Tagung zu SED-Raubkunst in Sachsen-Anhalt Mehr Licht
Was liegt in den Depots? Eine Tagung fragt nach dem zwischen 1945 und 1990 auf dem Territorium von Sachsen-Anhalt staatlich geraubten Kulturgut.
MAGDEBURG/MZ - „Junkerland in Bauernhand“: So lautete der Slogan der im Sommer 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone vollzogenen Bodenreform. Aber die Bauernhand, die die Hand der neuen politischen Ordnung war, griff nicht allein auf Äcker und Wälder, sondern auch auf in Massen vorgefundenes Kunstgut zu.
Zu den mehr als 3.000 in Sachsen-Anhalt entschädigungslos enteigneten Gütern gehörten über 2.500 Burgen, Schlösser und Gutshäuser samt Inventar: Gemälde, Möbel, Bücher und Archive. Insgesamt 1.133 Tonnen Kunst- und Kulturgüter wurden von 1945 an in vier Jahren in Sachsen-Anhalt beschlagnahmt: darunter 300.000 Bücher, 1.500 Handschriften, 1.200 Kilogramm Noten, 7.800 Bilder und 2.700 Möbelstücke – eingelagert in den drei Zentrallagern der Bodenreform: Schloss Wernigerode, Museum Schloss Bernburg und Kunstmuseum Moritzburg.
Von dort aus wurden Teile des Kulturgutes im Land verteilt. Dort liegen sie, wenn sie nicht verscherbelt, vernichtet oder nach 1994 zurückübertragen wurden, zum großen Teil noch heute. „Wir können davon ausgehen, dass sich in jedem Museum in Sachsen-Anhalt Stücke aus den Bodenreformdepots befinden“, sagt Jan Scheunemann, Mitarbeiter der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt. Der Provenienzforscher gehörte zu den Referenten, die dieser Tage im Magdeburger Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen die erste regionale Fachtagung zum Thema „Entzug“ von Kulturgut in Sachsen-Anhalt von 1945 bis 1990 gestalteten.
Kaufhaus des Westens im Osten
Bis 1990! Denn der politisch legitimierte Kunstraub nahm nach der Bodenreform neu an Fahrt auf. Statt akademisch von „Kulturgutentzug“ wäre heute treffender von SED-Raubkunst zu reden. Der notorische Devisenmangel der DDR führte zu einem systematischen Kunstraub an der eigenen Bevölkerung, die Veräußerung von Museumsbeständen inklusive. Enteignung, Nötigung, Verhaftung, Raub, das waren die Maßnahmen des Staates, der gegen private Kunstsammler und -händler genauso vorging wie gegen „Republikflüchtlinge“, deren Vermögen eingezogen wurde. Oder zuletzt gegen „Ausreiser“.
Das oft durch fingierte Steuerverfahren beschaffte Kulturgut wurde im Auftrag des DDR-Außenministeriums von Alexander Schalck-Golodkowski, Abteilungsleiter „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo), zu Geld gemacht. In Mühlenbeck bei Berlin stand das Kunst- und Möbelschauhaus für die Devisen-Kundschaft: ein Kaufhaus des Westens im Osten. Denn nach Westen gelangte viel staatliche Hehlerware, was dem Thema seine gesamtdeutsche Brisanz, aber eben auch politische Schwergängigkeit gibt.
Insofern war die Tagung eine Überraschung. Man wolle sich dem Thema „stellen“, sagt der Vorsitzende des Museumsverbandes, Ulf Dräger, in Magdeburg. Von einem landesgeschichtlich „blinden Fleck“ spricht Birgit Neumann-Becker, Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Dass die Museen heute wissen wollen, was in ihren Depots lagert, sei eine „Trendwende“. Nach den Recherchen in Sachen NS-Raubkunst und Kolonialismus nun eine Aufmerksamkeit in Sachen DDR-Unrecht? Man wird sehen. Ulf Dräger spricht von einer „Kulturänderung“.
„Es gibt keinen klaren Aufarbeitungsauftrag“
Freilich eine mit großen Herausforderungen. Für das Bodenreformgut wurde schon einiges getan: 1994 trat das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz in Kraft, das die Rückgabe von „beweglichen Sachen“ regelte. Aber darüber hinaus? Die 1998 getroffene Washingtoner Erklärung regelt den Umgang mit NS-Raubgut, eine ähnliche Verabredung für SED-Raubkunst fehlt.
Das ist denn auch die bei der Tagung ständig wiederkehrende Forderung. „Es gibt keinen klaren Aufarbeitungsauftrag durch die Politik“, sagt Mathias Deinert, Referent am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg. Was heißt: „Wir können zur Zeit nur Grundlagenforschung, aber keine systematische Provenienzforschung betreiben. Wenn die Gesellschaft das will, muss sie sich äußern.“ Gesellschaft heißt in diesem Fall: Politik. Sachsen-Anhalt setzt immerhin Signale. Wissen, Beharrlichkeit und Langmut seien nötig, sagt Kulturstaatssekretär Sebastian Putz (CDU) zum Auftakt des Expertentreffens.
Nur die Spitze des Eisbergs
Fallbeispiele aus Museen in Bernburg, Halberstadt, Halle und Ummendorf lieferten die Referenten der Tagung, Sichtungen von inhaltlichen Eisbergspitzen. Wo in Museumsakten in der Spalte „Vorbesitzer“ von „Übernahmen“, „Schenkungen“ oder „Staatliches Eigentum“ die Rede ist, sei Gefahr im Verzug. Das zu klären, fehlen aber durchweg die personellen Ressourcen.
Die Unrechts-Aufarbeitung, erstens, politisch zu legitimieren, und, zweitens, sachlich zu gestalten, darum geht es, zeigte die Magdeburger Tagung. Dass diese Aktion politisch kaum von Westen her angestoßen wird, wo viel Ost-Gut lagert, ist zu vermuten.
Nach dem Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg nun also die gemeinsam vom Landesmuseumsverband und der Aufarbeitungs-Beauftragten veranstaltete Tagung: Es sieht so aus, als würde hier Sachsen-Anhalt eine politische Vorreiteraufgabe zufallen, die es beispielhaft füllen könnte.
Literaturempfehlung zur Sache: Enteignet, entzogen, verkauft. Zur Aufarbeitung der Kulturgutverluste in SBZ und DDR. Provenire Band 3. De Gruyter, 324 Seiten, 39,95 Euro