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Jodeln im Harz Jodeln im Harz: In Altenbrak wird seit 65 Jahren der Jodlerwettstreit ausgetragen

Von Julius Lukas 02.09.2017, 04:00
Martina Weber und Andreas Knopf haben probiert, MZ-Autor Julius Lukas (Mitte) Jodeln beizubringen. Wie sich zeigte, ein hoffnungsloser Fall. Mit dem Akkordeon klappt es dafür recht gut.
Martina Weber und Andreas Knopf haben probiert, MZ-Autor Julius Lukas (Mitte) Jodeln beizubringen. Wie sich zeigte, ein hoffnungsloser Fall. Mit dem Akkordeon klappt es dafür recht gut. Stedtler

Altenbrak - Ein bisschen klingt es so, als würde ich eine Katze würgen. Das Geräusch, das meinen Mund verlässt, pendelt zwischen quietschendem Gurgeln und knarzigem Krächzen. Melodisch, wohlklingend? Fehlanzeige! Dabei sollte das, was ich da von mir gebe, doch Kunst sein. Jodelkunst. Davon allerdings bin ich so weit entfernt, wie eine Bach-Kantate vom Ballermann-Hit.

Die Katze im Schwitzkasten entfährt mir während eines Selbstversuches, bei dem ich probiere, Jodeln zu lernen. Allerdings nicht das klischeehafte mit Alphörnern und schneebedeckten Bergen im Hintergrund. Sondern eine besondere Form. Das Harzer Jodeln. Mein Lehrer heißt Andreas Knopf. Und angesichts der Laute, die ich da von mir gebe, schaut er wie ein Sterne-Koch, dem man Dosenravioli serviert hat: Zwischen angewidert und schmerzgeplagt.

Knopf ist Jodelmeister. Der Jodelmeister schlechthin. Im Sportsprech würde man sagen, Knopf ist der FC Bayern München des Jodelns. Bei Wettkämpfen hat er bereits 40 Titel ersungen. Und das mit 43 Jahren. Wenn es einen Menschen gibt, der mir zu meinem Jodeldiplom verhelfen kann, dann ist es wohl Andreas Knopf.

Verabredet haben wir uns in Altenbrak, einem malerischen Örtchen im Harzer Bodetal. 330 Menschen leben hier. Einer davon ist Knopf. Er betreibt im Dorfe eine Pension, die - wie sollte es anders sein - „Zum Harzer Jodlermeister“ heißt.

Jodlerwettstreit in Altenbrak hat lange Tradition

Allerdings treffen wir uns nicht dort, sondern an der Waldbühne am Rande von Altenbrak. Wie ein Amphitheater ist sie in den dichten Fichtenwald gehauen. Ein legendärer Ort - mindestens in der Welt des Jodelns. Denn einmal im Jahr wird die Waldbühne zum Mekka der Jodelfreunde. Dann findet hier der Harzer Jodlerwettstreit statt. Am Sonntag ist es wieder soweit - zum mittlerweile 65. Mal. Viel mehr Jodel-Tradition geht nicht.

Mein Weg zum Diplom beginnt allerdings wie jeder gute Lehrgang mit Theorie. Dafür hat Andreas Knopf seine Gesangspartnerin Martina Weber mitgebracht. Als Duo bestreiten die beiden hunderte Auftritte im Jahr. Im Repertoire haben sie viel Harzer Folklore mit kräftigen Jodel-Einlagen.#textline

„Das Jodeln“, erklärt Weber, die als Grundschullehrerin arbeitet, „wird durch einen Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme erzeugt.“ Diese beiden Stimmtypen unterscheiden sich in der Höhe, mit der gesungen wird. Die Bruststimme ist tief, die Kopfstimme, auch Falsett genannt, hoch. Was gerade genutzt wird, hängt maßgeblich vom Kehlkopf ab. „Ist der Kehlkopf unten, singt man tief, ist er oben, singt man hoch“, sagt Weber.

„Holadihi“ gefolgt von „Holadihos“ und „Holadihüs“

Diese zwei Dimensionen selber kennen zu lernen, ist ganz einfach. Man muss nur einen Ton summen, meist geschieht das automatisch in der tieferen Bruststimme. Wechselt man nun in eine höhere Tonlage und hält dabei die Hand an den Hals, merkt man, wie der Kehlkopf nach oben hüpft. Dieser Wechsel wird beim Jodeln auch Über- oder Umschlag genannt. Er ist die wichtigste Bewegung des Sing-Sports.

