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Kanu Kanu: Helga Freund erkämpft in Auckland fünf Gold- und fünf Silbermedaillen

Von Michael Hübner 29.05.2017, 09:19
Helga Freund trainiert wieder auf der Elbe.
Helga Freund trainiert wieder auf der Elbe. Thomas Klitzsch

wittenberg - Weltmeister haben es auch nicht leicht - besonders das Handgepäck kann schwer sein. Helga Freund kennt die Situation. Die Wittenbergerin fällt dem Sicherheitspersonal am Flughafen in Auckland (Neuseeland) auf. „Das ist mitunter unangenehm“, sagt die 63-Jährige.

Sie möchte mit 1,2 Kilogram Edelmetall die Heimreise antreten. Die Beamten untersuchen fünf Gold- und fünf Silbermedaillen.

Drama um vergessenes Paddel

Wittenbergs erfolgreiche Sportlerin - Freund hat inzwischen 30 WM-Titel geholt - hat bei den Kanu-Weltmeisterschaften die Konkurrenz erneut das Fürchten gelehrt.

Besonders dramatisch wird es für das Aushängeschild der Wassersportgemeinschaft Wittenberg im Marathon-Rennen. Bei der 13-Kilometer-Distanz muss nach jeweils 4.000 Metern eine Strecke an Land im Sprint absolviert werden. „Dazu wird das Kanu geschultert“, berichtet Freund, die sich für die Wettkämpfe ein 37 cm schmales und etwa zwölf Kilogramm schweres Kanu vor Ort mietet.

Helga Freund hat bei den World Games, die alle vier Jahre stattfinden, bereits insgesamt 30 Gold-, 15 Silber- und zehn Bronzemedaillen erkämpft. Dieses Edelmetall hat für die Athletin der Wassersportgemeinschaft Wittenberg (WSG) die „höchste Wertigkeit“.

Der ICF, der internationale Kanuverband, führt aber auch eigene Welt- und Europameisterschaften durch. Auch hier lehrt die Kanutin aus Wittenberg die Konkurrenz das Fürchten. Allerdings hat sie ihre Medaillen nicht gezählt. Ihr Wissen über Wasser und besonders über die Elbe rettet aber auch Leben.

Die 63-Jährige ist Rettungsschwimmerin bei der DLRG und engagiert sich im Vorstand der WSG für den ganzen Verein.

Ihr spezielles Paddel - ein linksgedrehtes - hat sie trotz des staunenden Personals beim Check In aus der Lutherstadt mitgebracht. Freund geht den langen Kanten ungewohnt forsch - fast im Sprintstil - an. Zur Hälfte der Distanz hört sie ihren Ehemann rufen. So weiß sie, dass sie klar vorn liegt, als ein Missgeschick alles in Frage stellt.

„Das ist mir seit zehn Jahren nicht mehr passiert“, so Freund. Sie kentert. Sofort sind Rettungskräfte zur Stelle. Die Wittenbergerin ruft „No help!“ Sie fürchtet - das ist in einem solchen Fall die Regel - die Disqualifikation.

Was die Athletin aber nicht weiß: Die Jury hat in Anbetracht der hohen Wellen längst die Unterstützung zugelassen. Aber Freund meistert alles aus eigener Kraft und legt sich wieder ins Zeug. Es wird trotz des Malheurs ein Triumphzug. Die Konkurrentin aus dem Gastgeberland hat am Ende einen Rückstand von über zehn Minuten.

Die Emotionen zwischen Rennen und der Siegerehrung lässt die Wittenbergerin alles vergessen - vor allem ihr Paddel. Das ist plötzlich spurlos verschwunden und setzt hinter die folgenden Wettkämpfe ein dickes Fragezeichen. Die Suche nach dem wichtigen Utensil, an dem sich Sportler aus der ganzen Welt beteiligen, bleibt ergebnislos.

Getüftelt wird bereits an einem Plan B. Ein Leipziger will sein Paddel leihweise zur Verfügung stellen. Es werden bereits Wettkampfzeiten verglichen, als sich doch noch alles aufklärt. Der Sportlerin, die sich sehr gesund ernährt, wird vor der Siegerehrung der Heißhunger auf eine deutsche Bratwurst - „Schmeckt eben besser als die Neuseeländischen“ - zum Verhängnis.

Sie lässt das Paddel am Imbiss stehen. Der Landsmann schließt das wertvolle Stück ein. Und so geht es mit dem eigenen Material weiter auf die Jagd nach Edelmetall. Im K 1 über die 1.000 Meter gibt sich Freund ihrer Dauerrivalin aus Russland geschlagen. „Wie vor vier Jahren“, ärgert sich Freund.

Im K 2 Mixed gibt es über die gleiche Distanz mit ihrem deutschen Partner Gold. Im K 1 über 500 Meter wird es wieder Silber, im K 2 Mixed wird es erneut Gold. Sie erhält auch eine Einladung von einem Australier zum K 2 über 200 m. Das Duo schafft prompt Gold.

Und die Russin, die Dauerrivalin, lädt sie ins Drachenboot ein. Die internationale Besatzung schafft sofort Gold. Bei jedem Wettkampf, an dem Freund an den Start geht, gibt es mindestens Silber: zehn Starts, zehn Medaillen.

Training auf schwerem Wasser

Inzwischen wird wieder auf der Wittenberger Elbe trainiert - sechsmal die Woche bei Wind und Wetter. Helga Freund wird bis zur nächsten Weltmeisterschaft, den World Games, in vier Jahren in Japan wieder 6.000 Kilometer auf der Elbe „auf schwerem Wasser“ zurückgelegt haben.

Sprache lernen - „Zu schwer“ - gehört dieses Mal nicht zur Vorbereitung. Trotzdem soll der Trip nach Asien zu einem weiteren Höhepunkt einer Karriere werden, die mit zehn Jahren in Piesteritz beginnt.

In der DDR erkämpft Freund mit 19 Jahren den Vizemeistertitel. Danach setzt sie aus - mit Familie und Beruf werden andere Prioritäten gesetzt. 2003 folgt das furiose Comeback. „Sportmediziner haben recht. Der Körper erinnert sich, was er einmal gelernt hat“, so die Kanutin, die in ihrer Altersklasse in Deutschland fast konkurrenzlos ist. Sie misst sich deshalb in der Frauenklasse. Und dabei lässt sie viel jüngere Damen hinter sich.

(mz)