Ältestes Kino Deutschlands Kino in Burg: Ältestes Kino Deutschlands - Das Erfolgsrezept der ehrenamtlichen Kinomacher aus Burg

Burg - Am Dienstagnachmittag weiß Bernd Goldbach noch nicht, was der Rest der Woche bringt. „Vier Dienste haben wir noch nicht abgedeckt.“ Macht aber nichts, bisher hat es fast immer noch irgendwie geklappt. „Es ist schon lange her, dass wir aus Personalmangel mal einen Film ausfallen lassen mussten“, sagt er. „Meist springe ich selber ein. Ich wohne ja schließlich in Burg.“
Burg, Jerichower Land, ein Dienstag im Advent. Goldbach, 55, sitzt in seinem Büro in der ersten Etage. Von der Wand blicken Sean Connery und Marilyn Monroe in Schwarz-Weiß. Während er erzählt, wie man es schafft, ehrenamtlich ein kleines Kino zu betreiben, schieben sich Besucher in das Foyer des „Burg-Theaters“ in der Altstadt. Mütter und Omas mit kleinen Kindern stehen vor der Kasse. Kurz nach 16 Uhr, gleich beginnt der Kinderfilm: „Elliot - das kleinste Rentier“.
Bernd Goldbach ist Vorsitzender des Vereins „Weitblick“
Bernd Goldbach ist ein ruhiger Typ mit grauem Bart und Brille, zu Jeans trägt er T-Shirt und Strickjacke. Vor acht Jahren hat der Verein „Weitblick“, dessen Vorsitzender er ist, das „Burg-Theater“ übernommen. Der vorherige Betreiber war in den Ruhestand gegangen. Das Burger Kino ist nicht irgendeins. Es ist das älteste Kino Deutschlands, 1911 als „erstes, größtes, elegantestes Spezial-Lichtspiel-Theater der Provinz Sachsen und Nachbarstaaten“ errichtet, wie es in einer zeitgenössischen Anzeige hieß. Seitdem gab es nur zwei kurze Spielpausen. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs und im Sommer 2010, als der Verein übernahm.
Das Burger Kino ist auch in anderer Hinsicht nicht irgendeins. „Wir wollen uns abheben mit einem anspruchsvollen Programm“, sagt Goldbach. Statt auf Hollywood-Massenware setzen sie auf Arthouse-Filme, die in der Regel in den Programmkinos größerer Städte ihr Publikum finden. Aber in einer Kleinstadt mit 22.000 Einwohnern?
Die Zahlen zeigen, dass die Burger Kinomacher richtig liegen: Mit 3.000 Zuschauern jährlich fingen sie an, mittlerweile sind es mehr als 16.000. Gerade haben sie für ihr Programm einen Preis der Defa-Stiftung erhalten. Nicht die einzige Auszeichnung. Der Staatsminister des Bundes für Kultur und Medien vergab in den vergangenen Jahren reihenweise Preise nach Burg, vor allem für die Kinder- und Jugendfilmauswahl. Wie eine Trophäe hängt die Liste an der Kasse aus. Bernd Goldbach ist stolz darauf: „Das ist eine Anerkennung unserer Arbeit.“
Eine Hauptamtliche für das Büro
Aber wie schaffen sie das überhaupt? Ein Kino mit einem preisgekrönten Programm zu betreiben, täglich außer montags? Mit zwei Filmen pro Tag? Kartenverkauf? Filmvorführung? Barbetrieb? Vor und hinter den Kulissen kümmert sich im Wechsel eine Mannschaft von 30 Ehrenamtlichen um den Betrieb, pro Schicht sind immer zwei von ihnen da. Die meisten gehen noch Berufen nach, die sie fordern. Vereinschef Goldbach etwa ist Oberarzt in der Unfallchirurgie des Burger Krankenhauses. Nur für das Tagesgeschäft haben sie eine hauptamtliche Kinoleiterin eingestellt. Sie kümmert sich um die Büroarbeit - Verträge, Buchhaltung, Kontakte zu Filmverleihern.
Goldbach hat die Liebe zum Film zum Kinobetreiber werden lassen. Was ihn hält, ist der Kontakt zum Publikum. Die regelmäßigen Gespräche mit Stammkunden, Lob und Kritik am Programm. Er sagt, er wolle etwas für andere tun und dafür etwas zurückbekommen. Und sei es ein Dankeschön für einen schönen Filmabend. Es ist ein Motiv, das wohl die meisten Ehrenamtler antreibt. Andere engagieren sich im Sportverein. Bernd Goldbach ist früher 30 Kilometer nach Magdeburg gefahren, um Filme zu sehen, die in Burg nicht zu sehen waren. Jetzt zeigt er sie selber. „Das geht nur mit Herzblut fürs Kino.“ Einer seiner Lieblingsfilme: „Alexis Sorbas“, 1964, mit Anthony Quinn.
