1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landkreis Harz
  6. >
  7. Der letzte Harz-Indianer: Turned Apple: "Häuptling Penny Markt" schließt Indianer Museum in Derenburg

Der letzte Harz-Indianer Turned Apple: "Häuptling Penny Markt" schließt Indianer Museum in Derenburg

Von Julius Lukas 17.01.2018, 11:00
Thomas Merbt muss sein Museum in Derenburg bis August räumen. 4000 Exponate müssen entweder eingelagert oder verkauft werden. Dazu gehören auch der Kopfschmuck aus Adler-Federn, der Bison-Schädel und die vielen lebensgroßen Figuren, die Merbt selbst hergestellt hat.
Thomas Merbt muss sein Museum in Derenburg bis August räumen. 4000 Exponate müssen entweder eingelagert oder verkauft werden. Dazu gehören auch der Kopfschmuck aus Adler-Federn, der Bison-Schädel und die vielen lebensgroßen Figuren, die Merbt selbst hergestellt hat. Andreas Stedtler

Derenburg - Indianer kennen keinen Schmerz. So beruhigen Eltern zuweilen ihre Kinder, wenn die sich wehgetan haben. Doch das ist Quatsch, meint Thomas Merbt aus dem Vorharz-Ort Derenburg. Und der muss es wissen. Denn Merbt trägt nicht nur eine Weste der Navajo-Indianer. Er ist auch ein Indianer - fast zumindest. Er wurde von einem Stamm aus Florida (USA) adoptiert. Sein Name lautet „Turned Apple“, was „umgedrehter Apfel“ bedeutet - dazu aber später mehr.

Schmerz jedenfalls spürt Merbt derzeit sehr wohl, auch wenn es kein körperlicher ist. „Es tut schon sehr weh, das alles aufzugeben“, sagt der 68-Jährige. Gemeint ist sein Indianermuseum. In Derenburg hat Merbt seit 2014 seine Sammlung ausgestellt. Etwa 4 000 Exponate, vom Federschmuck bis zum Büffel-Kot. Untergebracht ist die Ausstellung im ersten Penny Markt Sachsen-Anhalts. „Im Ort nennt man mich deswegen auch Häuptling Penny Markt“, sagt Merbt.

Thomas Merbt schließt Museum und verkauft Sammlung

Doch nun hängt der Stammesführer im Ex-Discounter seine Mokassins an den Nagel. Das Museum hat er geschlossen, seine Sammlung wird gerade verkauft. „Ich bin fast 70 Jahre alt und schaffe das nicht mehr.“ Der letzte Indianer im Harz gibt auf - allerdings nicht nur aus Altersgründen. Auch Behördenstress, finanzielle Schwierigkeiten und nicht zuletzt private Probleme zwangen ihn zum Rückzug aus dem Museumsgeschäft. „Nach 17 Ehejahren hat mich vor kurzem meine Frau verlassen“, erzählt Merbt. „Als Westdeutsche ist sie hier im Osten nie wirklich angekommen.“

Dabei sollte der Umzug nach Derenburg dem Indianermuseum neuen Schwung verleihen. Im baden-württembergischen Bretten, wo Merbt seine Ausstellung seit Anfang der Neunziger gezeigt hatte, war ihm 2013 die Miete drastisch erhöht worden. Er suchte ein neues Domizil und fand den alten Supermarkt. „Die Lage zwischen den touristischen Zentren Quedlinburg und Wernigerode schien mir perfekt“, sagt Merbt. Eine Fehleinschätzung, wie sich zeigen sollte.

