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Wetterexperten im Harz Wetterexperten im Harz: Warum der Brocken der Olymp unter den Arbeitsplätzen ist

Von Julius Lukas 11.04.2018, 10:00
Der Neurochirurg Dr. Julian Prell (links) und die Anästhesistin Dr. Franziska Papst sprechen mit dem Patienten Dirk Rau.  
Der Neurochirurg Dr. Julian Prell (links) und die Anästhesistin Dr. Franziska Papst sprechen mit dem Patienten Dirk Rau.   Andreas Stedtler

Brocken - Die Arbeitsbedingungen klingen nicht gerade einladend: 307 Nebeltage im Jahr, Windgeschwindigkeiten, die jeden Friseurbesuch überflüssig machen und regelmäßig Minustemperaturen, bei denen selbst Pinguine zu zittern beginnen - gefühlte 55 Grad unter Null sind keine Seltenheit. Doch trotz dieser ungemütlichen Atmosphäre ist der Brocken für Marc Kinkeldey der Olymp unter den Arbeitsplätzen.

„Schon vor meiner Ausbildung wollte ich unbedingt hier hoch“, erzählt der 38-Jährige, der aus Schierke (Landkreis Harz) kommt. Seit 2001 ist er Wetterdiensttechniker auf dem höchsten Berg Norddeutschlands. Mit seinen Kollegen arbeitet er so weit oben, wie niemand sonst in Sachsen-Anhalt. Hier beobachten sie das Wetter und stehen dabei selbst oft im Fokus.

Denn der Brocken ist die wichtigste Wetterwarte der Region. Wenn ein Sturm aufzieht, schaut alles auf den Berg an der Grenze zu Niedersachsen, weil hier der Wind regelmäßig am heftigsten weht. Auch, wenn es um den ersten Schnee des Jahres geht, gerät die höchste Erhebung des Harzes in den Blick, da das Plateau in 1.141 Metern Höhe so früh wie kein anderer Ort der Region mit den weißen Flocken bedeckt wird.

In der Wetterwelt ist der Brocken omnipräsent. Und sogar zu speziellen Größen wie Pollenflug, Schneedichte oder Radioaktivität haben Marc Kinkeldey und seine Kollegen immer eine Meldung parat.

Nuklearkatastrophe von Fukushima auf dem Brocken messbar

Am Freitagmittag vergangener Woche hat aber zumindest der Windgeschwindigkeitsmesser auf dem Dach des Beobachtungsturms, der seit 1937 dem rauen Klima auf dem Brocken trotzt, nichts zu melden. Er dreht sich keinen Zentimeter, wobei ja auch das eine meldenswerte Erkenntnis ist.

Und sie zeigt, wie wechselhaft die Bedingungen auf dem Mount Everest Sachsen-Anhalts sind. „Gestern haben wir hier in der Spitze noch Windgeschwindigkeiten von 111 Kilometern pro Stunden gemessen“, sagt Marc Kinkeldey. Nicht einmal 24 Stunden später weiß man als Gipfelstürmer, was es mit der Ruhe nach dem Sturm auf sich hat.

Die Dach-Plattform liegt etwa 100 Treppenstufen über dem Erdboden. Unten war Kinkeldey am Vormittag bereits unterwegs. „Ich habe heute Atomdienst“, sagt er bedeutungsschwer. Der Brocken ist eine von 40 Messstellen in Deutschland für Radioaktivität.

Dafür werden aus der Luft und aus dem Regenwasser Proben entnommen, die dann auf ihre Strahlung hin untersucht werden. „Die Nuklearkatastrophe von Fukushima war auch in useren Proben messbar“, sagt Kinkeldey. Allerdings sei die Strahlenbelastung unbedenklich gewesen. „Vor 20 Jahren hätten wir die nicht einmal messen können.“ Anders war das 1986 beim Reaktorunglück von Tschernobyl. „Damals wurde hier Werte erreicht, die 18.000 Mal höher als normal waren.“

„Wir sind keine Meteorologen, die Vorhersagen machen“

Auf dem Dach geht der Wetterbeobachter nun aber seiner Hauptaufgabe nach: Das Wetter beobachten. „Wir sind keine Meteorologen, die Vorhersagen machen“, sagt der 38-Jährige. Für diesen Job müsse man auch studiert haben. Wettertechniker hingegen, deren Ausbildung zwei Jahre dauert, sammeln die Daten, aus denen dann die Prognosen gemacht werden. „Durch unsere Erkenntnisse kann gesagt werden, wie das Wetter wird“, erklärt Kinkeldey.

Um vom Stationsdach aus die aktuellen Bedingungen zu erheben, müsste man eigentlich nicht in den Himmel schauen. Denn ein Blick auf die Brockenstraße, die auf den Berg hinaufführt, genügt. Der nicht enden wollende Touristen-Treck zum Gipfel ist ein deutlicher Hinweis für bestes Ausflugswetter. Für seine Meldungen braucht Kinkeldey allerdings verlässlichere Indikatoren als die Wanderbewegung der Freizeitsportler.

