Johanna Dannenberg in Nicaragua Johanna Dannenberg in Nicaragua: Unberührtes Glücklichsein
Nicaragua - Bei meiner Abreise aus Deutschland wusste ich selbst kaum etwas über Nicaragua. Im Vergleich zu den Nachbarländern Costa Rica und Panama wurde es aber immer als „unberührter“ dargestellt Genau das wollte ich sehen : unberührte Natur. Dass dies auch eine „unberührte“ Lebensweise der Menschen bedeutet, so weit hatte ich vorher einfach nicht gedacht.
Ein ganz prägendes Erlebnis war für mich deshalb der Besuch bei meiner Gast-Oma „auf dem Land“. Sie wohnt in einer Hütte in den Bergen, von wo das nächste Örtchen , in dem man die einfachsten Lebensmittel kaufen kann, nur in einem fast zweistündigen Fußmarsch über einen Geröllweg zu erreichen.
Der Weg dorthin ist teilweise so steil, dass ihn nur erfahrene Jeepfahrer bewältigen können und er eher von Pferden oder zu Fuß passiert wird. Schon die Busfahrt zu dem „naheliegenden“ Örtchen fand auf abenteuerlichen Straßen statt. Wenn sich auf dem Weg die Bäume lichteten, boten sich ganz besondere Anblicke. Neben Feldern in unterschiedlichen Höhen waren Wälder, Weiden und verschiedene Lichtspiele der untergehenden Sonne zwischen den Bergspitzen zu sehen sowie hin und wieder eine kleine Hütte.
Johanna Dannenberg aus Mühlanger hat mit 19 Jahren nach dem Abitur in Nicaragua ein freiwilliges soziales Jahr angetreten. In der MZ berichtete sie in mehreren Folgen über über ihre Erwartungen und ihre Erlbenisse, über ihr Leben in der Großfamilie, über ihren Einsatz in der Kinderbibliothek Ocotal im Norden des Landes, über ihre Reisen durch das Land.
Johanna würde sich über jegliche Art von Anregungen, Gedanken und Fragen zu ihren Berichten und Erfahrungen mit dem Freiwilligendienst in Nicaragua, freuen, die per E-Mail gesendet werden: [email protected]
Ich war mit gemischten Gefühlen unterwegs, weil ich einerseits nicht wusste, was mich erwartete, aber alles auch so spannend und aufregend war. Vor allem wollte ich unbedingt diese Erfahrung machen, so „unberührt“ zu wohnen. Ich habe die Oma von Anfang an ins Herz geschlossen. Jedes Mal, wenn meine Gastmutter mit ihr telefoniert hatte, ließ sie mir liebe Grüße ausrichten.
Der lange Fußweg zur Hütte der Oma tat mir gut, um mich auf die folgenden Tage einzustimmen. Die Hütte steht mitten in einem Wald von vielen Zitrusbäumen, die aber leider erst wenig reife Früchte trugen.
Mit Hühnern und Katzen
Neben der Oma und einem ihrer Söhne wohnen noch über 20 Hühnern, Enten, zwei Truthähne, ein Hund und Katzen in der aus Holzbrettern zusammengezimmerten Hütte. Diese gleicht eher einem Stall, da auch die Tiere dort mit ein- und ausspazieren und dabei die natürliche Bodenreinigung übernehmen, indem sie sich an den runterfallenden Essensresten bedienen.
Einen befestigten Boden und Elektrogeräte, außer einem Radio, gibt es keine, wohl aber etwas Licht für die dunklen Abendstunden. Mein Bett war eine Holzpritsche mit Laken darauf. Ich bekam aber sogar eine neue, noch verpackte weiche, dickere Decke, weil es nachts ziemlich frisch wurde. Normalerweise schlafe ich gern auf der Seite, doch musste ich in der Nacht meine Liegeposition manchmal wechseln, weil das Holz hart war.
Morgens deckte ich mein Bett mit einem Laken ab, da es den Hühnern anscheinend gefiel, darauf herumzuspazieren. Die Oma kocht, wie auch meine Gastmutter zu Hause, auf einem zementierten Holzofen, der oben ein Loch hat, wo man den Topf darauf stellt.
