Adipositas Adipositas: Übergwichtige Menschen stellen Rettungsdienste vor Herausforderung

Sangerhausen - Zahlreiche Schaulustige versammeln sich. So etwas sieht man nicht alle Tage, das spricht sich in der Sangerhäuser Nordsiedlung schnell herum. Es ist nachmittags, als die Sangerhäuser Feuerwehr gemeinsam mit Mitgliedern der Höhenrettungsgruppe beginnt, einen Mann aus 15 Metern Höhe abzuseilen.
Der 49-Jährige, der mehr als 160 Kilogramm wiegen soll, klagt über gesundheitliche Probleme. Seine Wohnung im fünften Stock kann er nicht mehr selbst verlassen, ein Transport durch das enge Treppenhaus ist ebenfalls nicht möglich. Deshalb wird der Patient mit einer Spezialtrage und per Seilwinde über den Balkon abgeseilt - vor den Augen von Reportern und Schaulustigen.
Zwar ist diese Rettungsaktion ein besonders spektakulärer Einzelfall im Landkreis. Dennoch stellt die Zahl von übergewichtigen oder gar krankhaft fettleibigen (adipösen) Personen Rettungsdienste, Krankenhäuser und Pflegeheime vor spezielle Herausforderungen. Und das immer stärker.
Immer mehr Übergewichtige im Landkreis Mansfeld-Südharz
Denn die Zahl an übergewichtigen Menschen steigt. In Sachsen-Anhalt hatten laut dem Mikrozensus 2013 knapp 40 Prozent der Menschen einen Body-Mass-Index (BMI) zwischen 25 und 30, das heißt sie waren übergewichtig. Bei weiteren 20 Prozent lag die Kennzahl, die das Körpergewicht in Relation zur Körpergröße setzt, bei mehr als 30. Sie gelten damit als fettleibig.
Auch im Landkreis Mansfeld-Südharz nimmt die Zahl an übergewichtigen Personen zu. „Diesen Trend können wir bestätigen“, sagt zum Beispiel Anett Brommund-Schnabel, Sprecherin der Helios-Kliniken in Sangerhausen, Eisleben und Hettstedt. „In allen drei Kliniken stellen wir fest, dass mehr übergewichtige Patienten zu uns kommen.“ An genauen Zahlen ließe sich das nur schwer festmachen, da der BMI nur in bestimmten Fachbereichen erfasst wird.
Ein Beispiel hat sie dennoch parat: In Eisleben hatten 2012 von den Patienten, bei denen die Kennziffer festgehalten wurde, 2,61 Prozent einen BMI über 40, also extremes Übergewicht. Im ersten Halbjahr 2016 waren es 3,78 Prozent. „Das zeigt einen Anstieg innerhalb von drei Jahren.“
In allen drei Kliniken im Landkreis Mansfeld-Südharz gibt es ein Schwerlastbett
Zwar ist es für das Krankenhaus kein Problem, übergewichtige Patienten zu behandeln, mitunter ist aber spezielle Ausrüstung notwendig. Die regulären Betten sind bis 160 Kilogramm ausgelegt, zudem gibt es elektrische Schlafstätten, die bis 180 Kilogramm zugelassen sind. Und wenn die Patienten noch schwerer sind? „Alle drei Kliniken verfügen über jeweils ein Schwerlastbett, das für ein Gewicht von mehr als 180 Kilogramm ausgelegt ist“, erläutert Brommund-Schnabel. Bei Bedarf können wir jederzeit kurzfristig weitere Schwerlastbetten leasen.“
Im Gegensatz zu anderen Schlafgelegenheiten sind diese breiter und verfügen beispielsweise auch über Spezialkissen. Weitere Hilfsmittel zur Betreuung von fettleibigen Patienten sind extrabreite Rollstühle, Rollboards und Patientenlifter mit integrierten Waagen.
Zahl der Rettungseinsätze für übergewichtige Menschen im Landkreis nimmt zu
Auch Steffen Lannes, Chef des Eigenbetriebes Rettungsdienst Mansfeld-Südharz, kennt die Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels. „Wir haben die Entwicklung aktiv miterlebt. Vor zehn, zwölf Jahren hatten wir gut einen Fall im Monat, bei dem wir einen schwergewichtigen Patienten transportieren mussten“, erläutert er. „Inzwischen kommt das gut einmal in der Woche vor.“
Ein ähnliches Bild zeichnet Roy Rockmann, Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbandes: „Wir merken, dass die Zahl der Rettungseinsätze für übergewichtige Menschen im Landkreis zunimmt.“ Zur Erklärung: Wenn die Rettungssanitäter den Patienten aufgrund seines Gewichts oder der baulichen Gegebenheiten nicht allein von der Wohnung zum Krankenwagen transportieren können, hilft in der Regel die Feuerwehr.
Höhenrettung muss einspringen, wenn Feuerwehr nicht mehr weiter kommt
Mittlerweile werde nahezu wöchentlich eine der Feuerwehren in Mansfeld-Südharz angefordert, um Tragehilfe zu leisten, so Rockmann. Diese sei aber nicht nur bei übergewichtigen Menschen notwendig, sondern zum Teil auch wegen baulicher Herausforderungen, beispielsweise wenn es zu eng ist.
Abnehmen ohne Mühe geht leider nicht - auf diese einfache Formel bringt Anett Brommund-Schnabel, Sprecherin der Helios-Kliniken im Landkreis, die unterschiedlichen Ratschläge und Tipps, wie man sein Gewicht reduzieren kann. Auch Dr. Frank Schöning, Ärztlicher Direktor und Chefarzt für Innere Medizin in der Hettstedter Helios-Klinik, meint: „Theoretisch ist es relativ einfach: Die Ernährungsgewohnheiten sollten umgestellt und die Energiezufuhr sollte reduziert werden, mehr körperliche Bewegung ist wichtig.“
In der Gruppe sei es grundsätzlich einfacher. Und der Mediziner verweist darauf, dass extreme Diäten vermieden werden sollten. Hingegen rät er dazu, nachhaltig sättigende Lebensmittel auszuwählen, beispielsweise Vollkornprodukte, Mineralwasser und Fruchtschorlen anstelle von Softdrinks. Joghurt oder saure Sahne anstelle von Sahne und Öl in Salatsoßen.
An den Tragetüchern, die zur Standardausrüstung gehören, müssen je nach Gewicht zwischen vier und acht Mann anpacken. Treppensteiger und -raupen werden eingesetzt, wenn der Patient sitzend transportiert werden kann. Wenn selbst die Feuerwehrleute nicht helfen können, springt die Höhenrettung ein: Die Patienten werden abgeseilt.
Auch für ihren Transport in die nächste Klinik ist ein spezieller Schwerlast-Rettungswagen notwendig. Das Besondere im Vergleich zu anderen Fahrzeugen: eine zusätzliche Luftfederung, wie sie beispielsweise bei Bussen eingesetzt wird, und eine Spezialtrage.
„Die elektrohydraulische Trage fährt die Patienten von allein hoch und runter und kann beispielsweise auch auf 95 Zentimeter verbreitert werden“, erzählt Lannes. „Wir denken auch darüber nach, ob ein zweites Fahrzeug nicht sinnvoll ist“, sagt Lannes. Denn von Eisleben, wo der Wagen stationiert ist, bis in den Südharz sei die Strecke sehr lang. Noch sei das Aufkommen aber nicht so hoch, um dies zu rechtfertigen. (mz)