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Volksbühne Kaulenberg in Halle Theater, wie es ihm gefällt

Der Schauspieler Jonas Schütte hat in Halle vor fünf Jahren sein eigenes Theater eröffnet: die Volksbühne Kaulenberg. Sie hat sich etabliert – längst über die Stadtgrenzen hinaus.

Von Anja Falgowski Aktualisiert: 21.08.2024, 17:27
Jonas Schütte macht Theater nach seinen Vorstellungen in der Volksbühne Kaulenberg in Halle.
Jonas Schütte macht Theater nach seinen Vorstellungen in der Volksbühne Kaulenberg in Halle. (Foto: Annette Herold-Stolze)

Halle/MZ - Nach zwei mal zwei Jahren war es schon wieder vorbei. Jonas Schütte, 1983 geboren am Bodensee, Schauspiel in Berlin studiert, war 2009 ans Neue Theater in Halle gekommen, hatte dort unter den Intendanten Christoph Werner und Matthias Brenner gearbeitet – „meist kleinere Rollen“ –, und dann war Schluss mit dem Stadttheater.

Sein Vertrag wurde nicht verlängert. „Ich habe das akzeptiert“, sagt er heute und blickt ohne Gram zurück. „Es war eine schöne Zeit. Beide Intendanten haben besondere Akzente gesetzt.“

Klare Vorstellungen von Theater

Er entschied sich, in Halle zu bleiben, „ICE-mäßig die beste Position.“ Das sei wichtig gewesen, sagt er; der Zug war in dieser Zeit sein Büro; als freier Schauspieler sei er in ganz Deutschland unterwegs gewesen. Freyburg, Hamburg, München, Ravensburg. Und so weiter. In all der Zeit aber ging ihm eine Sache nicht aus dem Kopf: ein freies Theater, und zwar nach seinen sehr klaren Vorstellungen.

„Denn: Ein Theater, wie ich es schätze, habe ich bisher nicht gefunden. Also, dachte ich, mache ich es selber.“ Die Kriterien für eine Spielstätte, so wie Jonas Schütte sie schätzt: ein hohes Maß an Spielfreude, an Verstellungskunst, Vergnügen am Geschichtenerzählen. Das zeichnet ein solches Haus aus, findet er, das gefällt ihm.

Vorderhaus von 1608

Und dann erreichte Jonas Schütte das Angebot, in Halle Räume anzumieten. In alten Gemäuern, das Vorderhaus ist von 1608. Mitten in der halleschen Innenstadt am Kaulenberg. Schütte sammelte „altes Zeug“, Möbel, Teppiche, Requisiten, die Vermieter spendierten die Stühle für das Wohnzimmertheater. Ein dreiviertel Jahr dauerte es, das Theater aufzubauen, und dann legte Schütte los mit seiner „Volksbühne am Kaulenberg“.

Das Programm bietet eine Mischung aus Musik, Tanz, Literatur: Die „Lesebühne Kreis mit Berg“ hat sich etabliert. Die „Open Stage mit Kaulikaraoke“ wurde vor kurzem ins Leben gerufen, ein Format, bei dem musiziert, gespielt, gelesen oder erzählt werden darf von jedem, der sich traut. Die Reihe „Jazz, Lyrik, Trotha“ heißt nicht zufällig wie das zu DDR-Zeiten entstandene Format, bei dem Texte von Dichtern vorgetragen werden. Musik schließlich prägt ebenfalls das Programm: Kürzlich war Wenzel zu Gast, und zweimal im Monat gibt es eine Jam Session.

Alte Stoffe bieten Antworten

Ein Drittel aber ist Theater. Solostücke in der Regel, die beherrscht Jonas Schütte wahrhaft meisterlich. Fast immer sind es Klassiker. Hamlet, Romeo und Julia, Maria Stuart, Faust. Warum diese alten Stoffe, warum Klassiker? „Weil“, sagt Schütte, „ich dort Antworten finde auf die gesellschaftlichen Diskurse von heute, die es aber auch schon vor 500 Jahren gab!“ Die Jugend, als Beispiel, war schon immer schlimm und drohte immer noch schlimmer zu werden. Die Psyche des Menschen wiederum, das werde – anderes Beispiel – bei Hamlet deutlich, sei vor 500 Jahren identisch mit der heutigen gewesen. Der Blick genau darauf, die Beschäftigung mit dem Gestern, das ermögliche einen ruhigeren Blick auf die Welt. Und das heute, sagt Schütte, in dieser irrsinnig schnellen Zeit.

Zeitgenössische Stücke hingegen, er gibt es zu, nun ja. Natürlich gebe es Autoren, die er liebe; es gebe tolle Stücke, aber eben auch ganz viel vom Gegenteil. Er schließt nicht aus, dass er nicht auch mal ein modernes Stück aufführen wird, das nicht. Aber vorerst bleibt es bei den Klassikern. „Ich möchte, dass die Jugendlichen einen Zugang dazu finden“. Das scheint zu funktionieren.

Kinder bringen Eltern mit

Und nicht nur das; erstaunt haben er und sein zur Zeit zehn Leute umfassendes Team festgestellt, dass Schüler wiederum ihre Eltern mitbringen, auch wenn die bislang wenig Berührung mit Theater hatten. Und apropos Kinder und ihre Eltern: Familienstücke sind auch im Angebot, „Ronja Räubertochter“ etwa oder demnächst „Die unendliche Geschichte“.

Soviel zur Sonnenseite seiner Existenz. Manchmal aber verdunkelt die sich, unerwartet. So geschehen vor kurzem, als beim Kaulenberg-Festival ein Israeli und ein Palästinenser von der Gruppe „Combatants for Peace“ auftreten sollten. Unversehens befand sich die Volksbühne in einem veritablen politischen Kampf, Antisemitismus wurde den Machern vorgeworfen. Schütte hatte das ziemlich kalt erwischt. Geahnt habe er das Problem schon, sagt er, nicht aber dessen Ausmaß. In der Vorbereitungsphase half ihm dann eine vom Bund und dem Land Sachsen-Anhalt finanzierte professionelle Stelle für Gewaltprävention. Schütte wurde beraten, auch aufgeklärt; beim Festival selber waren Beobachter und Polizei zugegen, alles ging schließlich gut. „Ich als kleiner Theatermann hätte das alles gar nicht stemmen können“.

Fünf Jahre danach

onas Schütte sagt, die Volksbühne befinde sich, fünf Jahre nach Gründung, immer noch in der Entwicklungsphase. Eine ungeschriebene Regel aber besagt, erklärt Schütte, dass sich nach eben fünf Jahren der Existenz eines Theaters zeige, ob es in der Stadtgesellschaft angekommen oder dem Untergang geweiht sei. Im Fall der Volksbühne darf konstatiert werden: Sie ist angekommen. Und das längst auch jenseits der Stadtgrenze.