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Alexander Kluge-Ausstellung in Halberstadt „Bauhaus der Gefühle“

Der Schriftsteller und Medienkünstler Alexander Kluge entwirft mit einer Ausstellung in seiner Geburtsstadt Halberstadt eine Aufklärung für das 21. Jahrhundert.

Von Christian Eger 19.02.2024, 16:42
Alexander Kluge im Gleimhaus in Halberstadt: „Aufklärung ist die Kunst, eine Zukunft zu bauen“
Alexander Kluge im Gleimhaus in Halberstadt: „Aufklärung ist die Kunst, eine Zukunft zu bauen“ (Foto: Eger)

Halberstadt/MZ. - Von dem Dramatiker Heiner Müller stammt die Kunde, dass Friedrich II. von Preußen kaum, dass er 1740 König geworden war, seine Hofmaler angewiesen hätte, dass von ihm keine authentischen Porträts anzufertigen seien. Ein Befehl aus Gründen. Nachdem Friedrich als Augenzeuge hatte erleben müssen, wie sein Jugendfreund Katte hingerichtet worden war, habe der Hohenzollern-Spross sein eigenes Gesicht nicht mehr leiden können. Fast alle Bilder, die wir von ihm kennen seien Erfindungen. Nichts, behauptete Müller, sei authentisch.

Was wäre zu sehen gewesen? Alexander Kluge hat versucht, die Frage zu klären. Der Schriftsteller und Filmemacher hat die verfügbaren Bilder des Königs in eine von ihm selbst hergestellte Künstliche Intelligenz, ein Reservoir von mehreren Millionen Bildern, eingespeist, um ein nahezu authentisches Bild des Königs zu erstellen.

Zwei Porträts stellt Kluge jetzt in Halberstadt aus. Eines zeigt den jugendlichen Kronprinzen: ein helles, ebenes, von klaren großen Augen bestimmtes Gesicht. Ein anderes Bild zeigt den alten König, gefertigt auf der Grundlage seiner Totenmaske: ein in sich mehrfach schiefes Gesicht mit, wie Kluge feststellt, „Zähnen wie ein Tiger“.

Prinzip Notausgang

Was war mit Friedrich schiefgelaufen? Was mit der Aufklärung, als deren Sachwalter er galt? Was hat aus dem sensiblen ein aggressives Antlitz gemacht? Wo liegt der Fehler? Das sind Fragen, denen Kluge, der „Chronist der Gefühle“, in der Ausstellung nachgeht, die an diesem Mittwoch im Gleimhaus in Halberstadt eröffnet wird.

„Enlightenment (=Aufklärung)“ lautet der Titel der Schau, mit welcher der 1932 in Halberstadt geborene Universal-Denker, Büchnerpreisträger und Medienkünstler Vorschläge für nicht weniger als eine neue Aufklärung macht, einen Neustart der auf Vernunft begründeten Denkbewegung, die ihren Höhepunkt im 18. Jahrhundert erreichte. Eine „Erleuchtung“, die der englische Begriff Enlightenment meint, in dem das „light“, das Licht, steckt. Kluge sucht nach Erleuchtung neuer Art. Eine, die nicht nur eine kalte Vernunft, sondern Gefühl, Erfahrung und Kunst zu ihrem Recht kommen lässt.

Die Schau ist als „eine Ausstellung für meine Heimatstadt“ etikettiert, deren Ehrenbürger der Wahl-Münchner seit 2017 ist. In Halberstadt überlebte der Klopstock-Literaturpreisträger des Landes Sachsen-Anhalt als 13-Jähriger den Luftangriff vom 8. April 1945. Von hier aus siedelte er 1945 in den Westen über. Die Erfahrung des Krieges, der Teilung des Landes, alles das hat Kluge in Büchern und Filmen verarbeitet. Einer Arbeit, die dem Prinzip Notausgang folgt – einer Suchbewegung, die auf Eigensinn, Solidarität und die Klugheit der Gefühle setzt. Nun in Sachen Aufklärung.