Mit dem Hin-und-her-Hopsen des Kehlkopfes ist es allerdings längst nicht getan. „Das muss natürlich sehr kunstvoll geschehen“, sagt Andreas Knopf und geht nahtlos in den Praxis-Teil über. Er donnert ein kräftiges „Holadihi“ gefolgt von mehreren „Holadihos“ und „Holadihüs“ ins Waldbühnen-Rund. Sein Kehlkopf überschlägt sich fast dabei.

Jodeln ist Akrobatik für den Kehlkopf

Als er fertig ist, schaut Knopf herausfordernd zu mir. Und ich nehme an. „Holadi …“ - schon nach den ersten Silben bleibe ich hängen. So schwierig ist der Text eigentlich nicht, doch ich versage. Und während die Jodeleinlage von Knopf wie der machtvolle Schrei eines indigenen Stammeshäuptlings klang, machen meine drei Silben nicht einmal einer Hyäne mit Halsweh Konkurrenz. Und als wäre es der Schmach nicht schon genug, setzt Knopf noch einen oben drauf: „Jodeln“, sagt er, „kann man nicht lernen, man muss es können.“

Ich bin frustriert, aber auch etwas erleichtert. Denn nun habe ich eine gute Begründung für mein Scheitern: Die Natur hat mich schlicht nicht mit einem Jodel-Talent gesegnet. Das Schicksal kann so grausam sein!

Allerdings habe ich die Rechnung ohne Martina Weber und Andreas Knopf gemacht. So schnell geben mich die beiden nicht auf. Sie nehmen Gitarre und Akkordeon zur Hand - typische Begleitinstrumente der Jodelei - und starten Versuch Nummer zwei. Diesmal singen wir gemeinsam: „Lahodi - Lahodii - Lahodiiiiii“. Mit jeder Wiederholung wird die Stimmlage höher. Ich quietsche wie eine schlecht geölte Tür. Dann: Nur noch Krächzen. Mir fehlt der Atem. „Eigentlich sollte die Luft kein Problem sein“, sagt Knopf. Ist sie aber, denke ich.

„Das war doch schon schick“, meint Martina Weber wohlwollend. Ganz Pädagogin schaut sie mich lächelnd an und sagt: „Noch einmal ansetzen.“ Ich muss wirklich so aussehen, als könnte ich Aufmunterung gebrauchen. Doch das gute Zureden wirkt musikalische Wunder. Ich schaffe fünf „Lahodis“ am Stück. Nur mein Kehlkopf schmerzt danach etwas. Ich brauche eine Pause.

Allerdings kommt die ganz gelegen für Theorie-Block Nummer zwei: Jodel-Kunde. Immerhin bin ich in Altenbrak angetreten, um das Harzer Jodeln zu lernen. Doch: Wie unterscheidet sich das von anderen Arten? „Am bekanntesten ist ja sicher das bayerische Jodeln“, sagt Andreas Knopf. „Das klingt sehr melodisch und gleichförmig.“ Die Reihung der Silben werden nicht groß geändert, wodurch es auch etwas langweilig wirkt. Knopf setzt zur akrobatischen Kehlkopf-Kunst auf Bayerisch an: „Diloho - diloho - diloho - diloho - diloho - diloho - diloho.“

Expertenurteil zum Jodelversuch:„Ich habe schon Schlimmeres gehört“

Diese Eintönigkeit sei im Harzer Jodeln nicht zu finden, sagt Knopf. „Das ist vielfältiger, rasanter, mit Rhythmus- und Tonlagenwechseln.“ Für ihn ist es eine brillantere Art, zu jodeln. Und das wird auch von der Forschung bestätigt. Tatsächlich gibt es nämlich eine Untersuchung der Musikethnologin Helen Hahmann zum Jodeln im Harz. Und die Wissenschaftlerin der Uni Halle bescheinigt der Kehlkopfakrobatik unterhalb des Brockens eine ganz eigene Schnelligkeit sowie Variantenreichtum in den Intervallen und der Melodie.

Einen letzten Versuch, die Höhen der Jodelkunst zu erklimmen, unternehme ich noch. Andreas Knopf hängt mir dazu sein Akkordeon um. Das zumindest kenne ich schon. Mein Großvater hat früher immer auf seinem Schifferklavier gespielt. Und ich durfte auch mal darauf klimpern. Entsprechend wohlklingende Melodien entlocke ich nun dem Instrument.

Und das Jodeln - ach lassen wir das. Mit dem Diplom wurde es nichts. Zum Abschied bekomme ich von Andreas Knopf allerdings noch ein Lob mit auf dem Weg: „Ich habe schon Schlimmeres gehört“, sagt der Jodelmeister. Mehr konnte ich wohl nicht erreichen. (mz)