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Hanni Zimmermann Organspende: Hanni Zimmermanns Sohn starb, weil er kein Organ bekam

Von Bärbel Böttcher 22.02.2019, 11:00
Hanni Zimmermann im halleschen Park des Hoffens, des Erinnerns und des Dankes - hier wird an die Menschen erinnert, deren Organe anderen Menschen eingepflanzt wurden.
Hanni Zimmermann im halleschen Park des Hoffens, des Erinnerns und des Dankes - hier wird an die Menschen erinnert, deren Organe anderen Menschen eingepflanzt wurden. Andreas Stedtler

Klostermansfeld - Was für ein verfluchter Tag. Hanni Zimmermann spricht über den 16. Dezember des Jahres 1996. In der Nacht haben sich die Straßen des Mansfelder Landes in spiegelglatte Eisflächen verwandelt. Die Klostermansfelderin bekommt davon zunächst aber nichts mit. Und so übergibt sie dem 18-jährigen Nico, dem jüngeren ihrer zwei Söhne, bereitwillig ihre Autoschlüssel.

Der junge Mann, gerade mal ein halbes Jahr im Besitz seines Führerscheins, ist an diesem Montagmorgen spät dran. Deshalb nimmt er auf dem Weg zum Gymnasium eine Abkürzung. Eine verhängnisvolle Entscheidung. Als ihm auf der schmalen Nebenstraße ein Lkw entgegenkommt, versucht er auszuweichen, das Auto gerät ins Schleudern und prallte gegen den nachfolgenden Lkw.

Hanni Zimmermanns Sohn hat einen schweren Autounfall: Hoffen und Bangen

Hanni Zimmermann erfährt von dem Unfall an ihrem Arbeitsplatz. Sie und ihr Mann werden gebeten, ins Krankenhaus nach Eisleben zu kommen.

Nach unendlich vielen Stunden verzweifelten Wartens auf dem Krankenhausflur wird den Eltern gesagt, ihr Sohn sei so schwer verletzt, dass er mit einem Rettungshubschrauber nach Halle in die Universitätsklinik gebracht werden müsse.

Also machen auch sie sich auf den Weg nach Halle. „Und wieder warteten wir gequälten Eltern Stunde um Stunde darauf, unseren Nico endlich in die Arme zu nehmen und ihn trösten zu können“, erzählt die heute 67-Jährige. Es sind Stunden des Hoffens und des Bangens. Und der Selbstvorwürfe. „Hätten wir von den Straßenverhältnissen gewusst, niemals hätten wir unseren Sohn mit dem Auto fahren lassen“, sagt sie.

Es ist schon dunkel, als das Ehepaar schließlich in einen kleinen Behandlungsraum geführt wird. Dort erhält es die schockierende Auskunft: Durch den harten Aufprall auf den Lkw ist die Aorta des Jungen zerrissen. Das ist die Hauptschlagader, die das sauerstoffreiche Blut durch den Körper befördert.

Der Arzt erklärt den Eltern auf sehr schonende Weise, dass Nicos Organe aufgrund der Verletzung schon seit vielen Stunden nicht mehr mit Blut versorgt werden, dass sein Leben trotz aller ärztlichen Anstrengungen nicht zu retten ist. Für die Eltern ist das schwer zu fassen, zumal keinerlei äußerliche Verletzungen zu sehen sind.

Auch 22 Jahre später sind Hanni Zimmermanns Erinnerungen an diesen schrecklichen Tag nicht verblasst: Wie sie an Nicos Bett steht und auf ein Wunder hofft. Wie sie immer wieder denkt, können die dem Jungen nicht meine Organe einpflanzen. Ich habe doch im Gegensatz zu ihm schon etwas vom Leben gehabt.

Natürlich weiß die Mutter im tiefsten Inneren, dass das nicht geht. Doch der Gedanke, mit einer Organspende anderen Menschen das Leben zu retten oder es wieder lebenswerter zu machen, lässt sie seit jenem Tag nicht mehr los.

Es gibt zwei Bedingungen für die postmortale Entnahme von Organen: Der Hirntod des Menschen muss zweifelsfrei feststehen und eine Einwilligung zur Organspende muss vorliegen. Sind beide erfüllt, werden die intensivmedizinischen Maßnahmen bis zur Entnahme fortgeführt. Ein Entnahmeteam der DSO kann dann Nieren, Herz, Leber, Lunge, Magen und Dünndarm entnehmen.