Der Weg in den Osten Deutschlands war für ihn auch eine Rückkehr. Häuptling „Penny Markt“ wurde in Leipzig geboren, seine Mutter schob ihn allerdings noch im Kinderwagen über die Sektorengrenze. Die Familie lebte fortan in Goslar (Niedersachsen), hatte aber enge Beziehungen in den Osten. Am engsten war der Kontakt zum Großvater, der in seinem Enkel die Begeisterung für Apachen, Sioux oder Irokesen entfachte. „Er kannte Karl May noch persönlich“, erzählt Merbt. Zusammen besuchten sie das Museum des Winnetou-Erfinders in Radebeul (Sachsen) und die Indianer-Ausstellung im zerbombten Grassi-Museum in Leipzig. „Dort konnte man die Exponate noch anfassen“, erzählt Merbt. Die Kunstfertigkeit der Indianer, ihre Kultur, das habe ihn begeistert.

Merbt heuerte mit 14 Jahren als Bootsjunge auf einem Frachter an

Der Junge saugt alles Wissen über die ersten Bewohner Amerikas in sich auf. Und der Wunsch wuchs, echte Indianer kennenzulernen. Doch die USA waren fern und Merbts Familie arm. „Dann kam die Möglichkeit mit dem Schiff.“ 1963, mit erst 14 Jahren, heuerte Merbt als Bootsjunge auf einem Frachter an.

Dessen Ziel: Amerika. Eine große Reise, die jedoch auch Ernüchterung brachte. „Der erste Indianer, den ich traf, hatte Bauch, Bart und war besoffen.“ Die Realität kassierte die romantische Vorstellung des 14-Jährigen schnell ein. Der trostlose Anblick erschreckte ihn zwar, hielt ihn jedoch nicht zurück. „Für mich war damals klar, dass ich den Indianern helfen möchte, indem ich ihre Kultur bekannter mache.“

Damit begann auch seine Sammelleidenschaft. Er schnappte sich alles, was er zu den indigenen Amerikanern und auch den europäischen Siedlern in die Finger bekam. Um an diese Schätze zu kommen, begann Merbt einen ausgeklügelten Tauschhandel mit den amerikanischen Soldaten, die in Deutschland stationiert waren. Bei denen standen Originale aus der Nazi-Zeit hoch im Kurs. Merbt, der ausgebildeter Rettungstaucher ist, durchsuchte Flüssen und Seen nach Überbleibseln aus dem Dritten Reich - und machte reiche Beute: Hunderte Dolche, Schusswaffen und Helme holte er an die Oberfläche. Sogar ein Hitler-Kopf aus Bronze war dabei - bestes Tauschmaterial.

Seine Sammlung wuchs so unaufhörlich und bekam 1992 in Bretten bei Karlsruhe ein Zuhause. Merbt, der bis 1986 als Vertreter in der chemischen Industrie gearbeitet hatte, widmete sich nun rund um die Uhr der indianischen Kultur. „Ich wurde so etwas wie ein freiwilliger Botschafter für die ersten Amerikaner.“

Oft reist der Indianer-Experte auch in die USA und knüpft Kontakte zu den Stämmen. Besonders intensiv ist seine Verbindung zu den Flussindianern in Florida. 1998 wird er von ihnen adoptiert. „Mein Häuptling gab mir den Namen Turned Apple, also umgedrehter Apfel“, erzählt Merbt. Es ist ein Titel, der auf seine Hautfarbe anspielt. „Apfel gilt bei den Indianer als Beleidigung, weil er nur außen rot ist, innen aber weiß“, erklärt Merbt. Bei ihm sei das genau umgedreht.

Nur knapp 5.000 Besucher pro Jahr im Indianer-Museum in Derenburg

Thomas Merbt erzählt diese Geschichten gerne. Doch er weiß auch, dass keine neuen dazu kommen werden. In Derenburg häuften sich zuletzt die Probleme: Seine Frau verließ ihn, es gab mehrere Diebstähle und dann wurde noch der Hebesatz der Grundsteuer erhöht. Hinzu kam der fehlende Rückhalt - nicht im Ort, aber über dessen Grenzen hinaus. „Der Landkreis machte es mir nicht leicht“, meint der Sammler. Aus dem Penny Markt ein Museum zu machen, sei schon ein höchst bürokratischer und kostenintensiver Akt gewesen.

