Kanal Kanal: Von der Elster bis an die Alster
WÜSTENEUTZSCH/MZ. - Die riesigen, aber auch rissigen Wände sind das größte Relikt dessen, was der 43-Jährige wiederbeleben will: Den Saale-Elster-Kanal. Am Fuße der grauen Betonblöcke im Saalekreis, zwischen denen mittlerweile Birken und Schilfgras wachsen, erklärt Witfer am liebsten, wie die Fertigstellung des seit 66 Jahren brach liegenden Projektes den Wassertourismus beleben könnte. Vor zwei Jahren hat der Rettungsassistent, der gerne mit dem Sportboot unterwegs ist, einen Förderverein gegründet. "Wir wollen, dass der Kanal nicht in Vergessenheit gerät", sagt Witfer. Lieber wäre es ihm, wenn er noch mehr erreichen könnte - den Weiterbau. Sein Traum ist es, mit dem Sportboot von Leipzig zur Saale zu fahren.
50 Millionen Euro könnte es nach Vereins-Schätzung kosten, den Kanal von der Saale bis zum Lindenauer Hafen fertig zu stellen. Vom Hafen wiederum sollen Boote über den innerstädtischen Karl-Heine-Kanal auf die Weiße Elster gelangen. Wasser führen bisher nur der unvollendete Hafen in Leipzig und ein Abschnitt des Saale-Elster-Kanals zwischen Leipzig und Günthersdorf im Saalekreis. Von dort bis Wüsteneutzsch war der Kanal fertig, aber nicht geflutet. Die restliche Strecke bis zur Saale wurde nie fertig.
Die Pläne für die Verbindung von Elster und Saale bestehen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Damals wollte man Leipzig an das internationale Wasserstraßennetz anschließen. Geplant war eine Route für den Güterverkehr per Schiff. "Man wollte von der Elster an die Alster, also von Leipzig nach Hamburg", sagt Dirk Becker. Der Lokführer und Hobbyhistoriker aus Aschersleben hat für den Förderverein Saale-Elster-Kanal die Geschichte des Kanalbaus recherchiert. Und beinahe wäre dieses Ziel auch erreicht worden. 1926 wurde der Bau beschlossen, 1933 begannen die Arbeiten an der 19 Kilometer langen Wasserstraße. Doch wegen des Zweiten Weltkriegs wurde das Projekt 1943 abgebrochen. "Damals fehlten nur knapp 1 000 Meter bis zur Saale", sagt Witfer. Heute steht der Kanal samt seiner Brücken und der Schleuse unter Denkmalschutz.
Dass die Saale-Elster-Verbindung jemals für den Güterverkehr genutzt werde, sei unwahrscheinlich, sagt Witfer. Interessant wäre der Wasserweg aber für Touristen, die per Boot von den Seen bei Leipzig auf die Saale und die Elbe schippern wollen. Bisher gehe das nur mit Kanus und Kajaks auf der Weißen Elster. Um den Fluss für Ausflugs- und Sportboote schiffbar zu machen, müssten indes elf Schleusen gebaut werden, so Witfer. "Das wäre schon aus Gründen des Naturschutzes ein Wahnsinn."
Die 15 Mitglieder des Fördervereins werben mit Vorträgen und Briefen an die Abgeordneten aus der Region für das Vorhaben. Sie seien auf Interesse und Wohlwollen gestoßen. Konkrete Aussagen zur Unterstützung des Vorhabens habe es aber nicht gegeben, so Witfer. In den zuständigen Magdeburger Ministerien für Verkehr und für Wirtschaft herrscht indes eher Skepsis. "Der finanzielle Aufwand wäre viel zu hoch," so ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums.
Das heißt jedoch nicht, dass der Verein mit seiner Idee allein ist. Auch in Sachsen hat das Projekt eine Lobby. Der Verein Wasser-Stadt Leipzig macht sich ebenso für eine Verbindung zwischen Elster und Saale stark wie die Stadt Leipzig. Letztere hat beim Sächsischen Wirtschaftsministerium Fördermittel beantragt. "Wir wollen prüfen lassen, ob das Projekt möglich ist, wie es möglich ist und auf welchem Wege es wirtschaftlich umgesetzt werden kann", sagt die Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Gewässer, Inge Kunath. Das schließe aber nicht zwingend den Weiterbau des Saale-Elster-Kanals ein. "Unsere Absicht ist es, eine bootsgängige Passage von der Weißen Elster zur Saale zu schaffen", sagt Kunath. Dabei werde auch untersucht, ob Sportboote das fehlende Stück bis zur Saale auf dem Landweg per Bahn zurücklegen können.
Wie auch immer - Kunath ist zuversichtlich, dass Bootstouristen irgendwann von den Leipziger Seen gen Hamburg aufbrechen können. Auf sächsischer Seite wird der erste Schritt Richtung Saale im kommenden Jahr gemacht. Der Lindenauer Hafen, wo die Schiffe auf dem Saale-Elster-Kanal in Leipzig ankommen sollten, wird weitergebaut. Auch dieses Projekt war im Zweiten Weltkrieg gestoppt worden. Anschließend soll der Hafen mit dem Karl-Heine- und dem Saale-Elster-Kanal verbunden werden.
Die Mitglieder des Fördervereins in Sachsen-Anhalt nähern sich mit kleineren Schritten, aber umso größeren Plänen der Elster. Nicht allein die Verbindung zur Saale steht ihnen vor Augen, der Kanal könnte auch Touristen ohne Boot anziehen. Und zwar genau an der Stelle, wo Witfer und Becker im Schatten der Schleusenmauern stehen. "Das alte Schleusenbecken hier ist eine Ruine. Das kann man höchstens noch als Denkmal besichtigen", sagt Witfer. "Aber direkt daneben könnte man ein Schiffshebewerk bauen." Diese Technik, eine Art Fahrstuhl für Boote, sei anderenorts eine Attraktion, die viele Besucher auf dem Landweg anlocke. Und wie realistisch sind die Pläne? "Ich würde nicht daran arbeiten, wenn ich sie für unrealistisch halten würde", sagt Witfer. Aber es werde noch dauern. "Wenn wir in zehn Jahren eine Verbindung zur Saale hätten, wäre das wahnsinnig gut. Und wenn es in 20 Jahren klappt, ist das immer noch gut."