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Konzert Wenzel in Halle: Voll auf die Ölf

Der aus Wittenberg stammende Liedermacher Wenzel spielte in der halleschen Volksbühne – nach der lautstarken Debatte um ein Auftrittsverbot im Leipziger soziokulturellen Werk 2.

Von Mathias Schulze 12.08.2024, 17:15
Liedermacher Wenzel in der Volksbühne Halle: „In Leipzig spielen wir das natürlich nicht mehr.“
Liedermacher Wenzel in der Volksbühne Halle: „In Leipzig spielen wir das natürlich nicht mehr.“ (Foto: Anna Kolata)

Halle/MZ. - Ein Klassiker am Ende: „Zeit der Irren und Idioten“. Es ist früher Abend, Wenzel begann 16 Uhr, die Kaffeeplausch-Atmosphäre im Hof der Volksbühne in Halle wurde schon aus ihrem beschaulichen Gleichgewicht gebracht. Hannes Scheffler, Thommy Krawallo, Stefan Dohanetz, Manuel Abreu und Jason Liebert liefern den Sound: kämpferisch, anarchisch, melancholisch.

Der gebürtige Wittenberger Wenzel spielte schon mit sanften Liebesliedern an den Tränendrüsen, umarmte mit Lokalkolorit: „In Wittenberg zählen wir bis Ölf!“ Poesie, Zoten, genaue Beobachtungen waren schon ineinander gerieben, Wenzel verausgabte sich bis zur Heiserkeit: „Als die Homosexuellen als Schwule beschimpft wurden, haben sie sich den Begriff zu eigen gemacht. Ich bin ein alter, weißer, heterosexueller Mann aus dem Osten. Und ein Pazifist – das ist das Allerschlimmste!“

Und dann bricht dieser fiebrige Klassiker in die Eingeweide. Der Irrsinn ist in jedem von uns: „Es ist wie Sommer heut im Mai / Die Nutten haben hitzefrei“. Das Publikum wird ins Mitsingen gerissen, irgendwo dort lauert die Chance, der „Zeit der Irren und Idioten“ zu entkommen. Ein kathartischer Tanz. Wovon muss man sich befreien? Vorgeschichten, auf eine spielt Wenzel bei der Einleitung des Volksliedes „Sibirische Liebe“ an: „In Leipzig spielen wir das natürlich nicht mehr!“ Warum?

Chronistenpflicht, Deutschland 2024 in einer Nussschale: Wenzel gab am 31. Januar im soziokulturellen Zentrum „Werk 2“ in Leipzig ein Konzert. Roter Faden? Die gesellschaftliche Spaltung. Ein damaliges Originalzitat: „Es ist schön, dass wir gemeinsam singen. Wenn wir vergessen, dass wir miteinander zu tun haben – auch wenn wir anderer politischer Meinung sind –, kommt zu der Klimakatastrophe noch die soziale Katastrophe hinzu!“

Am 4. Mai erscheint ein Brief von Wenzel in der Tageszeitung Junge Welt: „Nach meinem letzten Konzert bei Euch habt ihr beschlossen, einen weiteren Auftritt von mir zu untersagen. Im Klartext: Ein Auftrittsverbot.“ Am 6. Mai reagiert das „Werk 2“: ein Auftrittsverbot entspreche nicht den Tatsachen. Man veröffentlichte die Mail, die Wenzels Brief animierte, in Auszügen. Eine Kritik der Zwischenbeiträge: „Zum Beispiel wurde sich mehrmals über sensiblen Sprachgebrauch amüsiert (Gendern, die Verwendung von rassistischen Wörter und Sprachmustern zu überdenken), über Personen, die sich auf Grund der Benutzung des N-Wortes angeblich krankschreiben lassen, über Triggerwarnungen, über die Gefahren der Corona-Pandemie und über non-binäre Personen.“ Während der Pause wollte man mit Wenzel reden, denn „auch andere Themen wie eine verfälschende Glorifizierung der DDR-Vergangenheit oder ein positiver relativierender Bezug zu Putin und seinem Angriffskrieg haben uns sehr erschrocken“.

Die Büchse war geöffnet, nach dem öffentlichen Wenzel-Brief wurde der für Ende des Jahres geblockte Termin storniert. Im Netz erfolgte die Zuspitzung, eine scheinbare Gewissensfrage: Ist man für das progressive Werk 2, das sich seine Künstler selbst aussuchen darf? Oder für den alten weißen Mann, der einer „Zensurkultur“ zum Opfer fiel? Sag mir, wo du stehst!

Faktisch geißelte Wenzel, der die von Wagenknecht und Schwarzer initiierte Petition „Manifest für Frieden“ unterschrieb, das westliche Aufrüsten, plädierte für ein Abrüsten: „Diplomatie? Was ist das noch? Ein SPDler, der sagt, dass wir kriegstüchtig werden müssen, hätte man vor 30 Jahren in die Klapse geschickt.“ Ist das ein positiver Bezug zu Putin?

Im Song „Die Hoffnung ist im Eimer“, der mit Übertreibungen arbeitet, heißt es: „Die Frauen werden zu Kerlen / Und die Männer werden zu Weibern“. Ist das ein Verächtlich-Machen von non-binären Personen? Das „N-Wort“ fiel in Leipzig im Rahmen einer Erzählung: Ein befreundeter Lehrer zitierte Martin Luther Kings Rede „I have a dream“ in der Schule. Wegen des Begriffes „Negro“ sollen sich zwei Mädchen krankgemeldet haben. Zu den Gefahren der Pandemie: Wenzel erzählte vom Musizieren im Home-Office während der „acht Jahre Lockdown“: Desinfektionsmittel war schnell alle, es wurde getrunken, das Einsingen mit Maske klappte nicht. Ist das ein Spott auf Erkrankte und Verstorbene?

Zu den Triggerwarnungen: Wenzel warnte in Leipzig vor seiner „weinerlichen Volksschullehrerlyrik“, bezog sich auf eine Rezension in der Leipziger Volkszeitung vom 11. September 2023. Die „Glorifizierung der DDR-Vergangenheit“? Den Song „Klassentreffen“ spielte er in Leipzig gar nicht: „Vielleicht wird uns dereinst verziehen / Denn wir stammen ja aus dem Unrechtsregime!“.

Zutreffend indes ist die „Gender-Kritik“. Wenzel auch in der Volksbühne in Halle: „Seit wir gendern, haben sich die Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau vergrößert.“ Wie auch in Leipzig bedankte sich der Musiker in Halle: „Danke, dass ihr trotz unterschiedlicher Meinungen geblieben seid!“ Der Applaus von beseelten Menschen folgte.