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Porträt Die stille Legende aus Siptenfelde

Der aus dem Unterharz stammende Steven Lambeck hat sechsmal den Brockenmarathon und zweimal den Rennsteiglauf gewonnen. Jetzt ist er 50.

Von Ingo Kugenbuch 09.08.2021, 14:00
Goldjunge: Steven Lambeck mit einigen seiner Pokale und Rennsteiglauf-Shirt in Öhrenstock.
Goldjunge: Steven Lambeck mit einigen seiner Pokale und Rennsteiglauf-Shirt in Öhrenstock. Foto: INgo Kugenbuch

Siptenfelde/Ilmenau/MZ - Als Steven Lambeck im Sommer 2019 vor dem Mauerweglauf in Berlin zum Arzt geht, um sich das Okay dafür zu holen, fragt ihn der Kardiologe, wie lang denn der Lauf sei. „160 Kilometer“, antwortet Lambeck knapp.

Ups. Wie viele, mit denen der aus Siptenfelde stammende Mann über seinen Sport spricht, war der Arzt verdutzt. Wer sich das Leben und die sportlichen Leistungen von Steven Lambeck anschaut, schwankt zwischen Bewunderung und Unglauben. Ist das überhaupt möglich?, fragt man sich. Anders als ein Veganer von seinen Essensgewohnheiten wird Steven Lambeck aber niemals von sich aus anfangen, von seinen Rekorden zu berichten. Er ist eine stille Legende. Eine Legende, die kürzlich ihren 50. Geburtstag feierte.

„Ich habe gemerkt, es liegt mir ganz gut“

Der Start ins Läuferleben war bei Steven Lambeck, der heute in Ilmenau lebt, spät und unspektakulär. „Es war mehr oder weniger die Angst vor der Sportprüfung und dem 3.000-Meter-Lauf in der 10. Klasse“, sagt Lambeck, der in Güntersberge zur Schule ging. Und mit seiner typischen Bescheidenheit fügt er hinzu: „Ich habe gemerkt, es liegt mir ganz gut.“ Und wie gut! Seinen ersten Rennsteiglauf hat Lambeck schon zwei Jahre später - 1989 - bestritten. Damals war die Marathonstrecke noch 45 Kilometer lang. 1998 und 2000 gewann er den Marathon von Neuhaus nach Schmiedefeld, dem „schönsten Ziel der Welt“. Dort ist auch sein Name in einen Stein mit allen Siegern eingraviert.

Lambeck ist sechsfacher Marathonsieger

Den Brockenmarathon beim Harz-Gebirgslauf gewann Lambeck gleich sechsmal in Folge - zuletzt 2001. Am 14. Oktober 2000 lief er bei sechs Grad und Windstärke drei über den Brocken. Nach 2 Stunden, 39 Minuten und 5 Sekunden kam er im Ziel an der Wernigeröder Himmelspforte an - bis heute Streckenrekord. Viele Marathons, dreimal den 100-Kilometer-Lauf im thüringischen Fröttstedt, einmal die Brockenchallenge von Göttingen auf den Gipfel, viele Male den Brockenlauf, die 160 Kilometer in Berlin.

Warum das alles?

„Keine Ahnung. Erklären kannst du das nicht“, sagt Steven Lambeck, den die MZ am Rande seiner Geburtstagsfeier im Ilmenauer Ortsteil Öhrenstock trifft, und überlegt kurz. „Das ist vielleicht eine Sache, die ich besser kann als andere.“ Für ihn sei es spannend, sich zwölf Wochen auf den Tag x vorzubereiten. „Ein Rädchen greift dabei ins andere.“ Zu seiner besten Zeit, berichtet Lambeck, habe er häufig zweimal am Tag trainiert. 140 bis 150 Kilometer lief er in der Woche. „Ich hatte nie dieses wirkliche Talent“, sagt er, „ich musste viel tun.“

Und das tat er. Obwohl er kein Profiläufer war oder durch den Dienst bei der Armee oder der Polizei für den Sport freigestellt wurde. „Ich habe nicht das ganze Leben danach ausgerichtet“, sagt Lambeck. Das könnte der Grund sein, warum er heute so ausgeglichen und glücklich wirkt. „Um das Rad noch weiter zu drehen, hätte man disziplinierter leben müssen, auf die Ernährung achten, das eine oder andere Bier weglassen“, sagt er grinsend. Und Steven Lambeck trinkt gern Bier.

