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Punk aus Halle Neues Album der Klabusterbären: „Wer's ruhig will, soll aufs Land ziehen“

Die hallesche Band „Klabusterbären“ stellt ihr neues Album auf einem Saale-Schiff vor. „Wer’s ruhig will, soll aufs Land ziehen“ heißt der Tonträger.

Von Mathias Schulze Aktualisiert: 25.07.2024, 11:09
Die Klabusterbären: Christoph Bauer, Jürgen Grahl, Jan Westhusen,  Helge Schmidt, Mario Gieseke und Roman Ronneberg (von links)
Die Klabusterbären: Christoph Bauer, Jürgen Grahl, Jan Westhusen, Helge Schmidt, Mario Gieseke und Roman Ronneberg (von links) (Foto: Frank Brehe)

HALLE/MZ. - Bayern, Sommer 2001. Gerade haben sich die „Klabusterbären“ mit rotzigem Krach, mit Punk, New Wave, Reggae und Indie-Pop in einen schwitzenden Rausch musiziert, da geschieht etwas Unerwartetes. Ein Wimpernschlag nur – und plötzlich ist der Saal leer! Komische Sachen passieren hier im Westen! Halbzeit? Pausentee? Denkste! Draußen tobt eine Schlägerei zwischen den Dorfpunks. Nach gut 15 Minuten kann das Konzert mit blutigen Nasen weitergehen.

Das ist eine von vielen skurrilen Geschichten. Würde man dem Schlagzeuger Roman „Romantikk“ Ronneberg, der 1972 in Bitterfeld geboren wurde und in Halle als Pädagoge arbeitet, ein Bierchen öffnen, kämen unzählige Anekdoten hinzu. 30 Jahre gibt es nun schon seine Punkband, zu der Christoph Bauer, Jürgen Grahl, Jan Westhusen, Helge Schmidt und Mario Gieseke gehören.

„Die Polizeit musst du nicht rufen“

Will man sich erinnern, was die vergangenen 40 Jahre in Ostdeutschland geschehen ist, kann man sich von den acht Veröffentlichungen der „Klabusterbären“ inspirieren lassen. Das neue Album, erschienen bei Anti-Dröhn-Records, heißt „Wer’s ruhig will, soll aufs Land ziehen“. Musik als Chronik der Zeitgeschichte. Auch in den neuen Songs liegt der Fokus dort, wo er immer lag: Umweltverschmutzung zu DDR-Zeiten, Selbstbefragungen, was der oft mystifizierte „Punk“ eigentlich sei, die „Baseballschlägerjahre“ in den 90ern. Ein Thema, zu dem die Band Stellung beziehen möchte: „Es gab unlängst Versuche, den Begriff der ‚Baseballschlägerjahre‘ auf bloße Jugendgewalt umzudeuten. Das impliziert, dass man rechte Gewalt entpolitisiert, dadurch die dahinterstehende Strategie der Rechten, die eine Dominanz auf Straßen und Plätzen erreichen wollten, negiert. Es waren Faschos, die die Provinz unsicher machten, die uns und alle anders Aussehenden gejagt und verprügelt haben“, erzählt Ronneberg für die Band.

Im Song „Baseballschlägerjahre“ heißt es dazu: „Die Polizei musstest du nicht rufen / Die kamen einfach nicht / Und überhaupt ihre eigenen Söhne / Zerrten die nicht vor Gericht / Es blieb uns nichts / Als die Baseballkeule selbst in die Hand zu nehmen“. Auch der antisemitische Anschlag in Halle 2019 wird im Song „Nebel auf Allee“ kommentiert. Hier fährt der Schrecken wieder in die Glieder. Im Lied kommt man vom gemütlichen Angeln, fährt in die Stadt hinein: „Seh keine Menschenseele / Nur das Blaulicht zucken / Die Alten nicht wie sonst / Aus dem Fenster gucken / Man sagt so dahin / Ich fühl mich betroffen / Nur war es noch nie so nah heran gekrochen.“

Oder man höre das großartige „Ich bin, was ich bin“, das mit unglaublicher Wucht eine Antwort auf die Frage der eigenen Identität in die Eingeweide stampft: „Wir sind, was wir waren: / Kid-Punks aus den Wendejahren / Grauer Beton, Honecker-Land / Schrieb nie eine Parole an eine Wand“.

Und heute? Im Lied „Zuversicht und Kippen“ klampften sich die „Klabusterbären“ schon 2017 zu einer Selbstbeschreibung, die noch heute gilt: „Wir sind die Punks der Steinzeit!“ Was das bedeutet? Der Song gibt Einblicke: Getanzt wird mit traurigen Witwen, die Bühne ist gebaut aus Panzerschrott, die Gitarren stecken im Patronengurt und „da, wo einst die Disko stand, singen wir den Soundtrack zum Untergang“.

Rückkehr nach 30 Jahren. Geil!

Ein Schwenk zurück. Wie kam Ronneberg, der in Wolfen-Nord aufgewachsen ist, zur Punk-Musik? „Durchs Westradio! Das fühlte sich wunderbar rebellisch an. Das passte zu der Wut, die ich hatte. Eine Wut aufs autoritäre DDR-System, auf die Enge, auf die Umweltzerstörung“, erzählt Ronneberg. „Punk war für mich eine Musikform, die ich selbst spielen konnte, wo ich nicht viel können musste. Eine Musikschule habe ich das erste Mal von innen gesehen, als ich meine Kinder dort anmeldete.“

Mit 16 Jahren kam Ronneberg nach Halle für eine Lehre als Maschinen-und Anlagenmonteur. Die Wendezeit kann er nicht mehr von der Seele wischen: „Was Besseres, als die Erfahrung, dass unliebsame Autoritäten wegbrechen, kann dir nicht widerfahren. Wir konnten Häuser besetzen, für Bands entstanden Freiräume. Unter den Künstlern – egal, ob Hip-Hopper, Raver oder Punks – gab es einen großen Zusammenhalt.“

1994, auf einer Hausbesetzer-Party, entstanden die „Klabusterbären“, der Name wurde vom Publikum ins Rund skandiert, seitdem war er gesetzt. Ronneberg schlägt den Bogen zur Gegenwart: „Unser erstes Konzert haben wir an der Saale gespielt. Nach 30 Jahren kehren wir dahin zurück. Geil!“ Bleibt zu hoffen, dass das WUK Theater Schiff unter den Tanzbeinen nicht kentern wird. Wobei, dann hätte Ronneberg eine skurrile Geschichte mehr zu erzählen.Klabusterbären live: am 27. Juli ab 20.30 Uhr auf dem WUK Theater Schiff, Saalepromenade (Steg 4) in Halle, www.klabusterbaeren.com