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NS-Zwangsarbeiter in Rüstung Werden NS-"Klosterwerke" bei Blankenburg Harz zugeschüttet? Denkmalschutzbehörde gegen Bundesanstalt für Immobilienaufgaben

Von Wolfgang Schilling 27.11.2020, 08:55
Der Zentraltunnel in den unterirdischen Hallen der Klosterwerke unter dem Eichenberg in Blankenburg (aufgenommen 2010). Nach dem Willen von Bund und Landesbergamt soll die Anlage verfüllt werden.
Der Zentraltunnel in den unterirdischen Hallen der Klosterwerke unter dem Eichenberg in Blankenburg (aufgenommen 2010). Nach dem Willen von Bund und Landesbergamt soll die Anlage verfüllt werden. Wolfgang Schilling

Blankenburg - Seit Jahren gibt es Bestrebungen, eines der letzten und großen Untertage-Rüstungsverlagerungsprojekte der NS-Diktatur, die „Klosterwerke“ in Blankenburg, zu verfüllen. Verschiedene Akteure wie die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, das Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt und die Stadt Blankenburg sind dazu seit einiger Zeit im Gespräch - allerdings fern der Öffentlichkeit.

Als Grund für die Verfüllung der „Klosterwerke“, auch bekannt unter dem Tarnnamen „Porphyr“, in der Nähe der Weststraße am Rande der Stadt führen die Verantwortlichen Verkehrssicherungsgründe und mögliche Tagesbrüche ins Feld. Die Bundestagsabgeordneten Heike Brehmer (CDU) und Eberhard Brecht (SPD) verhandelten vor einigen Wochen als Vermittler im Blankenburger Rathaus.

Nicht dabei und auch nicht eingeladen war dagegen die Obere Denkmalschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt. Diese hat erhebliche Bedenken, weil mit der Sicherungsmaßnahme einer der letzten historischen Orte für Zwangsarbeit und NS-Terror der Region für lange Zeit - wenn nicht für immer - unzugänglich werden würde.

Denkmalschützer wehren sich gegen Verschluss eines Orts von Zwangsarbeit

Sie fordert, dass wenigstens ein 50 Meter langes, kleines Teilstück des standsicher in Beton ausgebauten Areals für eventuelle museale Nachnutzung erhalten bleibt. Brisanz hat die Sache, weil sich die Obere Denkmalschutzbehörde und die zum Verfüllen neigenden Stellen des Landesbergamtes und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben konträr gegenüberstehen. Dazwischen ist nun auch die Stadt Blankenburg in die Zange genommen worden.

Unter der Maßgabe, der Stadt einen einmaligen Betrag von 100.000 Euro zu übergeben, soll diese für die noch verbleibenden denkmalgeschützten Hohlräume die Verantwortung übernehmen - ein nicht kalkulierbares Risiko für die ohnehin klamme Haushaltskasse des Ortes.

Das Thema zirkuliert bereits seit 2017, als die Verfüllabsichten der „Klosterwerke“ im Rathaus bekannt wurden. Doch Öffentlichkeit hinzuzuziehen? Fehlanzeige - obwohl das Landesverwaltungsamt festgestellt hat, dass die Obere Denkmalschutzbehörde „die ehemalige Luftschutz-Stollenanlage Klosterwerke als ein Baudenkmal“ nach dem Denkmalschutzgesetz darstellt und „dieses überregional bedeutsame Stollensystem aufgrund seiner technisch-wirtschaftlichen Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt“.

Denkmalschutz sieht großes öffentliches Interesse an dem Stollensystem

Der Blankenburger Berg- und Naturschutzverein, der von der Stadt das Gelände vor den untertägigen Anlagen gepachtet hat, war ebenfalls nicht zum Sondierungsgespräch eingeladen. Ginge es nach dessen Vereinsvorsitzendem Ralf Selle, war das auch nicht nötig. Er sieht „kein öffentliches Interesse dafür“.

Und dabei startete der Verein 2013 mit großen Plänen: ein Lehrbergwerk, Führungen durch den Walter-Hartmann-Stollen und die Grubenbaue der drei Kilometer höher gelegenen Grube Braunesumpf, eine ansprechende Herrichtung des Außengeländes und Anlage eines Naturlehrpfades mit der Stiftung Umwelt-, Natur- und Klimaschutz (SUNK) sowie die Erinnerung an die Rüstungsverlagerung.

Samt einer Würdigung der Leiden dort internierter französischer, belgischer und aus anderen Nationen zu menschenunwürdiger Zwangsarbeit gezwungenen Häftlinge eines Nebenlagers des KZ Dora-Mittelbau waren das Aktivitäten, die „teilweise aus verschiedenen Richtungen ausgehebelt wurden“, umschreibt Selle das Scheitern sämtlicher Vorhaben etwas nebulös und möchte keine weiteren Details nennen.

Friedhart Knolle fordert „breite bürgerschaftliche Diskussion“

Friedhart Knolle vom Verein Spurensuche Harzregion kann solche Unbedarftheit nicht verstehen. „Ich bin empört, dass es über 30 Jahre nach dem Ende einer Diktatur in Blankenburg nicht üblich ist, ein so brisantes geschichtliches Objekt mit einem breiten bürgerschaftlichen Diskussionsprozess zu begleiten.

