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Sternstunden in Möhlau Sternstunden in Möhlau: Hausfrauen schlagen den Weltpokalsieger im Kegeln

Von Michael Hübner 24.04.2020, 09:32
Bei der Partie zwischen Möhlau und Bamberg blieb kein Stuhl in der Kegelbahn unbesetzt.
Bei der Partie zwischen Möhlau und Bamberg blieb kein Stuhl in der Kegelbahn unbesetzt. Thomas Klitzsch

Möhlau - Die Geschichte ist kaum zu glauben: Die Möhlauer Hausfrauen, so nennt Viola Hauser ihr Team, schlagen den amtierenden Weltpokalsieger. Doch die Story stimmt. „Ich war als junger Mann live vor Ort“, bestätigt der Möhlauer Bürgermeister Marek Pannicke. „Es war spannend und aufregend“, erinnert sich Nicole Lange an das Spiel, für dass das Wort Sensation nicht mehr ausreicht.

„Niemand hat damit gerechnet“, sagt die Keglerin Lange. Kontrahent ist Anfang der Jahrtausendwende mit Bamberg das allerbeste Team des Kontinents. Die Frauen sind praktisch identisch mit der deutschen Nationalmannschaft und verdienen ihr Geld mit dem Sport.

Siegesparty ist unvergessen

Für die Möhlauerinnen, die in der Ersten Bundesliga auf Bamberg treffen, ist es eher ein Hobby. „Und alle Frauen kommen aus dem Ort“, verdeutlicht Pannicke die Dimension des Erfolgs. Und danach beweisen die Siegerinnen ihr Format auch beim Feiern. „Der Wirt hat sofort den großen Saal aufgeschlossen und kurzfristig auch noch Musik organisiert. Wir haben die ganze Nacht getanzt“, erzählt Lange.

Bei der Fete fehlen die Kontrahentinnen. Ohne zu duschen mussten die jungen Frauen nach der Niederlage im Laufschritt zum Bus. Das sind harte Sitten in einer „Drei-Viertel-Profi-Liga“. Diese Bezeichnung stammt von Rudi Pobbig. Sein Name ist sehr eng verknüpft mit den Möhlauer Bundesligazeiten. Er ist der Trainer der Mannschaft und chauffiert sein Frauen-Team durch ganz Deutschland ohne Navigationshilfe - und findet jede Kegelhalle.

Der Möhlauer schiebt seit 1959 damals noch bei Aktivist Golpa alles andere als eine ruhige Kugel. „Ich war nur ein mittelmäßiger Kegler“, sagt er gern über seine sportliche Karriere. Das ist bescheiden. Immerhin stehen Vereins- und Kreismeistertitel zu Buche. 1978 wird Pobbig Übungsleiter. Mit seinen Frauen - „Die kenne ich schon von Kindesbeinen an.“ - sorgt er für Furore in der höchsten deutschen Spielklasse. Da jedes Bundesligateam einen Schiedsrichter stellen muss, übernimmt Pobbig auch diese Aufgabe. Noch in der vergangenen Saison ist der nun 78-Jährige als Referee im Einsatz.

Und dann gibt es da noch die zweite Bamberger Geschichte. Dieses Mal reisen die Gäste als frisch gekürter Deutscher Meister an, und die Möhlauer haben sich auch schon den Klassenerhalt gesichert. Nach der Partie liegen sich die Bambergerinnen voll überschwänglicher Freude in den Armen. Schließlich führt der Favorit teilweise nur mit sechs Holz.

Am Ende hätte es sogar fast noch zu einem Sieg der Heimmannschaft gereicht, doch auch die überragende Schlusskeglerin Marina Lange (485 Holz) kann gemeinsam mit Viola Hauser (402) und den in stickiger Hitze alles gebenden Fans das Ruder nicht mehr herumreißen. Damit ist eine Serie gerissen.

21 Heimspiele in Folge sind die Pobbig-Damen in der Eliteliga ungeschlagen. Teams mit Rang, Namen und Titeln verlieren bei Glückauf. Das Bamberger Management zeigt sich trotz des Erfolgs wenig taktvoll und legt Protest ein. Und das ohne Begründung. Man werde diese schriftlich nachreichen, hieß es vielsagend. Die Möhlauer glauben, dass die Verantwortlichen die Geräuschkulisse der begeisterten Fans an den Pranger stellen wollen.

Doch es kommt noch viel schlimmer als befürchtet. Es wird eine „Rille“ in der Bahn moniert. „So ein Quark“, schimpft Nicole Lange noch heute, „die kamen einfach mit der Bahn nicht zurecht.“ Pannicke sieht das auch so: „Es gab keine Rille. Aber wer Geld hat, hat auch die Macht.“

Die Bahn wird nach einer Kontrolle für den gesamten Spielbetrieb gesperrt. 16.000 Euro werden für die Sanierung der Anlage aufgebracht. Die Investition killt aber die Heimstärke. Es ist der Anfang vom Ende einer Erfolgsgeschichte. Aber Pannicke erlebt noch sein Debüt in der Bundesliga.

In Wolfsburg spielt der Kegler aus Personalnot im Frauenteam mit. „Aber ohne Wertung“, erzählt er. Die Gastgeberinnen hatten für den Mann extra ein Röckchen in die Kabine gelegt. Pannicke lehnt das Angebot aber ab.

Comeback in der Landesklasse

In Möhlau gibt es kein Frauenteam mehr. Doch das soll sich ändern. Heike Kühn, Carola Kögler und Franziska Angerstein wagen in der neuen Serie ein Comeback. Dann wird in der Landesklasse ein Hauch von Bundesliga wehen. (mz)

Möhlau war in der Bundesliga 21 Heimspiele unbesiegt.
Möhlau war in der Bundesliga 21 Heimspiele unbesiegt.
Thomas Klitzsch