"Sprechstunde" in Evangelischer Akademie "Sprechstunde" in Evangelischer Akademie: Der Krieg flieht im Kopf mit

Wittenberg - „Kinderseelen, die nur Inferno kennen“, so titelte ein Beitrag von Sven Stockrahm in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Er sparte nicht mit grausamen Fallbeispielen aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Die Schicksale „nähren auch die Angst“, dass eine „verrohte und gewalttätige Generation“ heranwächst.
Einen sanften, fast schüchternen Eindruck macht Jassem Jassem: Der aus Aleppo stammende junge Mann, studierter Biologe, lebt inzwischen in Wittenberg. Dort steht er am Dienstagabend in der Evangelischen Akademie und sagt über die Situation von Flüchtlingen in Deutschland: Die Sprache ist schwierig, die Kultur, die Behördenstrukturen - alles ist neu.
Von Kriegsgräuel spricht er nicht, doch sagt er: „Traumahelfer sind wichtig für Flüchtlinge.“
Um die geht es bei dieser Veranstaltung, die in der Reihe „Sprechstunde“ stattfindet und eine Kooperation ist vom Campus-Verein Wittenberg mit der Akademie und der Salus-Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort angesiedelt ist eine Institutsambulanz, in der das Traumahelfer-Projekt „adaptiert“ wurde, wie es der Kinderpsychiater Joachim Perlberg formuliert.
Bei der Ausbildung der Traumahelfer kooperiert Joachim Perlberg von der Salus-Tagesklinik in Wittenberg mit Kaya Bruchhäuser vom heilpädagogischen Reithof „Maruschka“ in Meuselko. Im Juni und Juli soll dort ein Sommercamp mit Traumahelfern stattfinden, so Perlberg. Der Kinder- und Jugendpsychiater arbeitet auf Basis des von dem Medizinprofessor Thomas Loew entwickelten Traumahelfer-Curriculums. Das nächste findet im Herbst in Wittenberg statt. Finanziell gefördert werde die Ausbildung u. a. vom Fachdienst Gesundheit des Kreises und mit Spenden.
Aktuell gebe es zwei Neuvorstellungen pro Woche, einige Kinder und Jugendliche (sie machen, so Amtsarzt Michael Hable, 300 bis 400 der etwa 1 300 im Kreis lebenden Flüchtlinge aus, die MZ berichtete) weisen allgemeine Stresssymptome und „offene oder verdeckte Traumafolgestörungen“ auf.
Seit Januar 2017 bestehen zwei „feste, geschlossene“ Traumagruppen mit je zehn Mädchen und Jungen. Laut Perlberg gibt es derzeit 75 Traumahelfer in Wittenberg und Umgebung, die meisten sind Frauen. Zu ihren Ausbildungsinhalten gehören neurobiologische Grundlagen, kinder-spezifische Traumasymptome und Informationen dazu, wie ein Gehirn funktioniert, „wenn es im Kriegszustand ist“.
Letzteres erforscht und das Traumahelfer-Konzept entwickelt hat der Regensburger Medizinprofessor Thomas Loew. Unter der Überschrift „Kriegsschauplatz Gehirn“ erläutert er am Dienstag komplexe Zusammenhänge und Abläufe im Oberstübchen.
Loew spielt Kurzfilme aus der Forschung vor, einer veranschaulicht, worum es geht: Ein syrisches Mädchen im sicheren Deutschland gerät angesichts eines Flugzeuges in Panik...
Abgesehen davon, dass diesen Kindern um ihrer selbst willen geholfen werden muss, sei deren Stabilisierung, sagen wir einmal, auch gut fürs Gemeinwohl und den sozialen Frieden hierzulande, wenn man davon ausgeht, dass etliche Flüchtlinge bleiben werden. Was es noch gibt in dieser „Sprechstunde“? Eine einfühlsame Moderation durch Susanne Faby (Akademie).
Ein paar Statements im Podium von Amtsarzt Hable („Ich denke, wir machen das hier schon ganz gut“) und von Sven Richter vom Kreis-Fachdienst Asyl („Wir haben personell ein Problem, die Massen der Geflüchteten zu betreuen“). Außerdem: Wenige Wortmeldungen aus dem (immerhin zahlreich erschienenen) Publikum. Und Christine Grabbe (Campus-Verein), die um 20 Uhr gesteht, sie werde „mit verändertem Bewusstsein nach Hause gehen“.
Ansonsten, so viel Zeit muss sein, hätte dem Podium ein Vertreter derer gut gestanden, um die es über zwei Stunden ging: ein Traumahelfer aus Wittenberg. (mz)