Einer davon ist die Sichtweite, die er gerade bestimmt. Normalerweise ist der Blick vom Brocken nicht sehr weitreichend. Nebel ist hier fast Dauerzustand. Doch heute fehlt der weiße Schleier. Der Wetterwart schweift in die Ferne: Wurmberg, Eichsfeld und dann die Hainleite als dunkler Streifen am Horizont. „Und da hinten, schwach im Dunst zu erkennen, liegt der Thüringer Wald.“ 120 Kilometer sei der entfernt. Für Brockenverhältnisse ist das eine seltene Weitsicht.

Beobachtungsturm auf dem Brocken ist rund um die Uhr besetzt

Die Sichtweite wird mit den anderen Daten jede halbe Stunden vom Harz-Dach nach Offenbach (Hessen) gemeldet. Dort ist die Zentrale des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Die Bundesbehörde betreibt neben der auf dem Brocken noch 181 weitere hauptamtliche Wetterwarten. Der Beobachtungsturm auf dem Gipfel Norddeutschlands ist eine von acht Stationen, die rund um die Uhr besetzt sind.

„Die Meldung, die wir halbstündlich schicken, ist ein Zahlencode“, erklärt Kinkeldey. Die Beobachtungen werden darin verschlüsselt, damit sie schnell und auch überall auf dem Erde lesbar sind. Die weltweite Nutzung hängt auch damit zusammen, dass die Brocken-Warte eine Klimareferenzstation ist, deren Beobachtungen für die globale Forschung genutzt werden.

„Dafür sind wir geeignet, weil hier oben schon so lange Wetter aufgezeichnet wird“, erklärt Kinkeldey. Die Datenreihe reicht mehr als 100 Jahre zurück, was sie so interessant macht. „Und damit die Werte vergleichbar bleiben, messen wir auch heute noch mit der gleichen Technik wie früher.“

Schon 155 automatisierte Stationen

So liegt in einem Schrank auf dem Dach des Observatoriums ein Thermometer, das so gebaut ist, wie die Temperaturmesser es schon zu Beginn der Aufzeichnungen auf dem Brocken im 19. Jahrhundert waren. Gleiches gilt für den Sonnenscheinautographen, der auch auf dem Dach montiert ist.

Er besteht aus einer Glaskugel, die die Sonnenstrahlen so bündelt, dass sie eine Linie auf einen Pappstreifen brennen. „Würde man solche Geräte durch modernere Technik ersetzen, wären die historischen Daten wertlos“, sagt Kinkeldey.

Allerdings geht die Entwicklung beim DWD genau in diese Richtung. Schon heute sind 155 der 182 Wetterwarten automatisiert - das bedeutet, sie kommen ohne Menschen aus. Bis 2022 soll das für alle Stationen gelten - wohl auch für den Brocken. Dann - so die Vision - übernehmen Sensoren den Job der Techniker.

Ein Vorhaben, das heftig kritisiert wird. Denn die Erfahrung zum Beispiel von Piloten würden zeigen, dass die Wetterbeobachtungen aus dem Automaten oft wenig mit der Realität zu tun haben - etwa, wenn es um die Wolkendecke geht. Wirklich verlassen könne man sich nur auf das menschliche Auge.

30 Stunden in der Warte am Brocken eingesperrt

Hinzu kommt, dass längst nicht alle Arbeiten, die bei einer Warte anfallen, automatisiert werden können. Ein Beispiel ist die Schneehöhe, die zusammen mit der Schneedichte für Talsperren wichtig ist. Auch am Freitag musste Marc Kinkeldey die Höhe bestimmen. Auf dem Brocken ist das allerdings kompliziert, da der Wind das Plateau immer wieder freilegt. Kinkeldey hat deswegen an mehreren Stellen gemessen: „Von 50 Zentimetern bis 1,90 Meter war alles dabei“, sagt er.

Mit diesen Daten und der Rundumsicht über den Berg hat er dann einen Mittelwert gebildet - ob Sensoren das könnten, ist fraglich. Zumal im Winter ein weiteres Problem hinzu kommt: „Bei den Bedingungen die wir hier haben, frieren die Messgeräte regelmäßig ein“, sagt Kinkeldey. Menschen hingegen können Frostbeulen trotzen.

Wie es weitergeht, das weiß Marc Kinkeldey nicht und es liege auch nicht in seiner Hand. Seinen Wunsch-Arbeitsplatz aufgeben, das würde er freilich nur ungern - auch wenn es in 1.141  Metern Höhe oft wenig einladend ist.

Anfang des Jahres, als der Orkan Friederike mit 205 Stundenkilometern über den Brocken fegte und den Turm zum Wanken brachte, war Kinkeldey 30 Stunden in der Warte eingesperrt. Er jedoch nahm es gelassen. „Ich hatte mir vorsorglich schon sechs Brötchen mehr mitgenommen“, sagt er. Und als eiserne Reserve stehe immer eine Dosensuppe im Schrank. (mz)

Der Sonnenscheinautograph misst auf dem Brocken die Sonnenstunden
Der Sonnenscheinautograph misst auf dem Brocken die Sonnenstunden
Andreas Stedtler
Wissenschaftlich ohne Wert ist nur die über 1.000 Exemplare zählende Froschsammlung der Warte.
Wissenschaftlich ohne Wert ist nur die über 1.000 Exemplare zählende Froschsammlung der Warte.
Andreas Stedtler