Kartoffelkanone Kartoffelkanone: Ballern mit der Knollen-Magnum
Halle/MZ. - Eigentlich sollte die ganze Sache nur ein Partyspaß sein. "Dass das so ausartet", sagt der 17-jährige Andreas, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, "hat doch keiner geahnt." Denn aus dem Scherz unter Freunden ist so etwas wie ein Freizeittrend geworden. Mit selbst gebastelten Kanonen streifen Jugendliche durch Wald und Flur und ballern wild durch die Gegend. Längst ist die Polizei auf das Treiben aufmerksam geworden - auch in Sachsen-Anhalt. Denn Experten halten die Waffen, die mit Kartoffeln munitioniert werden und deshalb verharmlosend "Kartoffelkanonen" genannt werden, für ausgesprochen gefährlich.
Die Bauanleitungen gibt's im Internet auf Homepages wie die von Andreas und seinen Freunden. Die "Waffenteile" hat jeder Baumarkt für zwölf Euro im Regal, als Treibmittel dient ein elektrisch gezündetes Gemisch aus Haarspray und Luft. Mit etwas Geschick entsteht dann eine Waffe, die selbst bei vergleichsweise harmloser Bestückung mit einer Kartoffel erhebliche Schäden verursachen kann. Spezialisten vom Landeskriminalamt in Thüringen haben bei Probeschüssen festgestellt, dass die Gemüseknolle auf zehn Meter Abstand ein Loch in eine Hartfaser-Platte schlagen kann. Ohne Hindernis flog die Kartoffel 140 Meter weit. Stehen da Mensch oder Tier im Weg, sind Verletzungen nicht zu vermeiden.
In Thüringen hat es bereits mehrere Strafverfahren gegen Kanonen-Schützen gegeben. Auch in Sachsen-Anhalt wird in ähnlichen Fällen wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz ermittelt. Derzeit werden im Labor des Magdeburger Landeskriminalamtes (LKA) mehrere der Schuss-Apparate untersucht. "Eingesandt wurden die Geräte von Polizeidienststellen aus dem ganzen Land", sagt LKA-Sprecher Reinhard Beer.
Dem 17-jährigen Andreas wird die Popularität der Kartoffelkanone langsam unheimlich. "Wir haben die Bauanleitung jetzt aus dem Internet genommen", sagt er. Freiwillig, denn juristisch ist gegen die Verbreitung der Pläne wenig zu machen. Aufgrund fehlender Rechtsprechung, teilte das Bundeskriminalamt den Ländern kürzlich in einem Rundschreiben mit, sei die waffenrechtliche Würdigung der Schießgeräte nicht klar.
Andreas und seine Freunde betreiben mehrere Seiten im Netz, die die Waffe zum Thema haben. Über Werbeeinnahmen haben sie damit bisher schon ganz gut verdient; jetzt wollen sie die Seiten verkaufen. "Wenn die Waffe so gebaut ist, wie wir sie beschrieben haben, kann nichts passieren", glaubt Andreas. Das Problem ist, dass das niemand kontrollieren kann. Denn schon härtere Munition - mit Sand und Gips gefüllte Filmdosen oder mit Zement ausgegossene Klopapier-Rollen sind beliebt - kann bei einem Treffer schlimme Verletzungen verursachen.
Aber auch der Schütze geht ein hohes Risiko ein, wenn etwa die Verschlussklappe der Knollen-Magnum nicht hält. So erging es einem gewissen "Ralle" aus Bad Kreuznach. In einem Internet-Forum ist sein Porträt zu sehen: mit durchtrennter Unterlippe und vom Kinn herabhängenden Fleischfetzen.