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Inklusion im Sport Inklusion im Sport: Allrounder testen die "Hölle"

Von Benjamin Richter 21.08.2020, 09:56
Stiftungsbewohner Christian Mau schafft es als Erster aufs Rad und düst Richtung Quedlinburg davon. Die anderen Sportler sind ihm auf den Fersen.
Stiftungsbewohner Christian Mau schafft es als Erster aufs Rad und düst Richtung Quedlinburg davon. Die anderen Sportler sind ihm auf den Fersen. B. Richter

Ditfurt - Am Wettkampftag soll jede Bewegung sitzen. Heißt für Triathleten: Sie müssen nicht nur bis zuletzt an ihrem Fahr-, Lauf- und Schwimmstil feilen, sondern auch die Übergänge trainieren, etwa aus dem Wasser aufs Rad. Um hier Zeit zu sparen, rollt Christian Mau sein atmungsaktives Shirt zu einer Art Ring zusammen und legt diesen griffbereit auf seinen Sattel.

Dann tritt der Bewohner der Evangelischen Stiftung Neinstedt in Badehose den Weg zum rund 250 Meter entfernten Start am Kiessee in Ditfurt an. Es ist eine der letzten Trainingseinheiten für ihn und neun weitere Sportler der Stiftung vorm großen Tag, der „Hölle Special“, dem Triathlon für Menschen mit einer geistigen Behinderung, der im September zum zweiten Mal in und um Quedlinburg ausgetragen werden soll.

Jüngster ist 17 Jahre, Ältester 47

Aus der Gruppe, mit der Winfried Knorr zeitig in Neinstedt losgeradelt ist, waren ihm zufolge die meisten schon im vergangenen Jahr bei der „Hölle Special“ dabei. „Wir haben die Zahl der Teilnehmer aus der Stiftung steigern können“, sagt der Mitarbeiter des Freizeitwerks: Während 2019 um die 30 Sportler aus Neinstedt antraten, werden es diesmal 42 sein, „wenn alles gut geht“.

In Corona-Zeiten wisse man ja nie... Bei den Gesamtteilnehmern, von denen man bei der Premiere knapp über 70 zählte, habe man in diesem Jahr bei den Anmeldungen die magische 100er-Marke geknackt. Selbst aus Kiel und Potsdam hätten Starter ihr Kommen zugesagt.

Der jüngste der Athleten in der Trainingsgruppe an diesem Vormittag in Ditfurt ist 17, der älteste 47 Jahre alt. Es seien jene, schildert Knorr, die alle Disziplinen mitmachten und sich nicht etwa im Rahmen einer Staffel auf das Schwimmen, das Laufen oder das Radfahren spezialisierten.

„Es ist wichtig, mit Spaß bei der Sache zu sein“

Die Sportler verstehen sich gut miteinander und mit ihrem Trainer-Team, zu dem an diesem Tag neben Knorr der langjährige Neinstedter Schwimmmeister und Übungsleiter Rainer Brehme zählt. Er bekommt nach dem dritten von vier Schwimmdurchgängen im See eine feuchte Umarmung von Christian Mau und Toni Alexander Günther. „Es ist wichtig, mit Spaß bei der Sache zu sein“, erklärt Brehme. Und betont, dass ein paar Bahnen im Schwimmerbecken den Sprung in den See nicht vollwertig ersetzen könnten: „Hier draußen ist es eben doch alles etwas anders als in der Badeanstalt.“

Da kitzle mal ein Fisch und man müsse Acht geben, nicht zu nahe an das Schilf heranzuschwimmen. Brehme, der bereits seit 1992 in Neinstedt als Übungsleiter tätig ist, kennt seine Schützlinge sehr gut - den meisten von ihnen hat er selbst das Schwimmen beigebracht.

Anders als im Vorjahr, erläutert Knorr, sei die „Hölle Special“ 2020 ein zusammenhängender Triathlon: Wo eine Disziplin ende, fange die nächste gleich an.

Diesmal kein Rahmenprogramm

Überhaupt hätten sich, vor allem wegen Corona, viele Änderungen gegenüber der ersten Auflage ergeben: So falle das Rahmenprogramm, inklusive Begegnungscamp bei der Neinstedter Stiftung, diesmal komplett flach.

Zudem findet der Wettbewerb am Sonntag statt und überschneidet sich mit dem Mitteldistanztriathlon, der zwar früher beginnt und später endet, aber am selben Start und Ziel.

Winfried Knorr hofft, dass sich die Teilnehmer der „Hölle Special“ nicht nur als Konkurrenten wahrnehmen - auch wenn auf die Anstrengung in diesem Jahr keine Party folgen wird. „Nicht nur das Wetteifern soll im Vordergrund stehen, sondern die Sportler sollen sich danach auch in die Augen sehen.“

„Wir legen es so fest, dass die Schnellen vor dem Zug vorbei sind“

Aus den Augen verloren geht dagegen Christian Mau, als er sich sein zurechtgelegtes Shirt übergestreift und den Pedalen seines Rads ein paar kräftige Tritte verpasst hat. Schon ist er hinter einer Kurve verschwunden.

Die anderen Stiftungsbewohner sind ihm auf den Fersen, doch den einen oder die andere halten die teils recht spitzen Kiesel zwischen Seeufer und Fahrrädern davon ab, hier das Tempo zu erhöhen. „Vor dem Rennen werden da Matten ausgelegt, so dass ihr dann keine Angst vor Steinen haben müsst“, beruhigt Rainer Brehme.

Winfried Knorr strampelt los, um zu gucken, wann Mau an den Bahnschienen ankommt - denn diese Zeit ist wichtig, um am Wettkampftag die Startzeit mit den Zeiten der durchfahrenden Züge abzustimmen. „Wir legen es so fest, dass die Schnellen vor dem Zug vorbei sind“, erklärt er, „und hoffen, dass der Zug fort ist, wenn die Langsameren kommen.“ Sagt’s, schwingt sich in den Sattel und düst der „Ditfurter Wand“ entgegen - den Namen hat der 100 Meter lange Anstieg vom Orga-Team der „Hölle Special“ verliehen bekommen. Man ahnt: Wer da hochkommen will, bei dem sollte jede Bewegung sitzen. (mz)