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Immobilienskandal in Leipzig Immobilienskandal in Leipzig: "Absichtliche Unwissenheit"

08.10.2014, 07:13
Leipzig
Leipzig dpa

Leipzig - Die Stadt Leipzig hat seit der Wende im großen Stil Grundstücke und Häuser verkauft, die ihr nicht gehörten. In mehr als 500 Fällen war nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, nach den Eigentümern geforscht worden. Im Zusammenhang mit den Geschäften müssen sich ab morgen drei ehemalige städtische Mitarbeiter und eine Rechtsanwältin vor dem Landgericht Leipzig wegen Untreue verantworten. Der Leipziger Stadtrat René Hobusch (FDP) hat sich intensiv mit der Affäre beschäftigt. Unser Redakteur Alexander Schierholz sprach mit ihm.

Herr Hobusch, vor dem Landgericht beginnt nun die juristische Aufarbeitung der Immobilienverkäufe. Ist die Angelegenheit damit erledigt?

Hobusch: Nein. Denn viele Fälle sind bereits in den 1990er Jahren passiert und damit verjährt. Da wird es gar keine Aufarbeitung mehr geben, fürchte ich.

Welche offenen Fragen bleiben aus Ihrer Sicht?

Hobusch: Die Stadt hat es jahrelang versäumt, nach den Erben der betreffenden Häuser und Grundstücke zu suchen. Die Frage, wie das passieren konnte, ist für mich noch nicht beantwortet. Aber ich fürchte, es wird sich nicht mehr aufklären lassen, warum die Stadt so gehandelt hat.

Die Vorgeschichte: In den 1990er Jahren drohten vielfach ungeklärte Eigentumsverhältnisse, Investitionen in ostdeutschen Städten zu bremsen. Um die Stadtentwicklung voranzutreiben, dürfen Kommunen deshalb seitdem vermeintlich herrenlose Grundstücke und Gebäude verkaufen, wenn die Eigentümer - meist Erbengemeinschaften - partout nicht auffindbar sind. Zuvor muss aber mit vertretbarem Aufwand, so das Gesetz, nach ihnen gesucht werden. Das bedeutet, dass zum Beispiel andere Behörden oder Nachlassgerichte befragt werden müssen, was in Leipzig vielfach unterblieben ist. Kann kein Eigentümer ermittelt werden, muss die Kommune auf Antrag eines Kaufinteressenten einen sogenannten gesetzlichen Vertreter bestellen, in der Regel einen Anwalt. Er ist berechtigt, das Grundstück zu verkaufen. Den Erlös verwahrt die Kommune, bis Erben sich bei ihr melden.

Die Untersuchung: Eine von der Stadt Leipzig eingesetzte Ermittlergruppe kam im Frühjahr zu dem Ergebnis, Verwaltungsmitarbeiter hätten bei den Deals zwar Fehler begangen und gesetzliche Regelungen falsch interpretiert. Es gebe aber weder Hinweise auf Korruption noch auf kriminelle Netzwerke aus Käufern, Anwälten und Rathaus-Beschäftigten.

Die Stadt sagt, im zuständigen Rechtsamt seien damals einfach gesetzliche Regelungen falsch interpretiert worden. Halten Sie das für plausibel?

Hobusch: Nein. Für ein Rechtsamt ist das auch keine Entschuldigung. Dort arbeiten Volljuristen. Mit dem juristischen Handwerkszeug, mit dem sie ausgestattet sein müssten, hätten sie wissen müssen, dass zwingend nach Erben gesucht werden musste.

Sehen Sie ein System hinter den Geschäften?

Hobusch: Das wäre zu viel gesagt. Aber es fällt auf, dass sich bestimmte Namen häufen, sowohl bei den Antragstellern für einen gesetzlichen Vertreter, bei den Käufern als auch bei von der Stadt bestellten Rechtsanwälten, die berechtigt waren, die Grundstücke zu verkaufen. Manchmal gab es sogar Personenidentitäten. Da stellt sich mir schon die Frage, ob jemand die Unwissenheit - vielleicht auch: die absichtliche Unwissenheit - der Verwaltung ausgenutzt hat, um im großen Stil Immobiliengeschäfte zu Lasten der Eigentümer zu machen.

Absichtliche Unwissenheit?

Hobusch: Die zuständigen Mitarbeiter in der Verwaltung haben immer wieder Hinweise auf Fehler erhalten, auch aus dem eigenen Haus, etwa vom Rechnungsprüfungsamt. In anderen Fällen haben Erben bei der Stadt nachgefragt, was mit ihren Grundstücken passiert ist. Aber all das hatte für die Arbeit des Rechtsamtes keine Konsequenzen. Im Gegenteil: Einem Erben, der sich über die „kalte Enteignung“ seines Grundstückes beklagt hat, hat die Stadt sogar mit einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gedroht.

Einem städtischen Bericht zufolge wurden 34 Grundstücke innerhalb eines Jahres zu zum Teil deutlich höheren Preisen weiterveräußert. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Hobusch: Für mich steht da zumindest der Verdacht im Raum, dass in diesen Fällen die Verkehrswertgutachten beim ersten Verkauf bewusst zu niedrig angesetzt wurden. Es lassen sich aber auch 1997 und 1998 jeweils zum Jahresende Häufungen von Fällen feststellen, in denen die Immobilien zügig weiterveräußert wurden, offenbar plus einem Sanierungspaket obendrauf. Da ist zum Beispiel ein Haus erst für 100 000 Euro weggegangen und binnen weniger Monate für das Zehnfache an einen Dritten, also als klassisches Bauträgerobjekt. Es fällt auf, dass in beiden Jahren jeweils die Sonderabschreibungsmöglichkeiten für Denkmalobjekte auslaufen sollten. Da hat jemand genau gewusst, was er tat. (mz)

René Hobusch
René Hobusch
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