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Wenn der Staat sich kümmern muss Wenn der Staat sich kümmern muss: Einsamer Tod in der eigenen Wohnung

Von Susanne Thon 09.06.2019, 08:56
Tote, für deren Bestattung die Stadt Quedlinburg zuständig ist, weil sie keine Angehörigen mehr haben, werden in der Regel auf dem Zentralfriedhof beigesetzt. Die anonyme Bestattung auf der grünen Wiese ist die günstigste Bestattungsart.
Tote, für deren Bestattung die Stadt Quedlinburg zuständig ist, weil sie keine Angehörigen mehr haben, werden in der Regel auf dem Zentralfriedhof beigesetzt. Die anonyme Bestattung auf der grünen Wiese ist die günstigste Bestattungsart. Susanne Thon

Quedlinburg - Es war ein warmer Tag im Sommer. Der Tote hatte schon länger in seiner Wohnung gelegen, bevor er gefunden, bevor – neben der Polizei - auch Karin Winter hinzugerufen wurde. „Das vergisst man nicht“, sagt die Sachbearbeiterin in der Quedlinburger Stadtverwaltung, „einfach war das nicht.“ Ist es nicht. Nie. Dass jemand am Ende seines Lebens niemanden mehr habe, von keinem vermisst werde, sei traurig, sagt sie.

Stirbt ein Mensch, kümmern sich in der Regel die Angehörigen um seine Bestattung. Das Bestattungsgesetz nimmt sie da in die Pflicht.

War der Verstorbene allerdings allein, wird sein Tod zum Verwaltungsakt: Das Ordnungsamt leitet dann in die Wege, was im Behördendeutsch als Bestattung von Amts wegen bezeichnet wird.

Elf Sterbefälle hat Karin Winter von Januar bis jetzt bearbeitet - und damit exakt so viele wie im gesamten vergangenen Jahr. „Es werden mehr“, sagt sie. 2017 waren es auch insgesamt 11. Davor gab es allerdings schon mal mehr: 21. Die Menschen starben etwa im Krankenhaus - oder aber allein zu Hause.

Wenn der Staat sich kümmern muss: Genaue Todesursache muss untersucht werden

Wird bei der Leichenschau kein natürlicher Tod diagnostiziert, ist also im Totenschein eine unklare Todesursache angegeben oder gibt es Anhaltspunkte für einen unnatürlichen Tod, kommt die Polizei zum Einsatz.

Der Klassiker: Neben der Leiche wird eine Blutlache gefunden. Sie könnte auf einen vorausgegangen Kampf hindeuten, aber auch von einem Sturz rühren. Natürliche Tode sind altersbedingt oder Folge einer Krankheit.

Ist die Ursache nicht natürlich oder unklar, leitet die Polizei ein so genanntes Todesermittlungsverfahren ein, um zu klären, unter welchen Umständen der Tod eingetreten ist. Wenn erforderlich, kann die Staatsanwaltschaft auch die Obduktion der Leiche anordnen.

Die Zahl der Todesursachenermittlungen ist nach Angaben von Uwe Becker, Pressesprecher im Polizeirevier Harz, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen: 2015 waren es 175, 2016 fünf weniger, 2017 insgesamt 194 und im vergangenen Jahr 217. Manchmal sind es mehrere an einem Tag: „Allein in den letzten 24 Stunden hatten wir drei“, sagt Becker.

Wenn der Staat sich kümmern muss: Detektivarbeit bei der Suche nach Angehörigen

Nicht für alle Amtsbestattungen muss am Ende die Stadt finanziell aufkommen. Das hänge davon ab, ob der Verstorbene Vorkehrungen getroffen habe, ob noch Geld da sei, das die Bestattungskosten decke, oder aber doch noch Angehörige ausfindig gemacht würden, erklärt Winter.