Anschließend wird der Spender in würdigem Zustand wieder übergeben. Sobald der Empfänger eines Organs feststeht, wird der Transport und die Transplantation organisiert - ein Herz kann beispielsweise nur innerhalb von vier Stunden transplantiert werden.

››Weitere Informationen im Internet auf www.dso.de.

Eine Woche nach der Beerdigung unterzeichnet sie einen Organspendeausweis und trägt ihn nun schon seit 22 Jahren bei sich. Auch die Skandale um manipulierte Wartelisten in einigen Transplantationszentren haben an ihrer Haltung nichts geändert. „Die todkranken Menschen und ihre Angehörigen können nichts dafür, dass es zu solchem Fehlverhalten gekommen ist“, sagt sie. „Sie sind nach wie vor auf unsere Hilfe angewiesen.“

Organspende: Was ist der Wille des Patienten

Im Laufe der Zeit wird Hanni Zimmermann so etwas wie eine Botschafterin für die Organspende. Sie wirbt im Freundes- und Bekanntenkreis dafür, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, eine Entscheidung zu treffen und diese auch zu dokumentieren.

Aber sie möchte darüber hinaus Menschen aufrütteln. Leider werde das Thema von den meisten weggeschoben. „Aber eine solche Entscheidung treffen zu müssen, wenn sie am Sterbebett eines Angehörigen stehen, das überfordert jeden“, unterstreicht sie.

Und denkt dabei an ihr eigenes Trauma. Sicher, ihr Sohn kam aufgrund der inneren Verletzungen als Spender nicht Frage. „Aber wenn es so gewesen wäre, ich hätte in dieser schweren Stunde nicht gewusst, wie ich mich entscheiden soll“, sagt die Mutter.

Ihr ist klar, dass in solch einer Situation der mutmaßliche Wille des Patienten entscheidend ist. „Aber in vielen Familien wird doch über so etwas gar nicht gesprochen.“ Bis zu dem schrecklichen Unfall ist das auch in ihrer eigenen der Fall.

Dass die Spenderzahlen in Deutschland so niedrig liegen, macht Hanni Zimmermann traurig. Im Eurotransplant-Verbund, zu dem Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Slowenien und Ungarn gehören, ist die Bundesrepublik mit gegenwärtig 11,5 Spendern pro eine Million Einwohner Schlusslicht. Kroatien hat dreimal so viele.

Auch weltweit betrachtet ist Deutschland auf verlorenem Posten. Wird sogar von Ländern wie dem Iran überflügelt. Von den Patienten, die beispielsweise eine neue Niere brauchen, warten knapp 30 Prozent acht Jahre oder länger. Und das alles, obwohl mehr als 80 Prozent der Deutschen Organspende befürworten.

Hanni Zimmermann hat diese Zahlen von Professor Paolo Fornara, dem Chef des Nierentransplantationszentrum am halleschen Universitätsklinikum. Mit ihm hat sie sich jüngst getroffen, um über das Thema zu sprechen. Und ihm stimmt sie zu, dass dieser Zustand, neben vielen anderen Schritten, nur durch die Einführung der Widerspruchslösung geändert werden kann - natürlich begleitet von umfangreichen Informationskampagnen.

Das würde heißen, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten einer Organentnahme nicht ausdrücklich widersprochen hat, können seine Organe zur Transplantation entnommen werden. In vielen Ländern, die ein höheres Spenderaufkommen haben gilt diese Regelung.

„Vielen Menschen könnte durch eine Organspende geholfen werden, vielen Eltern oder anderen Angehörigen Leid erspart werden“, sagt Hanni Zimmermann. Leid, dass sie an jenem verfluchten Montag selbst erfahren und veranlasst hat, anders als bisher über ihr Leben und das anderer nachzudenken. Sie hofft, dass es ihr möglichst viele gleichtun. (mz)

Hanni Zimmermann im halleschen Park des Hoffens, des Erinnerns und des Dankes - hier wird an die Menschen erinnert, deren Organe anderen Menschen eingepflanzt wurden.
Hanni Zimmermann im halleschen Park des Hoffens, des Erinnerns und des Dankes - hier wird an die Menschen erinnert, deren Organe anderen Menschen eingepflanzt wurden.
Andreas Stedtler