Nach der Regionalzeitung? Die Wüste

Eigens ist Kluge nach Halberstadt gereist, wo er an diesem Mittwoch seinen 92. Geburtstag feiert. 92! Man will es nicht glauben. Kluge – weißes Haar, dunkelblaues Sakko, blaues Poloshirt, blaue Weste – wartet am Dienstag im Foyer des Gleimhaus-Anbaus. Aufgeräumt, agil, gesprächig. Vor sich auf dem Tisch Bücher, Bilder, Notizen. Wo Kluge ist, ist Werkstatt.

Herr Kluge, wozu eine Aufklärung für das 21. Jahrhundert? „Aufklärung ist eine offene Baustelle, die nicht fertig wurde“, sagt er. „Wir fangen neu an.“ Was fehlte? „Es wurde zu viel geredet und zu wenig gemacht.“ Die Aufklärung vom Kopf auf die Füße zu stellen, darum geht es. Weg von einer Abstraktion von oben, hin zu einer Praxis von unten – zu den leibhaftigen Menschen und ihrem Erleben. Eine „erfahrungsgesättigte Aufklärung“, in der die subjektive Seite so wichtig sei wie die Tatsachenwelt, sagt Kluge. Er wirbt für ein „Bauhaus der Gefühle“: „Das ist ein Projekt, das wir brauchen.“

Vier Räume fasst die Schau, die eine Ausstellung in Bildern, Filmen, Texten ist, begleitet von Kommentaren, die über QR-Codes abrufbar sind: Beiträge der Cornell-Universität in den USA, Gespräche, die Kluge mit der Gleimhaus-Chefin Ute Pott führte.

Vier Stationen: „Enlightenment (=Aufklärung)“, „Die Eleganz der Tiere, wenn sie Schwerkraft überwinden“, Krieg in Halberstadt, zur Person und „Futurama und Futur II: Aufklärung ist die Kunst, eine Zukunft zu bauen – zum 300. Geburtstag von Immanuel Kant“. Gedanken und Bilder – und Bilder aus Gedanken. Vom Licht der Aufklärung (Lesen bei Kerzenlicht, der Leuchtturm von Alexandria) geht es über die Tiere, „die Natur in uns“, nach Halberstadt 1945 bis in die Zukunft. Von einem Sofa aus sind Filme zu sehen, in barocken Vitrinen stehen Zitate zur Sache.

Das bietet die Schau: Erkenntnisse und Einfälle, wie ein Lichterregen, der den unverstellten Menschen erhellt – und seine unmittelbare Lebenswelt, die Region. Eine erfahrungsgesättigte Öffentlichkeit, um die es Kluge geht, meint für ihn zuerst eine regionale Öffentlichkeit. Die aber steckt in der Krise. Was, Herr Kluge, kommt nach dem Ende der Regionalzeitungen? „Die Wüste“, sagt er. Und sofort darauf: „Sie kehren wieder.“ Die digitale, von Algorithmen getriebene Kommunikation sei nützlich, bleibe aber schematisch. „Alle intakte Kommunikation in Deutschland ist zu 90 Prozent regional. Die Menschen brauchen Regionalität.“ Da helfe kein Zentral-Inhalt aus der Hauptstadt.

Ab ins Zukunftszentrum?

Die Ausstellung im Gleimhaus ist der Kern einer künftigen Kluge-Dauerpräsentation vor Ort. Inhaltlich keine Flaschenpost, sondern ein von Halberstadt aus adressiertes Paket an die Zukunft.

Herr Kluge, in Halle soll 2029 ein Zukunftszentrum eröffnen. Wäre dort nicht eine Kluge-Schau sinnvoll? „Das wäre angemessen“, sagt er ohne zu zögern. „Ich würde ein Seckendorff-Zimmer einrichten“, benannt nach Veit Ludwig von Seckendorff, Gründungskanzler der Universität Halle, ein umtriebiger Förderer von Landwirtschaft und Bevölkerungswachstum. Ein Mann der klugen regionalen Praxis, auf die Kluge setzt.

Bis 20. Mai 2024: „Alexander Kluge – Enlightenment (=Aufklärung). Eine Ausstellung für meine Heimatstadt“. Gleimhaus, Halberstadt, Domplatz 31, Dienstag-Sonntag 10-16 Uhr