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Landkreis Leipzig Landkreis Leipzig: Groitsch lebt mit der Angst

30.08.2010, 06:31
Polizisten sichern am Sonntag ein altes Landwirtschaftsgelände im westsächsischen Groitzsch (Kreis Leipzig) nach einem Doppelmord. (FOTO: DPA)
Polizisten sichern am Sonntag ein altes Landwirtschaftsgelände im westsächsischen Groitzsch (Kreis Leipzig) nach einem Doppelmord. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

GROITZSCH/MZ. - Sie haben sich ausden Augen verloren, Marian Gerhardt und DenisH. Früher waren sie mal befreundet, "und wirhaben zusammen Fußball gespielt", sagt Gerhardt.Das ist ein paar Jahre her. Jetzt macht MarianGerhardt eine Lehre zur Fachkraft für Lagerwirtschaft.Und Denis H. ist tot. "Ich habe es erst nichtglauben wollen", sagt Gerhardt.

Denis H. ist eines der Opfer des Doppelmordesin Groitzsch südlich von Leipzig. Die Polizeifand den 23-Jährigen am Samstagabend mit schwerenSchussverletzungen neben seinem Ford Fiestaan einem Bahnübergang. Kurze Zeit später starber im Krankenhaus. Wenige hundert Meter entferntentdeckten die Ermittler die Leiche eines19-Jährigen in einer Halle auf dem Geländeeiner ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft(LPG) (die MZ berichtete). Am Sonntag hattendie Behörden das Alter der beiden Opfer zunächstvertauscht, am Montag korrigierten sie dieseAngaben.

Feuerwerk im Nachbardorf

Es ist nicht das einzige Verbrechen inGroitzsch, dessen Hintergründe noch komplettim Dunkeln liegen. Erst im April vorigen Jahreswar der 27-jährige Tino L. unweit der 8500-Einwohner-Stadterschossen worden - der Täter ist bis heutenicht gefasst. Und in Groitzsch geht die Angstum. "Man traut sich gar nicht mehr vor dieTür", sagt Ingrid Richter. Mit ihrem Mannbewohnt die 55-Jährige ein Häuschen wenigeMeter von der Lagerhalle entfernt. Dort, sovermuten die Ermittler, war zunächst auf dieMänner geschossen worden, bevor H. mit seinemAuto flüchten konnte - bis zum Bahnübergang.Ingrid und Karl-Heinz Richter haben die Schüssenicht gehört. Im Nachbarort sei Dorffest gefeiertworden, mit Feuerwerk, sagt der 61-Jährige.

Richters schließen jetzt immer die Tür ab.Und sie vermissen die Polizei. "Ich würdemich sicherer fühlen, wenn die hier regelmäßigStreife fahren würden", meint er. Aber Polizistenseien auf der Straße gar nicht mehr zu sehen,"die kommen erst, wenn etwas passiert ist".Vielleicht, sagt er, sollte man doch den Abschnittsbevollmächtigtenaus DDR-Zeiten wieder einführen. Mehr Polizeipräsenz- ob das helfen würde? Andreas Kowalkowskiist skeptisch. "Die Polizei kann ja nichtüberall sein", sagt der junge Familienvater.Er und seine Frau haben schon über Videoüberwachungam Haus nachgedacht, die Idee aber doch wiederverworfen. "Passieren kann trotzdem etwas",meint seine Frau Nicole. Was bleibe, sei ein"Gefühl der Unsicherheit". Auch Kowalkowskiswohnen nicht weit weg vom Tatort.

Einen halben Kilometer Luftlinie davon entferntauf dem Marktplatz laden Arbeiter derweildie Einzelteile eines Festzeltes auf einenLastwagen. Am Wochenende haben die Groitzscherhier das "kulinarische Stadtfest" gefeiert:Wirte bieten ihre Spezialitäten an, es gibtein Kulturprogramm. Mitten hinein platzt amSonntag die Nachricht von dem Doppelmord.

Sorge um den Ruf des Ortes

"Ich bin schockiert", sagt Maik Kunze.Der Bürgermeister von Groitzsch sitzt in seinemBüro im Rathaus direkt am Markt. Auf ihrerWebsite wirbt seine Stadt mit dem Slogan "Perleim Leipziger Neuseenland". Doch nun sorgtsich der CDU-Politiker um den Ruf des Ortes.Dabei, sagt er, sei soviel passiert in denzurückliegenden Jahren: Sie haben den Haushaltausgeglichen, was nicht mehr viele Kommunenvon sich sagen können. Sie haben zwei MillionenEuro in die Erweiterung der Grundschule gestecktund 3,5 Millionen in den Neubau einer Zweifelder-Sporthalle.Für sieben Millionen Euro wird gerade dasGymnasium erweitert. Aber das will ja keinerwissen", klagt Kunze. Er hat gehofft, dassder Mord vom Vorjahr ein Einzelfall bleibt.Er hat schon damals auf eine schnelle Aufklärunggehofft. Nun tut er es wieder.

Doch auch am zweiten Tag nach der Bluttathaben die Ermittler noch keine heiße Spurzum Täter. Keine Tatwaffe. Kein Motiv. Wasbleibt sind Spekulationen. So heißt die vonPolizei und Staatsanwaltschaft eingerichteteSonderkommission "Schrott", weil die alteLagerhalle voll davon ist. Doch dass die beidenOpfer beim Sammeln von Schrott erwischt undbeschossen wurden, "dafür gibt es keine gesichertenAnhaltspunkte", sagt Ricardo Schulz, Sprecherder Leipziger Staatsanwaltschaft. Das gelteauch für Gerüchte, es handele sich um einenStreit im Drogenmilieu oder um einen Racheaktin der rechten Szene. Nach Medienberichtenwollte sich schon der im Vorjahr erschossene27-Jährige aus der Szene lösen. Ob er deshalbsterben musste, ist freilich offen.

Kriminaltechniker sichern auf einem alten Landwirtschaftsgelände im westsächsischen Groitzsch (Kreis Leipzig) Spuren nach einem Doppelmord. (ARCHIVFOTO: DPA)
Kriminaltechniker sichern auf einem alten Landwirtschaftsgelände im westsächsischen Groitzsch (Kreis Leipzig) Spuren nach einem Doppelmord. (ARCHIVFOTO: DPA)
dpa-Zentralbild