Hinzu kommt noch das Schilder-Problem. Merbt wollte Hinweise anbringen, damit Touristen das Museum von der nahe gelegenen Bundesstraße 6 finden. „In dreieinhalb Jahren ist mir das nicht gelungen“, sagt er. Auch, weil die Behörde ein teures Gutachten verlangte. Und ohne Schilder fanden die Touristen nicht in den ehemaligen Supermarkt. In besten Baden-Württemberger-Zeiten hatte das Indianermuseum 14 000 Besucher pro Jahr. In Derenburg waren es nicht einmal 5.000. Eine Bilanz, die für Merbt nur eine Konsequenz zuließ: Im Dezember hat er das Museum geschlossen - für immer.

Sammler wollte komplette Ausstellung erwerben

Nun ist er dabei, seine Raritäten zu verkaufen. Ein Viertel ist schon vergeben, zumeist an Sammler aus Großbritannien und den USA. „Ich würde ein paar Exponate gerne auch in Deutschland lassen“, sagt er. An seinem über 100 Jahre alten Birkenhautkanu etwa hat das Grassi Museum Leipzig Interesse. „Aber die wollen es nur als kostenlose Dauerleihgabe“, erklärt Merbt. Ein Antiquitätenjäger hingegen habe ihm schon mehrere tausend Dollar dafür geboten.

So werden viele der Raritäten wohl in private Hände gelangen. Und vielleicht bleibt ein Großteil dabei auch zusammen. „Vor kurzem war ein amerikanischer Sammler hier, der wollte gleich die ganze Ausstellung haben“, erzählt Merbt. Vielleicht fahren die Exponate aus dem „Penny Markt“ also bald im Container über den großen Teich - dorthin zurück, wo viele von ihnen einst herkamen.

Indianer in Amerika - Massensterben und Alkoholismus

Wie viele Indianer in Amerika lebten, bevor die europäischen Siedler den Kontinent vereinnahmten, ist bis heute umstritten. Lange hielt sich die These, dass es sich um ein weitestgehend menschenleeres Land gehandelt habe - was auch zur Rechtfertigung der Vereinnahmung diente. Neuere Schätzungen gehen jedoch davon aus, dass etwa 50 Millionen Menschen den Doppel-Kontinent bewohnten. Etwa die Hälfte im Süden und je ein Viertel in Mittel- und Nordamerika.

In allen Teilen führte die „Eroberung“ des neuen Terrains zu einem Massensterben der Ureinwohner, wobei etwa 90 Prozent der Ur-Bevölkerung ausgerottet wurden. Eine noch größere Rolle als die Kriege, die die Kolonialmächte gegen die Indianer führten, spielten dabei eingeschleppte Krankheiten wie Masern, Pocken oder die Grippe. Da sie keine Abwehrkräfte hatten, waren die Indianern den Erregern schutzlos ausgeliefert.

In Nordamerika wurden die Indianer auch durch den Entzug ihrer Lebensgrundlage entscheidend geschwächt. So gilt das massenweise Töten der Bisons durch die Siedler als ein Faktor bei der Dezimierung der nordamerikanischen Indianer. Die Wildrinder waren Hauptnahrungsmittel der Ureinwohner.

Zudem wurden ihre Felle und sogar ihr Kot verwertet. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts bekamen die Indianer Selbstverwaltungsrechte. Heute genießen sie in Teilen Privilegien, wie Steuerbefreiung in ihren Territorien oder die Erlaubnis, Kasinos abseits der staatlichen Kontrolle zu betreiben. Vor allem das Steuerprivileg führt jedoch zu schwerwiegenden Problemen, da es etwa den Erwerb von Alkohol stark verbilligt und zu einem erhöhten Alkoholismus bei den Indianern führt. (mz)