Kreis Jerichower Land Kreis Jerichower Land: Männer sollen zur Pflichtfeuerwehr
Pietzpuhl/MZ. - Hannover, Berlin, Pietzpuhl lautet die Reihenfolge auf dem blauen Verkehrsschild. Geradeaus geht es zu den Großstädten, auf die Autobahn A 2. Rechts hoppelt man über eine oft und vergeblich ausgebesserte Asphaltpiste zwei, drei Kilometer lang in den Ort mit 250 Einwohnern. Pietzpuhl ist Provinz im besten Sinne. Himmlische Ruhe, gutes Bauland, das Dorf säumen enge Wälder und weite Äcker. Aber Pietzpuhl ist auch Provinz im schlechtesten Sinne.
Dreißig Autominuten von Magdeburg entfernt sind die Folgen des abstrakten Begriffs "demographischer Wandel" konkret geworden: Es gibt nicht mehr genug Freiwillige für eine Feuerwehr. Alte Feuerwehrleute schieden aus dem Dienst, aber neue rückten nicht nach. Im vergangenen Jahr wurde die Feuerwehr deshalb aufgelöst, sie bestand zuletzt aus zehn Mann. Laut Vorschrift acht zu wenig. Die Feuerwehr aus dem Nachbarort ist zwar erst einmal eingesprungen. Aber jetzt sollen in Pietzpuhl Männer zwischen 18 und 55 Jahren zum Dienst am Schlauch in einer Pflicht-Feuerwehr gezwungen werden. So will es das Gesetz.
Kurt Rausch steht in seinem Garten. "Die sollen mal im Rahmen bleiben", schimpft er und fuchtelt mit Gartenschere und frisch geschnittenen Zweigen. Zwar ist der 72-Jährige zu alt, um zwangsrekrutiert zu werden. Er versteht aber, warum die Jungen nicht wollen. Dabei war er selbst jahrzehntelang Feuerwehrmann. "Mein Schwiegersohn arbeitet in Halle. Der fährt morgens um Sechse los und ist abends um Neune wieder da. Dann soll er noch zur Feuerwehr?" Wie dem Schwiegersohn gehe es vielen.
Tatsächlich ist das Dorfleben an diesem Nachmittag überschaubar. Eine Hausfrau hängt nasse Laken auf eine Wäschespinne, ein Kleinkind buddelt im Vorgarten - das war es. Im so genannten "wehrfähigen Alter", zwischen 18 und 55 Jahren, trifft man nur Joachim Jaki, er ist in den Vierzigern. Er ist auch nur da, weil er einen Tag Urlaub hat. Jaki geht Rausch im Garten zu Hand, steigt für den Nachbarn auf die Leiter, die hohen Zweige schneiden. Er hilft gerne, aber Feuerwehrmann wider Willen mag er nicht sein. Kann er auch nicht, sagt er - ihm wurde vor Jahren die Milz entfernt. Ob ihn das vor dem Zwangsdienst bewahrt, ist offen. Er war nach dem ersten Behördenbrief beim Amtsarzt, hat aber noch keinen Bescheid. Er will notfalls kämpfen, irgendwie. Denn Jaki arbeitet als Medikamentenkurier. "Ich fahre am Tag 620 Kilometer." Selbst wenn er bei Alarm in Reichweite wäre - er will alles vermeiden, was seinen Arbeitgeber aufbringen könnte. "Ich war arbeitslos und habe zwei Jahre Hartz IV hinter mir, ich will wegen der Feuerwehr die Arbeit nicht verlieren."
Bürgermeisterin Roswitha Reinhold (parteilos) kennt diese Probleme. Es gebe viele Berufspendler und viele Selbstständige im Ort. "Mein Stellvertreter arbeitet als Elektromonteur auf Baustellen in ganz Deutschland."
Die Bürgermeisterin wehrt sich gegen den Eindruck, die Flurgrenzen seien das einzige, was Pietzpuhl zusammen hält. Klar, der Gemeinsinn lasse zu wünschen übrig. "Es sind immer die Gleichen, die sich hinstellen und etwas tun." Aber die Jungen ziehen eben weg, die Mittelalten arbeiten woanders, nur die Alten bleiben. "Die Probleme, die wir hier haben, gibt es doch in ganz Deutschland." In Pietzpuhl seien sie nur zugespitzt. Auch wenn es ihr nicht gefällt, wird Reinhold die Bescheide zur Zwangsrekrutierung bald unterschreiben. "Wir müssen diesen Weg gehen." Wen es genau treffen wird, ist aber noch unklar. Wie Jaki wurden alle Männer zwischen 18 und 55 angeschrieben. 15 erklärten sich zum Zwangsdienst bereit, 44 lehnten ab, 15 gingen zum Amtsarzt. Für die Dorf-Feuerwehr ist eine Mindeststärke von 18 vorgeschrieben.
Um eine Reserve zu haben, würden 24 Männer ausgewählt, sagt Günter Schulze, Leiter der Verwaltungsgemeinschaft Biederitz-Möser. Kriterien dafür nannte er nicht. "Wir arbeiten gerade daran." Wer nicht folgt, muss mit Bußgeld von bis zu 25 000 Euro rechnen. Oder gar mit "Erzwingungshaft". Schulze: "Wir wollen das alle nicht, am Ende lässt uns das Gesetz aber keine Wahl."