Die zu suchen gehört zu ihrem Job, der gewissermaßen einer Detektivarbeit gleicht, die sie mitunter quer durch die Republik führt: „Wo ich überall anrufe ... Ich arbeite mich da durch - von Standesamt zu Standesamt“, schildert Winter.

Jede Namensänderung, jeder Umzug machen die Sache komplizierter. Und es kommt auch vor, dass alle Recherchen umsonst sind, wenn es heißt „unbekannt verzogen“ oder die Spur ans andere Ende der Welt führt: „Dann kann man es eigentlich vergessen.“

Wenn der Staat sich kümmern muss: Auch die Zeit sitzt im Nacken

Bei ihrer Arbeit sitzt Karin Winter die Zeit im Nacken, denn die Fristen für Überführung und Bestattung sind gesetzlich festgelegt: Binnen 36 Stunden muss ein Toter in eine Leichenhalle, eine Erdbestattung soll innerhalb von zehn Tagen erfolgen, Urnen sind binnen eines Monats beizusetzen.

Grundsätzlich würden die Toten, für deren Bestattung die Stadt in der Pflicht ist, eingeäschert und auf dem Quedlinburger Zentralfriedhof anonym beigesetzt, erklärt Winter. Das ist üblicherweise die kostengünstigste Form. Oder aber es gibt schon eine bezahlte Grabstelle.

Überwiegend Ältere haben zu Lebzeiten ihre Bestattung geregelt

Es seien überwiegend Ältere, die bereits zu Lebzeiten regelten, wie und wo sie bestattet werden wollten, Menschen mit Familie wie Alleinstehende, die keine Angehörigen mehr hätten, sagt Thomas Thieß, Inhaber eines Bestattungsinstituts in Thale.

Es kämen inzwischen aber auch merklich mehr Leute mittleren Alters, die sich informierten, so Geschäftsführerin Tina Lampe. Mit dem Vorsorgevertrag kann grundsätzlich alles geregelt werden – angefangen von der gewünschten Grabart bis hin zum Leichenschmaus.

„Wir hatten mal jemanden, der festgelegt hat, wer kommen darf“, der habe sogar für einen Sicherheitsdienst bezahlt, der ungebetene Gäste fernhalten sollte, erinnert sich Thieß.

Ob allein oder nicht: Er und Lampe halten es für wichtig, sich beizeiten mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Für die Angehörigen, damit sie gehört haben, was der Verstorbene wollte; es gibt Familien, da wurde nie darüber gesprochen“, sagt Thieß.

Bei Vorsorge kann vieles genau geregelt werden

Aber auch derjenige, der die Vorsorge für sich treffe, habe etwas davon, wie er sagt: Er könne sich sicher sein, was mit ihm passiere, und dass das Geld, das er für seine Bestattung angelegt habe, nicht anderweitig verwendet werden dürfe. Die Mitarbeiter von Thieß Bestattungen raten in Vorsorgegesprächen dazu, es auf ein Treuhandkonto einzuzahlen, da sei das Geld sicher.

Überhaupt gibt es viel zu beachten - rutscht einem als Laie was durch, kann das weitreichende Folgen haben. Thieß und Lampe denken an eine Amtsbestattung kürzlich. Die Verstorbene hatte eine Sterbegeldversicherung abgeschlossen und eingezahlt, doch die sprang nicht ein, weil ein unterschriebenes Dokument zu Lebzeiten nicht abgeschickt worden war.

Der letzte Abschied erfolgt oft nur in einem ganz kleinen Kreis

Dass es mehr Menschen werden, die einsam sterben, würde Thieß nicht sagen: „Es gibt Wochen, da hat man vier Fälle vom Ordnungsamt, und dann ist es wieder lange ruhig.“

Was auffällig ist: „Viele Verstorbene haben keinen großen Angehörigenkreis mehr“, sagt Lampe, „da sind dann zwei, drei Leute auf dem Friedhof, die Abschied nehmen.“ (mz)