Proteste gegen Milchpreise in Coswig Landkreis Wittenberg Anhalt-Bitterfeld und Dessau: Bauernprotest gegen Preispolitik
Coswig - Was bleibt nach einem guten Frühstück für den Erzeuger, den Landwirt also? Vom Brötchen hat er einen Cent, auch einen von der Portion Marmelade und vom Käse 25 Cent. Vom Liter Milch landen 23 Cent auf dem Hof. Im Laden gibt es sie für 55 Cent. Davon kann man nicht leben, beim Milchgeschäft zahlt man zu. „Wir können nur überleben, weil uns die Banken noch Geld geben“, sagt Andreas Hansen.
Am Mittwoch steht der Vorstandschef der Agrargenossenschaft Eutzsch am Rand eines Ackers vor den Toren Coswigs. Landwirte aus Wittenberg, Anhalt-Bitterfeld und Dessau-Roßlau haben die Straße am Zentrallager des Netto Marken-Discounts als Kundgebungs- und Übergabeort für eine Protestnote gewählt. Aufgerufen hatte dazu der Deutsche Bauernverband, der mit solchen Aktionen bundesweit auf die existenzbedrohende Lage der Landwirte aufmerksam machen wollte.
Mit einer Presseinformation reagierte Netto Marken-Discount am Mittwoch auf die Proteste der Landwirte. Man setze „auf partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Landwirten“ heißt es darin und nehme die Sorgen ernst. „Die Milchprodukte des Eigenmarkensortiments bekommt Netto direkt von ausgewählten Molkereien. Somit arbeitet das Handelsunternehmen für diese Warengruppe nicht direkt mit Landwirten zusammen und hat auf Grund dessen nur begrenzt Einfluss auf die Preisgestaltung“, weist das Unternehmen Verantwortung von sich und führt angesichts der Milchpreis-Debatte aus, dass „die Preise gemäß Angebot und Nachfrage von den internationalen Märkten abhängig sind und entsprechend schwanken“.
Netto Marken-Discount räume der Zusammenarbeit mit regionalen Lieferanten einen hohen Stellenwert ein, wird versichert. Als Beispiel wird die Initiative „Ein Herz für Erzeuger“ angeführt, innerhalb derer seit 2008 Lebensmittel aus deutscher Produktion mit einem Aufschlag von zehn Cent verkauft werden und diese Zulage an Erzeuger weitergeleitet wird. 2014 hat Netto dadurch rund 3,3 Millionen Euro an Landwirte gezahlt. Mit einigen Eigenmarken könnten Molkereien höhere Erträge durch höhere Vermarktungspreise erzielen. Es sei aber sicher zu stellen, dass die Erlöse an die Erzeuger weitergegeben werden. „Diese Forderung, die auch der Bauernverband erhoben hat, unterstützt Netto mit Nachdruck“, informiert die Firma. (mz/ihi)
30 Traktoren haben am Netto-Parkplatz Stellung bezogen, Transparente sind entrollt. Freundlich nimmt Netto-Logistikleiter Dirk Buro die Protestnote der Bauern entgegen. Eine Stellungnahme will er nicht abgeben und verschwindet wieder auf das Firmengelände.
„Das haben wir nicht anders erwartet“, sagt Hartmut Steiner. Der Vorsitzende des Bauernverbandes Wittenberg hatte zuvor das Megaphon in der Hand und die Forderungen der Landwirte verlesen. Die wollen nicht mehr und nicht weniger als eine gerechte Bezahlung ihrer Arbeit. Diese gibt es seit vielen Monaten nicht mehr, seit die Verbraucherpreise für Milch im ständigen Fall begriffen sind. „Der Handel missbraucht unsere Produkte als Lockangebote“, sagt Steiner. Die Erzeugerpreise seien seit 2013 bei Milch von 37,5 Cent pro Liter auf heute 23 Cent gefallen. 35 Cent würden die Bauern fürs Überleben benötigen, ohne Gewinn zu erzielen. Ihre Forderungen liegen bei 40 Cent pro Liter. Nur dann könnte man Tierwohl und Investitionen berücksichtigen. Nur weil Landwirte mehrgleisig fahren und die Differenzen durch Feldwirtschaft ausgleichen, ist ihnen derzeit das Überleben möglich. Aber nicht alle schaffen das. Christian Apprecht, Sprecher des Bauernverbandes Sachsen-Anhalt, nennt aktuell 391 Betriebe im Land, die Milchwirtschaft betreiben. 2015 waren es noch 420. „Es mussten bereits einige ihren Betriebszweig Milchproduktion einstellen“, sagt er.
„Das Tal, das wir derzeit durchlaufen, ist schon ewig lang“, hat auch Maik Bilke vom Selbitzer Landwirtschaftsbetrieb die Nase von der aktuellen Preispolitik voll. Laut Andreas Hansen würden im Eutzscher Betrieb rund 65 000 Euro im Monat fehlen, weil der Milchaufkaufpreis derart niedrig ist. „Ein Zuschussgeschäft“, sagt er bitter. Bilke, Hansen und auch Volker Ziegler aus Wörlitz kamen Mittwoch deshalb ganz selbstverständlich zum Protest nach Coswig und sind bereit für kommende Aktionen, die Hartmut Steiner schon mal ankündigt.
Dabei sind die Landwirte sicher, dass die Verbraucher durchaus höhere Preise akzeptieren würden. „Aber wir sind die Restgeldempfänger der Nation“, meint Steiner. Vor dem Netto-Zentrallager hoffen die Teilnehmer, dass ihr Appell an die Verantwortung der Lebensmitteldiscounter und -händler gehört wird. Sollte dies nicht so sein, werden die Bauern weiter von sich hören lassen. (mz)