Dass hier in Hinterzimmern des Rathauses etwas Irreversibles entschieden wird, ist nicht hinzunehmen und bedarf dringend der Korrektur“, sagt er und fordert ein Umdenken. Ähnlich sieht das die Stadtratsfraktion von Pro Blankenburg, die bereits im April 2020 zum Gedenken an das 75-jährige Kriegsende eine aktive Erinnerungskultur anmahnte.

Erst jüngst hat Stadträtin Annekatrin Wagner „auf die moralisch-ethische Dimension der Zwangsarbeit in den Klosterwerken hingewiesen“. Sie hat auch Materialien aus dem Privatarchiv des ehemaligen Museumsleiters Hans Bauerfeind zur Verfügung gestellt, die dieser seit 1994 mit dem katholischen Pfarrer Georg Kaiser in einem jahrelangen Gedanken- und Gedenkaustausch mit belgischen KZ-Häftlingen der Klosterwerke erarbeitet hatte.

Hans Bauerfeind und Georg Kaiser pflegten Kontakte zu KZ-Häftlingen aus Belgien

Letztmalig war eine Abordnung aus Belgien 2010 in der Untertageverlagerung „Turmalin“, dem heutigen Bundeswehrstandort. „Wer das liest, was Zwangsarbeiter aus ganz Europa erlebt haben und erdulden mussten, der kann sich nicht nur technischen Modalitäten widmen“, ergänzt Wagner.

Bekannt wurde indes, dass es Pläne für eine reversible - also wieder entnehmbare - Verfüllung der 50 Meter denkmalgeschützten Strecke in den „Klosterwerken“ für das Frühjahr 2021 gibt, die gegenwärtig „als Lösungsidee“ nach einem Gespräch zwischen dem Blankenburger Bürgermeister Heiko Breithaupt (CDU) und Staatsminister Rainer Robra geprüft werden, wie das Landesverwaltungsamt auf Anfrage mitteilte.

Für Blankenburgs Bürgermeister sei dies ein Kompromiss, um das Denkmal auf der einen Seite zu konservieren und auf der anderen Seite die Gefahr möglicher Tagesbrüche in dem Bereich auszuschließen. Von einem Anwohner gab es indessen die Information, dass es schon Vorgespräche für die Durchfahrt für Verfüllarbeiten bereits ab Dezember 2020 gegeben habe.

Kompromiss soll Stollen durch Verfüllung sichern, die später rückgängig gemacht werden könnte

Auch der Autor Günther Pape, der 2002 eine Broschüre zum Nebenlager des KZ-Dora und auch zum einzigen „Lager für jüdisch Versippte“ in Deutschland herausgegeben hat, ist entsetzt, was hier passiert. „Als einer der letzten Betroffenen bin ich betrübt darüber, wie die Geschichte der NS-Zeit hier beerdigt werden soll“, sagt der 93-jährige Blankenburger.

Eine bisher nicht konkret zu recherchierende Zahl von KZ-Häftlingen von etwa 100 der insgesamt 1.000 Insassen bezahlte die auszehrende und gefährliche Tätigkeit beim Ausbrechen untertägiger Hohlräume mit dem Leben.

Es handelt sich um einen Ort des NS-Terrors, an den noch vor Jahren eine Gedenktafel erinnerte, die inzwischen verschwunden ist. Eine Abhandlung dazu findet sich im neuen Buch des Hüttenröder Bergvereins „Grube Braunesumpf - vergessener Schatz im Harz“, in dem auch die Gedenktafel abgebildet ist. Aktuell ist der Zugang - das sogenannte Mundloch - nicht zu erreichen.

„Hier wird Geschichte einfach ausgesperrt“, sagt Friedhart Knolle.

„Hier wird Geschichte einfach ausgesperrt. Das geht so nicht“, protestiert Knolle. Von einer würdigen Erinnerungskultur an das verbrecherische Regime, das auch in Blankenburg Spuren hinterlassen hat, ist gegenwärtig kaum etwas zu spüren.

Eine neue Initiative der Fraktion Pro Blankenburg strebt nun die Umbenennung einer Straße mit dem Verweis auf die „Klosterwerke“ an. Die Bundestagsabgeordneten Brehmer und Brecht haben sich in der Klausur für einen respektvollen Umgang mit diesem finsteren Kapitel deutscher Geschichte ausgesprochen.

Gerhard Rösicke, der ehemalige Verantwortliche des Landesbergamtes Staßfurt, meldet erhebliche Zweifel an der Darstellung des Bergamtes wie auch der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben an, was die angebliche mangelnde Standsicherheit der untertägigen Anlagen betrifft. Dessen ungeachtet bleibt Gerhard Jost, der heute im Bergamt für Altbergbau Verantwortliche, auf Nachfrage jedoch dabei, dass das Betreten der Hohlräume gefährlich und unzumutbar sei. (mz)

Der Grundriss der Untertage-Rüstungsproduktion „Klosterwerke“ bei Blankenburg im Harz von 1945.
Der Grundriss der Untertage-Rüstungsproduktion „Klosterwerke“ bei Blankenburg im Harz von 1945.
Schilling