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"700 km Harz" "700 km Harz": Wie ein Irrweg Enno Seifried aus Leipzig zum Regisseur machte

Von Steffen Könau 30.06.2019, 10:00
Die Magie der Einsamkeit draußen in der Natur fasziniert Enno Seifried. Inzwischen ist er schon wieder unterwegs.
Die Magie der Einsamkeit draußen in der Natur fasziniert Enno Seifried. Inzwischen ist er schon wieder unterwegs.  Overlight Filmproduktion

Am Abend sitzt der junge Mann mit dem Dreitagebart unter ein paar Bäumen, vor einem kleinen Zelt, er löffelt eine Portion Nudeln und schaut in die anbrechende Dämmerung. Ein paar Vögel zwitschern, der Wind rauscht und der Himmel sieht nach Regen aus.

Kein Mensch ist weit und breit zu sehen, nicht einmal ein Weg, nur Natur. Und mehr braucht Enno Seifried auch nicht zum Glücklichsein.

„Alles, was ich will, ist unterwegs sein, draußen in der Natur, unter freiem Himmel einschlafen und abseits des gesellschaftlichen Alltags das Leben genießen“, sagt der 41-jährige Filmemacher, der mit der Dokumentation seiner bislang längsten Wanderung einen Heimatfilm der ungewöhnlichen Art geschaffen hat.

„700 km Harz“ zeigt Sachsen-Anhalts einziges Gebirge als Ort der Einsamkeit, eine Wandereridylle, die stille Sensationen und außergewöhnliche Schönheiten für den bereit hält, der in der Lage ist, sich Zeit zu nehmen und genau hinzuschauen.

Einer wie Enno Seifried, in Leipzig geboren und aufgewachsen, der „als Kind immer draußen gespielt“ hat und sich in einer turbulenten Nachwende-Jugend als Kampfsportler, Graffitikünstler und Rockmusiker ausprobierte.

„Den typischen Jungstraum vom Nine-to-five-Job als Baggerfahrer oder Polizist hatte ich nie“, sagt er, „wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich im Stuntmanteam von Jackie Chan angefangen.“

Nicht, dass er nicht versucht hat, nach Asien zu kommen. „Ich habe damals meinen Job am Theater gekündigt und mich gemeinsam mit einem Freund bei einer kanadischen Holzfällerfirma beworben“, erinnert er sich. Der Plan sei gewesen, in Kanada schnell Geld zu verdienen, um die ersehnte Reise nach China finanzieren zu können.

Erst von einer Firma abgezockt, dann in einem Land, in das er nie wollte

„Aber nachdem wir 20 Dollar gezahlt hatten, hörten wir nie wieder von der Firma.“ Kurzerhand stiefelten die beiden Sachsen ins nächste Reisebüro und fragten nach dem billigsten Flug auf einen anderen Kontinent.

„Naja, eine Woche später standen wir mit sehr wenig Geld auf dem Times Square und überlegten, was wir eigentlich in einem Land machen, in das wir nie wollten.“

Das Beste draus. In einem verrosteten Cadillac Baujahr 1978 fährt Seifried 17 000 Kilometer kreuz und quer durch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. „Dabei habe ich das unheimlich befreiende Gefühl des Reisens kennengelernt.“

Enno Seifried ist auch für sogenannte „Lost Places“ Filme bekannt

Nach China ist Enno Seifried zwar nicht mehr gekommen, aber zu einem Beruf, der ihm heute längst Berufung ist. Autodidaktisch - „die zwei Jahre, die ich mein Abi nachgeholt habe, waren die größte Verschwendung meines Lebens“ - begann er, Filme über sogenannte „Lost Places“ zu machen, alte Fabriken, Gebäude und Kasernen, wie sie nach dem Ende der DDR überall zu finden waren.

Ich wollte wissen, was Zeitzeugen wohl sagen würden, wenn sie über ihre Zeit an diesen Orten berichten würden“, beschreibt er, wie aus seiner Faszination für verlassene Orte und einer spontan gekauften Kamera die Trilogie „Lost Place Storys aus Leipzig“ und die Reihe „Vergessen im Harz“ wurden. Filme, die Ruinen zeigen und Geschichte erzählen, aber auch die Idee für „700 km Harz“ abwarfen.

„Während ich dort unterwegs war, habe ich den Harz so lieben gelernt, dass ich die Gegend noch einmal aus einer anderen Perspektive kennenlernen wollte“, sagt Enno Seifried, der sich selbst nicht als einen Menschen sieht, der „auf der Suche nach der großen Erkenntnis ist“.

Er habe den berühmten Jakobsweg absolviert, „und siehe da, ich bin noch der gleiche wie vorher“, lacht er. Statt also in der Ferne „mich selbst, mein Inneres oder den Sinn des Lebens zu finden“, breche er lieber einfach auf. „Habe ich das Gefühl, mir könnte etwas gut tun, gehe ich es an.“

Im wörtlichen Sinn. Nur mit Rucksack und Zelt wanderte Seifried durch den Harz, eigentlich von Anfang an überzeugt, „dass sich nur ein kleiner Teil meiner bisherigen Zuschauer dafür interessieren wird“.

Seinfried dachte erst, dass Heimatfilm über Harz floppt

Weil er selbst das Projekt von Anfang an eher als Flop sieht, werden die Dreharbeiten und der Schnitt zum Sololauf. „Ich wollte mein Filmteam, das mich sonst unterstützt, nicht hineinziehen und ausnutzen für einen Film, der nur ein paar DVDs verkauft.“

Doch was passiert, weiß man unterwegs beim Wandern nie, wo der Reiz und die Befreiung für Enno Seifreid genau darin liegt, „morgens nicht zu wissen, wo ich am Abend schlafen werde“. Und auch als Filmemacher dreht der Sachse erstmal in den leeren Raum.

Ausgerechnet „700 km Harz“, diese elegische Hymne auf eine Heimat, die so nahe ist, dass sie kaum jemand kennt, geht viel mehr Menschen nahe als Enno Seifried vorher selbst ahnte. „Bei der Premiere wurde mir schlagartig bewusst, dass ich dreimal so viele Tickets verkauft hatte wie vorher erhofft.“ Ein Ansporn. Gerade ist Enno Seifried zu Fuß unterwegs durch Norddeutschland. Die Kamera hat er wieder dabei.

DVD, Kinotermine und Fotos unter www.lost-place-film.de