Laufen ist keine Belastung - es gehört zum Leben

Lambeck lebt ein reiches Leben - und das Laufen ist keine Belastung, es gehört dazu. Er machte sein Fachabitur in Eisleben, studierte bis 1997 Elektrotechnik, wurde 2003 promoviert und später Juniorprofessor. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter - Tina und Paula. Heute lehrt er als Professor für Regelungstechnik an der Hochschule Fulda und ist dort als Vizepräsident für Forschung und Entwicklung zuständig.

Steven Lambeck gewann 1997  den Brocken-Marathon beim Harz-Gebirgslauf in Wernigerode.
Steven Lambeck gewann 1997 den Brocken-Marathon beim Harz-Gebirgslauf in Wernigerode.
Foto: Archiv Lambeck

Eine Familie, ein Haus, Lehren und Laufen - wie geht das alles zusammen? „Untergekriegt habe ich das immer“, sagt Lambeck. „Wir haben uns reingeteilt.“ Schließlich läuft Katrin Lambeck auch. 2015 sogar den langen Kanten - mehr als 70 Kilometer - auf dem Rennsteig. „Mir hat mal jemand in Siptenfelde gesagt: ‚Deinetwegen habe ich mit dem Laufen begonnen‘“, erzählt Steven Lambeck. „Das ist mir 1.000-mal wichtiger als eine 2:20 beim Marathon.“ Seine Bestzeit auf der Straße liegt bei 2 Stunden und 24 Minuten, gelaufen 1999 in Hamburg.

Sein schlimmster Lauf war jener Mauerweglauf in Berlin. „Das war schon echt heftig“, sagt Steven Lambeck. Er ist bei Kilometer 68 gestürzt, hat sich Schulter und Hüfte geprellt. Mehr als 90 Kilometer lief er unter Schmerzen weiter. „Irgendwann ging es nur noch darum, den linken vor den rechten Fuß zu setzen - das hatte ich sonst noch nie“, erzählt er. Schließlich fielen ihm die Augen zu. Beim Laufen. Aber der Mann, der für den Brockenlaufverein Ilsenburg antritt, hat es geschafft, kam als 129. von 348 Finishern nach 22,5 Stunden ins Ziel. Um halb 5 Uhr morgens.

„Aufgeben ist keine Option“

Während viele andere Läufer auch mal aufgeben - weil sie sich überschätzt haben oder ihre Traumzeit nicht erreichen -, kommt das für Lambeck nie in Frage. Nur einen einzigen Rennsteiglauf musste er vorfristig beenden, weil seine schmerzende Achillessehne, die später operiert werden musste, das Weiterlaufen unmöglich machte. „Du hast so lange auf den Lauf hingearbeitet, da ist Aufgeben keine Option“, sagt Lambeck.

Und Aufhören auch nicht. Lambeck fühlt sich nicht alt, er ist nur langsamer geworden. Und es tut ihm - bis auf ab und zu die Achillessehne - nichts weh. Er könne sich keine Situation vorstellen, in der er sagt: Nun höre ich auf zu laufen. „Das ist einfach artgerechte Haltung“, sagt er. „Wir sind dafür gemacht.“ Er finde es eher unnatürlich, acht Stunden am Schreibtisch zu sitzen, als 100 Kilometer zu laufen.

Und deswegen bereitet er sich längst schon auf den nächsten harten Lauf vor: Den kompletten Rennsteig von Blankenstein nach Hörschel am 27. und 28. Au-gust. 168 Kilometer am Stück. 2.700 Höhenmeter bergauf, 2.900 bergab. Völlig verrückt!, werden manche sagen. Stimmt. Aber Steven Lambeck wird es genießen.