Sternstunde für Uwe Raab Sternstunde für Uwe Raab: Ein Helfer wird Weltmeister

Wittenberg - Der Kampf um das Regenbogentrikot ist 1983 in der Schweiz besonders dramatisch. „Ich war ein Helfer, ein Außenseiter. Glück und Zufall spielten eine Rolle“, erinnert sich Uwe Raab an seinen ersten großen Triumph. Dabei sieht es in der Endphase des Straßenrennens für den Lokalmatadoren Nicki Rüttimann schon gut aus. Er liegt als Ausreißer allein vorn. „Meine Aufgabe als Helfer ist es, die Verfolgung für die Favoriten zu organisieren. An den Titel hatte ich da noch nicht gedacht“, sagt der Wittenberger. Immerhin hat die DDR das Regenbogentrikot zu verteidigen. Zwölf Monate zuvor war Bernd Drogan Champion geworden.
Keine Zeit zum Taktieren
Doch Raab, der Youngster, ist auf sich allein gestellt. „Als ich mich umschaute, war niemand zu sehen“, so der Wittenberger, der Sprinter, der den Bergfahrer Rüttimann erreicht.
Zeit zum Taktieren, ähnlich wie bei einem Steher-Rennen, bleibt dem Duo nicht. „Ein polnischer Fahrer war schon in Sichtweite“, erzählt der Mann, der als 21-Jähriger sich für einen langen Sprint - „Der Schweizer fuhr defensiv.“ - entscheidet. Er riskiert alles und siegt. „Das ist noch heute auf Youtube zu sehen“, sagt Raab, der über die Unterschiede der Reporter staunt. „Die Schweizer haben sachlich und fair berichtet“, sagt der Weltmeister, der von den DDR-Journalisten euphorisch gefeiert wird.
Über Nacht gehört der Lutherstädter zur Weltelite. Dabei hat er schon zuvor bei der Friedensfahrt 1983 drei Etappen - insgesamt sind es bei sieben Rundfahrten acht Streckenabschnitte - gewonnen.
Und 1983 wird Raab von den Fans zum Sportler des Jahres in der DDR gekürt. 1984 darf er durch den Boykott der DDR nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen. 1986 holt er bei der Weltmeisterschaft Bronze beim 100-km-Mannschaftsfahren und wird Vierter des Einzelrennens. Bei den Spielen in Seoul belegt er Rang 23. Zwischen 1981 bis 1989 wird er sechsmal DDR-Meister.
„Zu meinen Sternstunden zählen aber auch die Erfolge als Profi“, so Raab, der 1989 auch persönlich eine radikale Wende vollzieht - und trotzdem in der Erfolgspur bleibt. „Es war eine schöne Zeit“, sagt er heute.
Durch seine Einsätze mit dem DDR-Auswahlteam hat er sich bereits ein Bild von dem Leben im Ausland gemacht und daher keine Schwierigkeiten, sich den veränderten Lebensbedingungen zu stellen, schätzen Experten ein. „Ich stand aber im Schatten von Uwe Ampler. Es wurden Klassementfahrer gesucht“, erinnert sich der Sprinter, der für eine niederländische Sportgruppe auf den Sattel steigt.
Euphorie und Fans in Spanien
Sein dortiger Sportlicher Leiter Jan Gisbers ist schon nach wenigen Wochen von seinem neuen Schützling begeistert. Raab sei ein bescheidener Teamgefährte, innerhalb der Mannschaft wird er schnell ein geschätzter Kollege.
Raab gelingt es nach der Wiedervereinigung als einem der ersten DDR-Sportler, als Radprofi Fuß zu fassen. Und er bleibt dabei ein Siegertyp. Bei der Vuelta gewinnt er 1990 und 1991 jeweils das Trikot des punktbesten Fahrers sowie vier Etappen.
„Darunter eine Schlussetappe nach Madrid. Damals wurden die Rennen noch im Mai gefahren. Da war es nicht so heiß wie im Sommer. Und im Herbst waren meine Kräfte nach einer langen Saison meistens aufgebraucht“, erzählt Raab, der in Spanien ein gefeierter Star ist und von seinen Fans schwärmt.
„Tausende haben meinen Namen gerufen“, so Raab, der überlegt, ob er seinen Lebensmittelpunkt in den Süden verlegt. Er entscheidet sich wegen der fehlenden Sprachkenntnisse dagegen.
Dreimal die Tour bis Paris
Raab nimmt vier Mal an der Tour de France teil. „Dreimal bin ich dabei am Ziel in Paris angekommen“, sagt Raab. Das ist, das sagt der Wittenberger aber nicht, für einen Sprinter eine respektable Quote. Raab ist auch den Giro de Italia gefahren und kann auf zwei Etappensiege bei Tirreno-Adriatico verweisen.
Der Champion, der später für das Team Telekom startet, steht für sauberen Sport. „Ja, die Teamleitung ist an mich herangetreten. Als ich abgelehnt habe, war ich weg vom Fenster, meine Karriere besiegelt“, bestätigt er am Dienstag ein Zitat auf Wikipedia.
„Plötzlich sind Fahrer, die ich immer in Griff hatte, an mir vorbeigerollt. Ich habe mich damals gegen Doping entschieden, wollte diesen Irrsinn nicht mit machen. Diese ganze Situation hat mir arg zugesetzt. Ich war kaputt im Kopf“, sagt er in einem früheren MZ-Gespräch.
Raab ist davon überzeugt, dass der Radsport durch die Dopingaffären für immer Schaden genommen hat. Der Enthusiasmus, wie zu Zeiten der Erfolge Jan Ullrichs, werde nicht mehr zurück kehren.
Spielerische Talentförderung
Auch die Begeisterung für die „Kleine Friedensfahrt“ ist Geschichte. „Talentförderung spielerisch umgesetzt“, nennt der Weltmeister das heute. Der Steppke Raab, der den Schulausscheid in der „Käthe Kollwitz“ gewinnt, fällt den Trainern beim Kreisausscheid in Rackith auf.
Doch der Schüler ignoriert die Offerten. „Ich war der Zweitdickste in meiner Klasse“, erzählt Raab. Ein Arzt rät zum Sporttreiben. „Ich habe es mit Schwimmen probiert“, so Raab. Doch die Verantwortlichen haben dem Jungen klar gemacht, dass dies keinen Sinn mache.
„Danach wollte ich mit Sport nichts mehr tun haben“, so der Weltmeister. Sein Sportlehrer habe ihm dann Radrennen empfohlen. „Erst 14 Jahre später habe ich erfahren, dass hinter dem Vorschlag mein Vater steckte“, erzählt er. Der Elfjährige bestreitet im Piesteritzer Volkspark seinen Premieren-Wettkampf.
Die Athleten auf den ersten acht Plätzen erhalten bei der Siegerehrung Erinnerungsschleifen. „Ich wurde Siebter. Und war sehr stolz. Ich hatte Blut geleckt“, erzählt er. Und die BSG Chemie stellt ihren Talenten ein Rennrad, das die Kinder zur Pflege mit nach Hause nehmen durften, zur Verfügung.
Noch heute dreht sich bei Raab - inzwischen 58-jährig - alles ums Rad. Er arbeitet im Home Office für die amerikanische Fahrradindustrie. (mz)

