Ortschronistin in Radis Ortschronistin in Radis: Isabella Weber stöbert nicht nur in alten Akten

Radis - Isabella Weber ist ziemlich neu im „Geschäft“ der Ortschronisten. Vor drei Jahren hat die gelernte Elektrozeichnerin für Starkstromanlagen angefangen, die Geschichte des Kemberger Ortsteiles Radis genauer unter die Lupe zu nehmen - und hat für sich eine neue Leidenschaft entdeckt.
„Schon nach den ersten Recherchen merkte ich, was für eine Wahnsinns-Geschichte Radis hat. Das ist so interessant und faszinierend“, schwärmt die 67-Jährige von der „komprimierten Historie“ des Ortes. Der könne, was berühmte Frauen und Männer angeht, durchaus mit manch größerer Stadt mithalten. „Wir haben sieben Radiser Originale“, sagt sie und nennt damit auch den Titel einer von ihr erarbeiteten Broschüren-Reihe, von der vier Bände vor einem Jahr erschienen sind.
„Johann Gottfried Galle, der Entdecker des Planeten Neptun, der 1812 im Radiser Pabsthaus geboren wurde, ist wohl der bekannteste“, erzählt die gebürtige Chemnitzerin, die auch das Leben und Wirken von Wilhelm Traugott Krug und Balthasar Geyder broschürenreif aufgearbeitet hat. Krug, 1770 als Sohn des Rittergutspächters in Radis geboren, war an den Universitäten Königsberg (als Nachfolger von Immanuel Kant) und Leipzig tätig.
Um Geschichte und Geschichten aus Radis möglichst einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen, bietet Isabella Weber auch zwei interessante Erlebnis-Projekte an.
Auf dem Planetenweg begleitet sie Interessierte vom Pabst-Haus zum Galle-Stein. „Dieser Weg entspricht mit seiner Länge von 4,5 Kilometern im Maßstab von eins zu einer Milliarde genau der Entfernung von der Sonne bis zum Neptun und ist so in Sachsen-Anhalt einmalig“, sagt Isabella Weber. Unterwegs stellt sie Quizfragen - auch zu den kleinen Tafeln, die entlang des Lehrpfades Informationen über die anderen Planeten unseres Sonnensystems vermitteln. Schulklassen können bei ihr ein sehr interessantes Projekt erleben und in die Schulzeit vor über 150 Jahren eintauchen.
Er unterstützte damals schon die „staatsbürgerliche Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften“. Geyder, 1681 in Bayern geboren, war Theologe und Autor und prägte 57 Jahre als Pastor das Leben in Radis.
Weiterhin entstanden ein 205 Seiten umfassendes Werk, das mit Erinnerungen der vor über 100 Jahren in Radis geborenen Bäuerin, Organistin und Schriftstellerin Maria Richter hochinteressante Einblicke in das Leben der Radiser Altvorderen gibt, und ein Koch- und Backbuch, das auf handgeschriebenen Rezepten der Radiserin Eleonore Freifrau von Bodenhausen beruht.
Doch nicht nur Radiser Originale, zu denen auch die Bildhauerin und Keramikerin Gertraud Maiwald (1929 - 2002), der Philologe und Pädagoge Gottfried Fähse (1764 - 1831) und der Theologe Simon Christian Friedrich Gottlieb gehören, faszinieren die semiprofessionelle Historikerin, die vor 18 Jahren von Chemnitz nach Radis zog.
„Ich wollte damals einen Neuanfang und aufs Dorf“, erzählt die Chronistin von guten Freunden aus Radis, die sie zum Umzug bewogen. Trotz Arbeitslosigkeit, Hartz IV und verschiedenen Maßnahmen, bei denen sie auch im Radiser Dorfgemeinschaftshaus (DGH) putzte - bereut hat sie den Schritt nie.
Es war Ortsbürgermeisterin Evelin Erdmann (CDU), die sie für die Geschichte des Ortes interessierte. „2010 fragte sie mich, ob ich gern fotografiere und eine paar Bilder für eine Ausstellung machen würde, die Ansichten des Dorfes von 1990 mit denen von 2010 gegenüberstellten“, erzählt Isabella Weber von der Exposition im DGH, die auf viel Interesse stieß.
Als ihr Chronisten-Vorgänger aus beruflichen Gründen aufhörte, setzte die Ortsbürgermeisterin wieder auf Isabella Weber. Die recherchiert mittlerweile nicht nur im Internet und in alten Akten. Mit der Männerrunde, die sich regelmäßig zum Spielen im DGH trifft, hat sie eine ungewöhnliche, aber sehr ergiebige Quelle angezapft, die sie regelmäßig mit Geschichten aus und über Radis versorgt.
„Das ist eine wahre Fundgrube“, sagt Isabella Weber, die davon träumt, mal im Wernigeröder Staatsarchiv zu stöbern. „Dort stehen 11,5 Meter Akten - nur von Radis. Und keiner weiß, was da alles noch ans Tageslicht kommt“, so Isabella Weber.
Weitere Infos und Kontakt unter Telefon 03953/3 95 95 bzw. [email protected]. (mz)