Theologe und Bürgerrechtler Streitbarer Gottesmann: Friedrich Schorlemmer legte sich mit den Mächtigen an
Schorlemmer ist ein Sprachrohr der DDR-Bürgerrechtsbewegung gewesen. Auch im vereinten Deutschland stritt er weiter. Ein Nachruf
Halle/MZ. - Ein Prediger von hohem Gaben ist er gewesen. Ein mutiger Streiter für das, was ihm gut, und gerecht und menschenwürdig erschien. Dafür setzte er sich ein, mit allem „protestantischen Pathos“, wie er dieses Talent selbst genannt hat, das er vorzüglich zu gebrauchen wusste. Und mag er dabei manchmal auch ein wenig eitel gewirkt haben – bewirkt hat er jedenfalls viel und ist nicht müde geworden, sich einzumischen. Nun ist Friedrich Schorlemmer in einem Berliner Pflegeheim gestorben. Der Theologe und Publizist wurde 80 Jahre alt.
Als „eine wichtige Stimme des Ostens und eine Symbolfigur der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR“ sowie „eine Leitfigur der friedlichen Revolution“ hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) den Verstorbenen gewürdigt, der 2014 mit dem Verdienstorden des Landes geehrt worden war.
Rückzug in das Private wegen schwerer Krankheit
Vor zwei Jahren hatte Friedrich Schorlemmer seine Demenzerkrankung öffentlich gemacht und sich ins Private zurückgezogen. Das war ein Schnitt, schließlich war der Bürgerrechtler und Friedensaktivist stets eine öffentliche Person, manchen galt er als Instanz. Schorlemmer diskutierte, stritt, schrieb zahllose Aufsätze und Bücher. In Wittenberg, seiner langjährigen Wahlheimat, hat ihn wohl jedes Kind gekannt.
Über die Lutherstadt hinaus, deutschlandweit und sogar international, wurde Schorlemmer 1983 durch einen symbolischen Hammerschlag zur Symbolfigur der christlichen Friedensbewegung und des Protests in der DDR.
Damals hatte während des Kirchentages der Schmied Stefan Nau unter Schorlemmers Verantwortung auf dem Lutherhof in Wittenberg ein Schwert in eine Pflugschar verwandelt. Der CDU-Politiker Richard von Weizsäcker, seinerzeit Regierender Bürgermeister von Berlin (West) und späterer Bundespräsident, war als prominenter Gast bei der Aktion zugegen. Das in den Augen der DDR-Obrigkeit staatsfeindliche Tun machte in Windeseile die Runde in westlichen Medien und wirkte natürlich ermutigend für die Friedensbewegung in der DDR.
Nicht zuletzt dafür ist Schorlemmer 1993 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen worden. Die Laudatio auf ihn hielt Richard von Weizsäcker. Ein engagierter Kriegsgegner ist der Theologe im Übrigen stets geblieben. Die deutsche Beteiligung an internationalen Militäreinsätzen, etwa in Afghanistan, hat er abgelehnt. Überhaupt hatte er keine Scheu, sich mit ganzer Autorität quer zu legen, wenn er von seiner Haltung überzeugt war.
Haltung ist ein Schlüsselwort für Schorlemmers Leben, er wurde geprägt durch sein Elternhaus wie durch die frühe Konfrontation mit dem DDR-Staat. Friedrich Schorlemmer wurde am 16. Mai 1944 in Wittenberge (Prignitz) geboren und wuchs in Werben in der Altmark auf. Sein Vater war Pfarrer, damit war klar: Der Besuch der Erweiterten Oberschule blieb dem Jungen verwehrt. Über eine Abendschule kam er dann doch zum Abitur und studierte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Theologie.
Nach Jahren als Studentenpfarrer in Merseburg lehrte er von 1978 bis 1992 als Dozent am Evangelischen Predigerseminar und war Prediger an der Schlosskirche in der Lutherstadt Wittenberg. Von 1992 bis 2007 war Schorlemmer dann als Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt tätig und machte das Wittenberger Haus zu einer Pilgerstätte für Politik- und Zeitinteressierte.
Dank seiner großen Bekanntheit und seiner zahlreichen Kontakte zu Persönlichkeiten aus Politik, Kirche, Kunst und Gesellschaft, die Schorlemmers Einladungen nach Wittenberg gern folgten, wurde die Akademie zu einem etablierten Debattenort. Oftmals reichten die Plätze im Vortragssaal nicht aus, um alle unterzubringen.
Sehr streitbare Meinung zu Melanchthonhaus
Schorlemmer, der belesene wie wortmächtige Gottesmann, hat diese Abende geliebt. Er hatte Freude an der diskursiven Zuspitzung wie an der Inszenierung und schreckte auch vor Polemik nicht zurück. In diesem Sinne fühlte er sich dem Reformator Martin Luther, in dessen Stadt er lebte, nah.
Schorlemmer hielt es für selbstverständlich, dass man sich bei der Suche nach der Wahrheit herzhaft die Meinung sagen darf. So hat er es auf einem Berliner Podium, wo er mit der Theologin Margot Käßmann und dem früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) über die Frage, was Reformation heute bedeutet, formuliert hat. „Wer lauwarm ist, mit dem kann man weder leben noch streiten“, rief Schorlemmer damals in die Runde. Da war es wieder, das „protestantische Pathos“. Er legte die Latte damit allerdings hoch – auch hinsichtlich des Maßes an Widerrede, die er selbst für zumutbar hielt.
Einmal, als in Wittenberg über den modernen, nüchternen Anbau für das Melanchthonhaus gestritten wurde, forderte Schorlemmer, natürlich nur symbolisch, dazu auf, mit dem Hammer gegen das Bauwerk vorzugehen. Eine polemische Antwort auf diese verbale Attacke hat er erst einmal übel genommen.
Immer ein offenes Gespräch
Aber man konnte offen mit ihm reden, es war eine Freude, ihm in seinem mit Büchern und Manuskripten vollgestopften Arbeitszimmer in Wittenberg zu begegnen. Immer hatte er ein Projekt in Arbeit, Schorlemmer blieb eine öffentliche Person über seinen Abschied aus dem Berufsleben hinaus. So, als hätte er sich gegen die Krankheit, die ihm auferlegt werden sollte, mit aller Kraft stemmen wollen.
Viele seiner Auftritte, viele der Wittenberger Akademiegespräche sind dokumentiert und auffindbar. Was direkt in der Erinnerung geblieben ist, steht noch auf einem besonderen Blatt. Als Beispiel einer hohen, furchtlosen Debattenkultur bleibt jener öffentliche Streit, den Friedrich Schorlemmer mit dem früheren Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde und späteren Bundespräsidenten Joachim Gauck ausgefochten hat – nicht nur über die Medien, sondern auch Auge in Auge in Wittenberg. Pfarrer gegen Pfarrer, Meinung gegen Meinung. Die Stasi-Akten sollten ins Feuer geworfen werden, forderte Schorlemmer, weil sie Unfrieden und Hass über die Menschen brächten. Gauck hielt nüchtern dagegen, es sei besser, Bescheid zu wissen.
Sie haben das miteinander ausgehalten. Die Gemeinde saß mit glühenden Ohren dabei und stritt auch mit. Solche Momente sind rar geworden. Und Friedrich Schorlemmer fehlt nun auch.