet Firmensprecherin Kathrin Beyermann die Entscheidung am Freitag auf MZ-Anfrage. Dabei ist die Premierenfahrt noch gar nicht so lange her. Am 15. Februar 2016 gibt es die Tour zum ersten Mal. „Wir haben auf eine Entlastung des Schülerverkehrs gehofft“, erinnert sich Fabian Watzke, der Kaufmännische Leiter des Unternehmens.
Eltern hatten sich über die überfüllten Busse beschwert. Für Hunderte von Flüchtlingen, so wird noch Anfang des Jahres argumentiert, sei die Fahrgelegenheit die einzige Chance zum Einkaufen. In dem 1300-Seelen-Ort ist kein Supermarkt vorhanden. Doch das neue Angebot, so bilanziert Watzke am Freitag, wird praktisch nicht angenommen.
Deshalb zeigt auch Vockerodes Ortsbürgermeisterin Renate Luckmann (SPD) Verständnis für das Reduzieren der Fahrten. Nach ihren Angaben nutzen die Asylbewerber gerade im Sommer bei schönem Wetter lieber das Fahrrad zur Shopping-Tour. „Der Bus war eigentlich für den Winter geplant. Doch der war kein richtiger“, begründet das Gemeindeoberhaupt.
„Im Durchschnitt haben das Angebot zwei bis drei Fahrgäste genutzt. Kalkuliert hatten wir mit 20. Wir haben versucht, über den Sozialarbeiter für den Einkaufsbus zu werben“, zeigt sich Wittenbergs Vize-Landrat am Freitag bestens auf die Pressefragen präpariert.
Die falsche Prognose könnte einen simplen Grund haben: Niemand kann tatsächlich sagen, wie viele Flüchtlinge in Vockerode überhaupt leben. Natürlich gibt es offizielle Zahlen. Exakt 434 Asylbewerber - darunter 128 Menschen mit Aufenthaltstitel - wohnen in dem kleinen Ort. Diese Zahlen werden bei einem Einwohnerforum am 26. Mai vor 200 Bürgern genannt.
Diese Statistik ist aber genauso wenig haltbar wie die Politiker-Behauptung, die Flüchtlinge würden sich in Vockerode wohl und integriert fühlen. Das Gegenteil ist wohl eher der Fall. Diese Schlussfolgerung lässt ein internes Papier des Landratsamts zu. In dem Schreiben werden die Fraktionschefs des Kreistages über eine Prüfung „hinsichtlich der Belegung und des Zustandes der Wohnungen“ vom 25. Mai informiert.
„Dabei wurde festgestellt“, heißt es darin, „dass eine nicht unerhebliche Zahl von Bewohnern offensichtlich ohne Abmeldung und Schlüsselübergabe den Landkreis Wittenberg verlassen hat.“ Unter vorgehaltener Hand wird von 30 Prozent gesprochen. Für die Behörde „ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Anzahl der dort untergebrachten Personen noch verringert“.
Luckmann hat ihre eigenen Erfahrungen gemacht. „Wer bei der Wohnungssuche begleitet wird, gibt die Schlüssel zurück und meldet sich ab.“ Das heißt im Umkehrschluss: Wer alleingelassen wird mit der Jobcenter-Bürokratie ist plötzlich weg. Das ist für Menschen mit Aufenthaltstitel unproblematisch.
Für die 306 Flüchtlinge, deren Asylverfahren laufen, gibt es diese Freizügigkeit nicht. Dass sich diese Menschen „in Luft auflösen“ ist ein Unding. Vermutet werden sie in Ballungsgebieten wie Berlin. „Die kommen einmal im Monat zum Geldempfang nach Vockerode“, so Peter Müller, Fraktionschef der Freien Wähler. „Das ist eine Verwaltungssache. Wer nicht in Vockerode wohnt, darf auch keine Leistungen vom Kreis erwarten“, sagt CDU-Fraktionschef Christian Tylsch.
Die Situation ist schon jetzt sichtbar: 151 Wohnungen hat der Landkreis in Vockerode angemietet. 43 sind nicht belegt. „Das ist ein Problem“, sagt Müller. Der Landkreis wird noch auf Jahre für leerstehenden Wohnraum für die vermeintlich Untergebrachten fleißig Miete inklusive der Nebenkosten zahlen. Dagegen sind die Fahrten des Einkaufsbus nur Peanuts. (mz)