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Bestattung im Friedwald Bestattung im Friedwald: Vorbereitet auf den Tod

Von Alexander Schierholz 29.06.2018, 08:00
Brigitte Meinhold hat eine besondere Beziehung zu Bäumen und Holz: Ihr Vater war Tischler.
Brigitte Meinhold hat eine besondere Beziehung zu Bäumen und Holz: Ihr Vater war Tischler. Thomas Klitzsch

Sie hat eine Weile gebraucht, bis sie „ihren“ Baum gefunden hat. Sie entschied sich für eine Rotbuche, weil sie deren Holz mag. Davon gibt es nur wenige in dem Waldgebiet zwischen Oranienbaum und Vockerode (Kreis Wittenberg).

Sie ist lange mit dem Förster durch den Wald gegangen, hin und her, schließlich hat sie ihre Wahl getroffen. Wenn Brigitte Meinhold, 63, dereinst stirbt, wird sie sich also unter „ihrer“ Rotbuche bestatten lassen. Ihre Asche wird sich mit dem Waldboden vermischen, wenn sich die biologisch abbaubare Urne zersetzt hat.

Irgendwie wird sie dann immer noch da sein, denkt sie. „Im Wald stirbt nichts, alles kommt wieder. Das ist doch eine schöne Vorstellung.“ Der ewige Kreislauf des Lebens.

Immer mehr Menschen wollen wie Meinhold ihre letzte Ruhestätte nicht auf einem Friedhof finden, sondern in einem Friedwald. Oder in einem Friedpark. Oder in einem Ruhehain. Es gibt verschiedene Bezeichnungen dafür, sich nach der Einäscherung unter einem Baum mitten im Wald beisetzen zu lassen.

Im Dessau-Wörlitzer Friedwald bei Oranienbaum stehen auf zwölf Hektar 1.500 Bäume zur Verfügung, meist Eichen und Weißbuchen, aber auch Ahorn oder Birken. Rund 1.700 Menschen haben seit der Eröffnung 2008 hier die letzte Ruhe gefunden, weitere 3.200 haben sich bereits einen Begräbnisplatz reserviert.

Die Differenz zur Anzahl der Bäume erklärt sich dadurch, dass unter einem Baum bis zu zehn Urnen beigesetzt werden können. Christian Hojenski, 65, vergibt 200 Bäume im Jahr, Tendenz steigend.

Oft ist die Ruhezeit hier deutlich länger als auf herkömmlichen Friedhöfen - in Oranienbaum sind es 99 Jahre seit der Eröffnung 2008. Dort reichen die Preise von 490 Euro für einen Platz mit verkürzter Ruhezeit bis zu 6.350 Euro für einen Familienbaum. Die Beisetzung selbst kostet 350 Euro.

Hojenski, grüne Kluft, Hut, Schnauzer und Lachfalten um die Augen, kümmert sich als Förster um den Friedwald, der auf das Zehnfache seiner jetzigen Fläche vergrößert werden kann. In 60 Jahren, schätzt er, werde es soweit sein.

Friedwald im Kreis Wittenberg: Bestattungskultur in Deutschland verändert sich

So wie sich die Gesellschaft verändert, so verändert sich auch die Bestattungskultur. „Es leben halt nicht mehr drei Generationen unter einem Dach“, sagt der Förster. Viele, die er bei der Auswahl eines Baumes berät, wollen kein Grab auf dem Friedhof, weil sie ihren Kindern die Pflege nicht zumuten wollen. Oder nicht können, weil die Kinder längst weit weg sind.

Manchen ist der finanzielle Aspekt wichtig - eine Baum- kann unter Umständen günstiger sein als eine Erdbestattung. „Und als wir angefangen haben, kamen viele Naturfreaks“, so Hojenski.

Baumbestattungen - das klingt nach „zurück zur Natur“. Doch auch die Anbieter dieser Bestattungsform können sich dem Trend zur Digitalisierung nicht entziehen - und wollen es wohl auch gar nicht. Auch im Friedwald kann der Begräbnisbaum online gebucht werden. Und einen Facebook-Auftritt gibt es natürlich auch.

Brigitte Meinhold ist Ärztin, lange hat sie als Onkologin gearbeitet. Oft hat sie erlebt, wie gestresst Angehörige waren, die sich nach dem Tod eines geliebten Menschen um die Beerdigung kümmern und feststellen mussten, dass der Patient nichts vorbereitet hatte für den Fall seines Todes - kein letzter Wille, keine Vorstellung, wie Begräbnis oder Trauerfeier ablaufen sollen.

„Wir machen uns viel zu selten Gedanken über den Tod und über das Sterben“, sagt Meinhold. Auch sie hat über diese großen Fragen lange nicht nachgedacht, trotz ihrer beruflichen Erfahrungen. Bis vor vier Jahren ihre Mutter starb. Für Meinhold war das ein Schlüsselerlebnis. Sie beschloss: Ich will vorbereitet sein auf den Tod.