Ehrenamtliche betreiben Kino mit persönlichen Vorlieben und Erfahrung
An der Kasse sitzt an diesem Dienstag Jens Schröter. Vor 28 Jahren kam er aus Zwickau nach Burg, der Liebe wegen. Seitdem kennt und schätzt er das Burger Kino. Er gehört zu denen, die es nicht sterben lassen wollten, als der bisherige Betreiber sich zurückzog. Als er von dem Verein hörte, dachte er sich: Das ist was für mich. Seit 2011 ist er dabei. Schröter, 48, liebt Harry Potter. Er hat die Filme nicht nur gesehen, er hat sie auch gezeigt.
Filme zeigen. Hört sich einfach an. Ist es aber nicht. 2010 sind die künftigen Kinomacher erst einmal bei ihrem Vorgänger in die Lehre gegangen: Wie bedient man einen Projektor? Wie verhandelt man mit Filmverleihern? Wie führt man überhaupt ein Kino? Kann man alles lernen. Was man nicht lernen kann, sagt Bernd Goldbach: Wie man ein Programm macht. Sie haben sich drei Schwerpunkte gesetzt - Kinder- und Jugendfilme, deutsche und europäische Filme, Filme mit Bezug zur Gegenwart. Der Rest besteht aus persönlichen Vorlieben und immer mehr Erfahrung. In der Regel fällt die Wahl nicht auf Kassenschlager. Was nicht heißt, dass sie die nicht auch mal zeigen.
Goldbach: Kino-Programm ist immer auch eine Gratwanderung
„Am Ende ist es immer eine Gratwanderung“, sagt Bernd Goldbach. Was er meint: Das Programm muss stimmen, aber die Kasse auch. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Eintrittskarten, Popcorn und Getränken decken nur einen Teil der laufenden Kosten. Dazu kommen Beiträge von Fördermitgliedern. Preisgelder, wie jüngst 5.000 Euro von der Defa-Stiftung, seien daher nicht nur Anerkennung, sondern willkommene Hilfe, sagt Goldbach. So ließen sich Veranstaltungen finanzieren, bei denen die Kinomacher eigentlich draufzahlen. Etwa das Seniorenkino zu vergünstigten Preisen.
Wer das Burger Kino betritt, fühlt sich um Jahrzehnte zurück versetzt. Schwingtüren im Stil der 1960er Jahre führen ins Foyer. Über dem Kassenschalter zeigt altmodisch anmutende Leuchtschrift die Preise an. Seinen Platz kann man im Saal wählen. Oder in der „Visionsbar“ - Tischchen und rote Drehsessel erhöht auf einem Podest. Hier kann man sich Popcorn und Getränke an den Platz servieren lassen. Die ersten Besucher, die den Kinderfilm sehen wollen, steuern die Bar an.
Eine Etage höher ist es vorbei mit der Nostalgie. Im Vorführraum brummt die Lüftung eines Digitalprojektors. Statt Filmrollen liefern die Verleihfirmen auch nach Burg seit einigen Jahren Festplatten, auf denen die Filme gespeichert sind. Diese müssen nur ins Gerät geschoben werden. Früher musste man mit Filmrollen hantieren, den Filmstreifen in den Projektor einlegen, hinterher zurückspulen. Heute genügt ein Mausklick, um „Elliot“ oder „Gundermann“ zu starten.
Digitaltechnik sichert die Existenz
Nostalgiker mögen das bedauern. Doch die Umstellung auf digitale Vorführtechnik sichert kleinen Kinos ihre Existenz, wie Vereinschef Goldbach erklärt: „Ohne die Digitaltechnik hätten wir Probleme, ein abwechslungsreiches Programm zusammenzustellen.“ Schon seit Jahren, sagt Goldbach, seien immer weniger Filme analog verfügbar. Diese Technik sei den Verleihern mittlerweile zu teuer: Die Filmrollen verschleißen irgendwann, sie müssten dann aufwendig umkopiert werden. „Und aktuelle Filme werden ohnehin nur noch digital produziert.“ Goldbach findet das nicht schlimm, im Gegenteil. „Qualitativ ist das ein Sprung nach vorn.“ Die Bildauflösung sei besser.
Dennoch haben sie in Burg noch einen alten Projektor tschechoslowakischer Bauart aufbewahrt. Er wartet im Vorführraum auf seinen Einsatz. Daneben steht ein Filmteller. Das ist eine Art riesige Etagere, auf der die Filmrollen liegen und in den Projektor gespult werden. Goldbach gehört zu den wenigen im Verein, die diese Technik noch bedienen können. Manchmal zeigen sie Filme wie früher von der Rolle, bei der Museumsnacht oder bei Tagen der offenen Tür.
Theoretisch, sagt Bernd Goldbach, müssten sie dank der digitalen Technik das Kino gar nicht mehr betreten. Sie könnten die Filme auch von zu Hause aus per Smartphone starten. Aber das wäre ja dann kein Kino mehr. (mz)