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Innovation aus Thüringen Innovation aus Thüringen: EDM Aerotec baut Ultraleicht-Hubschrauber Coax 2d

Von Steffen Höhne 01.12.2015, 06:05
Anja Ernst führt den Hubschrauberbauer EDM Aerotec. Sie ist eine begeisterte Fliegerin. Am liebsten fliegt sie an der Nordseeküste. Einen Hubschrauber-Schein hat sie allerdings noch nicht gemacht.
Anja Ernst führt den Hubschrauberbauer EDM Aerotec. Sie ist eine begeisterte Fliegerin. Am liebsten fliegt sie an der Nordseeküste. Einen Hubschrauber-Schein hat sie allerdings noch nicht gemacht. Andreas Stedtler Lizenz

Geisleden - Auf den ersten Blick sieht der Coax 2d aus wie ein normaler Helikopter. Auf den zweiten Blick stutzt man. Am Rumpfende fehlt der Heckrotor, dafür besitzt das Fluggerät vier große Rotorblätter. Zwei zur Reserve - oder wie?

Mario Grebenstein steigt ein. Das Cockpit ist übersichtlich: Transponder, Funkgerät, Geschwindigkeitsmesser, Höhenmesser, Steigmesser sind nebeneinander angeordnet. Der Pilot führt einen kurzen Check-up durch, ein 125 PS starker Kolbenmotor bringt den Ultraleicht-Hubschrauber anschließend auf Touren.

Die Rotorblätter beschleunigen auf mehrere hundert Umdrehungen pro Minute. Im Inneren ist davon aber nur wenig zu spüren. Dann hebt das nur knapp 300 Kilogramm schwere Gerät tadellos vom Boden ab. „Wenn man es gelernt hat, fliegt es sich mit dem Doppelrotor einfacher“, sagt Grebenstein. Er bewegt den Steuerknüppel zwischen seinen Beinen sacht, und der Coax 2d schwenkt nach links, schwebt nun in zehn Meter Höhe.

Aus der Vogelperspektive ist die Produktionshalle des Hubschrauberbauers EDM Aerotec gut zu sehen. Diese steht nicht in den Luftfahrt-Hochburgen Hamburg oder München, sondern in Geisleden. Von dem beschaulichen Dorf im Thüringer Eichsfeld aus will der Mittelständler für eine kleine Revolution im deutschen Hubschrauberbau sorgen. Als erstes Unternehmen fertigt EDM einen sogenannten Ultraleicht-Hubschrauber. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal sind die vier Rotorblätter auf zwei gegenläufigen Ebenen. Die übereinander geordnete Koaxialrotoren sparen den Heckrotor, der beim klassischen Helikopter für den Ausgleich des Drehmoments sorgt. Das Systems gibt es seit Jahrzehnten und wurde vor allem bei schweren Hubschraubern in der ehemaligen Sowjetunion eingesetzt. Von dort stammt auch die Idee für den Coax 2d. Ein russischer Konstrukteur entwickelte den leichten Hubschrauber. Dass das Projekt nun seine Marktreife erreicht hat, lag vor allem an dem Unternehmer Engelbert Dreiling und seiner Tochter Anja Ernst.

Vieles von Hand gemacht

Dreiling gründete bereits 1982 in der DDR eine kleine Maschinenbaufirma und baute diese nach der Wende kontinuierlich aus. Vor allem Sondermaschinen für die Lebensmittel- und Verpackungsindustrie werden von der Firma EDM mit 150 Mitarbeitern gefertigt. Im Jahr 2008 machte der Unternehmer seinen Flugschein und infizierte die ganze Familie mit seiner Begeisterung für die Fliegerei. So wurde er auch auf das Helikopterprojekt aufmerksam. EDM sollte zunächst nur Teile liefern. Daraus wurde schnell mehr. „Wir haben uns ziemlich blauäugig in das Geschäft gestürzt“, sagt Ernst, die heute Geschäftsführerin von EDM Aerotec ist. „Zunächst ging es vor allem darum, eine technische Herausforderung zu bewältigen.“ Die Ingenieurskunst von Dreilings Mannschaft war geweckt. Als der Prototyp die ersten Testflüge unternahm, wurden laut Ernst jedoch viele Schwachstellen sichtbar.

