Klaus Klamroth Klaus Klamroth: Das letzte Opfer des Treuhand-Skandals von Halle
Halle (Saale)/MZ. - Lange nicht mehr hier gewesen. Und doch gleich zwei alte Bekannte getroffen! Dazu noch diese Stadt, die Klaus Klamroth ganz anders in Erinnerung hat. So viel hat sich verändert, Halle ist so viel schöner, schwärmt der 82-Jährige, der vor 22 Jahren zum ersten Mal zurückgekehrt war in eine der Städte seiner Jugend. Klaus Klamroth kam, um als Treuhand-Direktor mitzuhelfen, die DDR-Planwirtschaft fit zu machen. "Ich las eine Anzeige, in der die Treuhand Profis suchte", erinnert er sich. Als erfahrener Manager, zuletzt bei einem großen Getränkeabfüllunternehmen, fühlt sich Klamroth gemeint. Und als ehemaliger Ostdeutscher, der die Verbindung zu Mitschülern und Freunden in der DDR nie hat abreißen lassen, fühlt er sich auch geradezu aufgerufen.
Der gebürtige Halberstädter, der 1958 in den Westen gegangen war, weil die DDR ihm zu eng wurde, zieht in den Stadtteil Silberhöhe. Er arbeitet 14, 16 Stunden am Tag. Als Chef des Direktorats Beteiligungen der Treuhand-Niederlassung in Halle ist Klamroth für hunderte Firmen und tausende Mitarbeiter zuständig. Klamroth weiß, dass er Schmerzen zufügen und Schicksale beeinflussen wird. Manchmal erstarrt er vor Angst, wenn er in Liquiditätsnöten steckenden ehemaligen VEBs Kredite zuweist. "Ich dachte, verdammt, über wie viel Geld entscheidest du hier?"
Ihm selbst geht es nicht um die schnelle Mark. Ganz im Gegensatz zu einigen seiner Direktorenkollegen, die ein paar Zimmer weiter damit beschäftigt sind, die improvisierte Privatisierungsmaschine Treuhand zum Selbstbedienungsladen umzugestalten. Privatisierungschef Sven Andreas, ein in Süddeutschland gescheiterter Anwalt, hat ein narrensicheres System erfunden und zur Umsetzung seiner Pläne einen ganzen Schwung Gleichgesinnter nach Halle nachgeholt. Nun muss, wer ein Unternehmen übernehmen will, an die Privatisierer zahlen. Millionen wechseln unter dem Tisch den Besitzer. Millionen, die beschafft werden, indem den ohnehin wankenden Betrieben zusätzliche Schulden aufgebürdet werden. Andreas wurde 1998 zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Aber "egal, welche Entscheidungen getroffen werden, es wird nichts revidiert", hatte Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel ja damals als Devise ausgegeben - für die Glücksritter aus Baden-Württemberg ein Freibrief, wie der Journalist Dirk Laabs meint. Laabs hat mehrere Jahre zum Thema Treuhand recherchiert. Heute verortet er den Ursprung der Treuhand-Mafia von Halle in der Bar des damaligen Interhotels. "Als die Sparkasse Halle Kredite ohne Sicherheit vergab, zog das Gangster aus der ganzen Republik an." Die hätten schnell erkannt, welche Gelegenheit die Treuhand bot: Betriebe konnten "systematisch gefleddert" werden, ohne dass es jemand bemerkte. "Die Treuhand hatte ja ohnehin eine Sündenbock-Funktion für die Politik."
"Unglaubliche kriminelle Energie"
Aus Halle wurde Klein-Chicago. Klaus Klamroth nennt die ständige Mahnung zu schnellerer und noch schnellerer Privatisierung als Hauptgrund dafür, dass niemandem auffiel, mit welch "unglaublicher krimineller Energie" Firmen wie der Dampfkesselbau Hohenthurm, die Baumechanisierung Halle oder das Betonwerk Merseburg an zwielichtige Gestalten verscherbelt und von denen ausgesaugt wurden. "Es war nie Zeit, den neben Dir zu fragen, was bist Du für einer", beschreibt Klamroth, "es ging immer nur darum, möglichst schnell fertig zu werden."
Niemand sagt das so, aber klar ist: Bundeskanzler Helmut Kohl, der den Ostdeutschen blühende Landschaften versprochen hat, möchte ohne das leidige Thema Treuhand in die 1994 anstehende nächste Bundestagswahl gehen. Alles muss raus, lautet die Devise, Privatisierung vor Sanierung ist das Motto. Da bleibt keine Zeit, Industriepolitik zu machen oder daran zu denken, dass eilige Verkäufe an fragwürdige Investoren gewachsene Strukturen zerstören. Der hallesche Treuhand-Chef Michael Dickerhof, der aus Brasilien nach Sachsen-Anhalt gekommen ist, lässt die Dinge laufen.
Und Klaus Klamroth schaut dem Treiben, von dem er nur die Oberfläche wahrnimmt, hilflos zu. Der Druck, die Geschäfte möglichst bald zu schließen, habe immer mehr zugenommen, ohne Prüfung seien Mitarbeiter eingestellt und riesige Unternehmen an Käufer abgestoßen worden, die gar nicht die Finanzkraft gehabt hätten, zu investieren. "Wir haben gearbeitet wie die Tiere, ohne dass es genaue Vorgaben oder Regeln gab." Dabei habe er stets bewundert, mit welcher Bereitschaft zur Veränderung die Menschen trotz aller Belastungen und Einschnitte reagierten. "Niemand hat gemauert."
Brisanter Vorschlag
Als Klamroth, der unzufrieden ist mit den Möglichkeiten, Weichen für die Zukunft zu stellen, auf die Idee kommt, die Treuhand selbst an Investoren zu verkaufen, um Zeit für einen sanfteren Übergang von Staats- zu Marktwirtschaft zu gewinnen, beginnen seine letzten Tage in der Anstalt. Sein Vorschlag, der zum Beschluss auf dem Tisch des Treuhand-Vorstands liegt, wird vom Finanzministerium abgelehnt.
Wenig später rückt die Staatsanwaltschaft an, um seine Wohn- und Geschäftsräume zu durchsuchen. Klamroth habe, so der Vorwurf, gemeinsam mit den später verurteilten Managern Andreas, Glock und Greiner Insidergeschäfte abgeschlossen und sich bereichert. "Mir wurde fristlos gekündigt, mein Ruf war ruiniert." Fünf Jahre muss Klaus Klamroth warten, bis das Verfahren eingestellt wird. "Die haben immer gehofft, das sie doch noch etwas finden", glaubt der Mann, der auf seine Weise das letzte Opfer des Treuhand-Skandals von Halle ist. Doch er hadere nicht, sagt Klaus Klamroth, denn "es hat mich erwischt, aber immerhin sitze ich noch hier, ganz entspannt."
Die Arbeit der Treuhand hält er aus heutiger Sicht trotz aller Fehler für insgesamt gelungen. Wenn auch nur, "weil damals niemand einen anderen Plan hatte, der besser gewesen wäre". Vier Töchter und elf Enkel hat der weißhaarige Herr, der über die Niederlage seines Lebens distanziert, aber zugleich sehr emotional spricht. Es ist vorbei, aber vorüber ist es für Klamroth noch nicht. Mit Blick auf die Finanzkrise habe er manchmal den Eindruck, "dass wir vielleicht nicht genug aus dem gelernt haben, was damals schief gelaufen ist".