Brigitte Meinhold möchte einmal eingeäschert werden. Und ihre letzte Ruhe nicht auf einem Friedhof finden. Einmal hat sie sich auf einem Friedhof ein Urnengräberfeld angeschaut. Blumen und Kränze durfte man dort nur am Rand ablegen, dennoch hatten Angehörige den Grabschmuck unbedacht über die Fläche verstreut. Da beschloss sie: ohne mich. „Das entspricht nicht meinen Vorstellungen von Erinnerung.“

Also fing sie an, sich mit alternativen Bestattungsformen zu beschäftigen. Seebestattung schied aus. „Meine Kinder sollen einen Ort haben, an den sie jederzeit kommen können.“ So kam sie auf den Wald, der sie schon als Kind geprägt hat, mit einem Tischler als Vater. „Ich bin quasi zwischen Bäumen und Hobelspänen aufgewachsen.“

Brigitte Meinhold hat im Dessau-Wörlitzer Friedwald einen Familienbaum gewählt - zehn Grabplätze, reserviert für Familie und Freunde. „Ich möchte meinen Töchtern eine Option offenhalten“, sagt sie. Verwandte, Freunde, Kollegen - viele hätten sie anfangs für verrückt gehalten, doch das habe sich gegeben. Ein befreundetes Paar hat sich mittlerweile auch für Brigitte Meinholds Rotbuche entschieden.

Auf den ersten Blick wirkt der Friedwald wie ein ganz normaler Wald. Ein schmaler Fahrweg führt von der B 107 etwa zwei Kilometer lang zum Ziel, Schilder weisen die Route. Dann ein Parkplatz, Info-Tafeln, ein Weg mitten hinein in den Wald, rechts und links dominieren hohe Eichen und niedrigere Weißbuchen. Das Knirschen der Schritte auf dem Weg mischt sich mit Vogelgezwitscher.

Ab und an sind Baumstämme mit Bändern in blau, gelb oder rot umgürtet - das sind die Begräbnisbäume. Jede Farbe steht für eine andere Variante. Familienbäume sind blau gekennzeichnet, Gemeinschaftsbäume gelb. Letztere weisen auch zehn Grabplätze auf, man kann aber jeweils nur einen kaufen, wird also gemeinsam mit Fremden bestattet. Das rote Band kennzeichnet eine Sonderform, bei der zwei Plätze bezahlt werden, es aber eine Option auf weitere gibt.

Kleine Metallschilder am Baumstamm, gefertigt aus einer nicht-rostenden Legierung, ersetzen den Grabstein. Weiß auf schwarz sind Name, Geburts- und Sterbedatum eingraviert. Beim Familienbaum kann auf Wunsch noch ein Spruch oder ein Bild hinzugefügt werden. Ein Musterbaum, eine knorrige Eiche, zeigt, was alles möglich ist. Ihr Stamm trägt alle drei farbigen Bänder.

Gegenüber steht auf einer kleinen Lichtung ein schlichtes Holzkreuz, vier Meter hoch. Drei Bänke, ein Tisch davor - ein Platz für Trauerfeiern und Andachten. Man kann einen Pfarrer mitbringen oder einen Trauerredner, man kann im kleinen Kreis Abschied nehmen oder in großer Runde. „Bei der größten Trauerfeier bisher waren 250 Gäste“, berichtet Christian Hojenski.

Friedwald im Kreis Wittenberg: Förster vergräbt die Urnen

Als Förster ist er bei den Zeremonien stets dabei. Er hebt das Grab für die Urne aus und verfüllt es nach der Beisetzung wieder. Auf Wunsch trägt er auch die Urne zum Grab und setzt sie bei. Anfangs sei das komisch gewesen, sagt er, mittlerweile aber zur Gewohnheit geworden. Ist halt sein Beruf.

Hojenski ist Forstmann, über den Umgang mit Tod und Trauer hat er in seiner Ausbildung nichts gelernt, wie auch. Bevor er im Friedwald anfing, besuchte er eine einwöchige Schulung. Anschließend betreute ihn für drei Monate ein erfahrener Kollege.

„Man muss versuchen, sich in die jeweilige Situation hineinzufinden, man braucht schon Einfühlungsvermögen“, sagt er. Ihm fällt das nicht schwer. Auch weil es hier eben anders zugeht als auf einem Friedhof. „Friedhof, das hat etwas Düsteres“, findet der Förster.

Er erzählt von Kindern, die mit dem Laufrad über die Wege kurven oder im Laub spielen, während ihre Eltern oder Großeltern sich einen Baum aussuchen. So wie er das erzählt, ist es auch ein Plädoyer für einen unverkrampften Umgang mit dem Tod.

Auch Brigitte Meinhold hat diesen Zugang für sich gefunden. Ob sie Angst hat vor dem Tod? Gute Frage, nächste Frage, antwortet sie. Dann denkt sie kurz nach. „Ich hätte Angst“, sagt sie, „wenn ich Schmerzen hätte oder wenn jemand etwas gegen meinen Willen unternehmen würde, weil ich mich nicht mehr artikulieren kann.“ Aber sonst? Sie schüttelt den Kopf: „Der Tod gehört doch wie die Geburt zum Leben“, sagt sie. „Von Geburt an arbeiten wir auf den Tod hin.“