Für mich war auch besonders interessant zu sehen, wie alles per Hand selbst gemacht wurde. So durfte ich selbst die kleine Maismühle kurbeln, um Maismasse zu erzeugen. In Ocotal bringt meine Gastschwester den gekochten und gewaschenen Mais immer zu einer Frau, wo der Mais mit einer elektrisch betriebenen Mühle zu einer Maismasse gemahlen wird. Diese wird zum größten Teil zu Tortillas verarbeitet, Maisfladen, die es eigentlich zu jeder Mahlzeit dazu gibt.
Erlebnis-Dusche
Die Toilette der Oma ist ein Plumpsklo mitten im Grünen, mit vier Blechwänden drum herum. Den ersten Tag begrüßte mich dort gleich eine kleinere Tarantel, weshalb ich in den folgenden Tagen immer erst einmal genau schaute, welche Tierchen dort unterwegs waren. Auch das Waschen, war immer ein besonderes Erlebnis.
Die „Dusche“ besteht aus ein paar Holzbrettern, die als viereckiges Gestell angeordnet und mit Plasteplanen abgedeckt sind. Ich hatte von dort drinnen einen besonders grünen Ausblick, weil ich etwas zu groß war, was daran liegt, dass die Leute hier im Durchschnitt etwas kleiner sind. Gewaschen wird folgendermaßen: Es gibt einen Eimer, aus dem man sich sein Waschwasser mit einer Schüssel schöpft und über sich gießt.
Ich habe vorzugsweise zur Mittagszeit geduscht, damit es keine so große Überwindung ist, sich das kalte Quellwasser überzukippen.
Sehr überrascht hat es mich, dass mir sehr schnell das Gefühl von Raum und Zeit verloren gegangen ist. Wir sind aufgestanden, als es draußen richtig hell war (zwischen 6 und 7 Uhr) und bald nach dem Dunkelwerden schlafen gegangen (zwischen 19 und 20 Uhr). Außer mir hatte dort auch keiner eine Uhr. Wenn sie wissen wollten, wie spät es war, haben sie das Radio angemacht, weil dort gefühlt aller zwei Minuten die Uhrzeit angesagt wird.
Alles, was wichtig ist
Es kam mir so vor, als gäbe es nicht viel mehr, als die Hütte und das ganze Grün drum herum. Die Welt erschien mir auf einmal viel kleiner. Aber genau deshalb nahm ich alles ganz genau mit meinen Sinnen war, mir fielen mehr Kleinigkeiten auf und ich nahm alles plötzlich viel bewusster war.
Es kam mir so vor, als ob ich intensiver lebte. Und langsam fing ich an zu verstehen, warum die Oma total glücklich in ihrer Hütte ist und nie weg wollte. Es ist wie ein Leben ohne alles, und doch mit allem, was wichtig ist. Ich bewundere diese Frau, wie sie auch noch mit über 100 Jahren die Maismühle selbst kurbelt, wie sie morgens vor 5 Uhr aufsteht, den ganzen Tag auf den Beinen ist dennoch und so viel Lebensfreude ausstrahlt. Sie redet mit den Tieren, kann aber auch herzlich über das Leben und seine Macken lachen.
Ich weiß nicht wie lange es her ist, dass ich das letzte Mal so viel Zeit zum Lesen hatte. Ab und zu habe ich auch jonglieren geübt, zur Freude der Kinder, oder wir haben gemeinsam Spiele gespielt wie „Feuer, Wasser, Sand“, wobei die Kinder besonders viel Spaß bei der höheren Schwierigkeitsstufe auf Deutsch hatten. Für einen Tag kam auch ein Bekannter zu Besuch mit seinem Pferd, welches ich reiten durfte.
So kam ich nach einer Woche voller intensiver Erfahrungen wieder nach Ocotal zurück, zwar mit dem Wissen, dass sich dieses Leben sehr ungewohnt für mich anfühlt und dass es dort viele Flöhe gibt, meinen tausend roten, juckenden Flecken nach zu urteilen, aber mit dem Bewusstsein, dass die Oma und ihre Lebensweise für mich „unberührtes Glücklich-Sein“ verkörpern.
(mz)