Also gingen die Ingenieure wieder an die Arbeit, die Firma EDM Aerotec wurde gegründet, Flugzeugmechaniker und Konstrukteure wurden eingestellt. „Unser Vorteil ist, dass wir alles im Haus selbst entwickeln und auch bauen“, sagt Ernst. So werde etwa die Rotorwelle selbst gedreht.

Eine der größten Herausforderungen ist nach Worten von Ernst gewesen, den Helikopter so leicht zu bauen. Die Geisledener setzten daher auf Kohlefasern. Der komplette Rumpf und die Rotorblätter sind aus Carbon. Bei EDM hatte allerdings niemand Erfahrung mit dem sehr leichten Werkstoff. Dort, wo Konzerne nun teure Entwicklungsabteilungen aufbauen oder Zulieferer engagieren, setzte EDM auf „einfach ausprobieren“. In einem kleinen Raum in der neu gebauten Produktionshalle schneiden Mitarbeiterinnen Kohlefasermatten zu. Höchste Präzision ist nötig. „Aus 140 Lagen besteht ein Rotorblatt“, sagt Ernst. Drei Stunden würden benötigt, bis ein Rotorblatt in der selbstgebauten Form gelegt ist. Nebenan in der Halle montieren Mechaniker den Rotor - alles von Hand. 20 Mitarbeiter beschäftigt die Firma. Bis auf den Motor und die Kabine werde alles selbst hergestellt, so die 39-Jährige. EDM Aerotec kann man sich als große Manufaktur vorstellen. Nur werden hier keine Gläser geblasen oder Nussknacker geschnitzt - sondern Hubschrauber gebaut.

Zulassung steht noch aus

Insgesamt drei fertige Coax 2d fliegen bereits - allerdings nur mit Sondergenehmigung. Denn die Zulassung des neuartigen Helikopters steht noch aus. Das Problem: Für sogenannte Ultraleicht-Hubschrauber bis 450 Kilogramm (inklusive zwei Personen) gibt es noch keine Zulassungsvorschrift. Diese muss erst von den Behörden erlassen werden. „Wir haben alle Unterlagen eingereicht und warten jetzt auf die Zulassung“, sagt Ernst. Doch dies dauert. Für das kleine Unternehmen ist es ein finanzieller Kraftakt. Die Mitarbeiter arbeiten daher auch bei der Mutterfirma im Maschinenbau. Die Firmenchefin hofft, dass die Zulassung im Frühjahr 2016 erfolgt.

Interessenten für den Coax 2d gibt es bereits. Mit einem Preis von rund 230 000 Euro soll er deutlich günstiger sein als alle anderen Modelle auf dem Markt. Bisher liegen die Einstiegspreise bei 300 000 bis 400 000 Euro, größere Helikopter kosten Millionen. Mit Airbus Helicopters gibt es ohnehin nur einen größeren Hubschrauber-Produzenten in Deutschland.

Als Kunden will Ernst zunächst flugbegeisterte Privatpersonen gewinnen. Mit einer Reisegeschwindigkeit von 150 Kilometern pro Stunde und einer Reichweite von 400 Kilometern eignet sich der Helikopter ohnehin nicht für weite Flüge. Auf der Kurzstrecke, etwa zur Waldbrand-Überwachung, könnte er aber seine Stärken ausspielen. Die EDM-Aerotech-Chefin ist jedenfalls optimistisch, dass in einigen Jahren viele Coax 2d über Mitteldeutschland kreisen werden. (mz)

Pilot Mario Grebenstein hat schon viele Testflüge absolviert. Die Steuerung ist einfacher als bei herkömmlichen Helikoptern.
Pilot Mario Grebenstein hat schon viele Testflüge absolviert. Die Steuerung ist einfacher als bei herkömmlichen Helikoptern.
Andreas Stedtler Lizenz
Das Cockpit des Coax 2d ist eher spartanisch eingerichtet. Der Helikopter besitzt allerdings alle wichtigen Bordinstrumente.
Das Cockpit des Coax 2d ist eher spartanisch eingerichtet. Der Helikopter besitzt allerdings alle wichtigen Bordinstrumente.
Andreas Stedtler Lizenz
In der Montagehalle der Thüringer EDM Aerotec werden die Ultraleicht-Hubschrauber von Hand gebaut.
In der Montagehalle der Thüringer EDM Aerotec werden die Ultraleicht-Hubschrauber von Hand gebaut.
Andreas Stedtler Lizenz