1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt
  6. >
  7. Geheimtipps: Im Staub der Zeit - Die 100 besten Lost Places in Ostdeutschland

Geheimtipps Im Staub der Zeit - Die 100 besten Lost Places in Ostdeutschland

In bisher 100 Teilen ist die MZ den Spuren aufgegebener Häuser, Hotels, Bunker und Fabriken nachgegangen. Die Entdeckungen zwischen bröckelndem Putz, verschwundenen Besitzern, Denkmalschutz und Umbauplänen fanden eine große Fangemeinde. Was wurde aus den besuchten Ruinen?

Von Steffen Könau Aktualisiert: 10.06.2023, 00:32
Die Nikolaikirche steht auf der Liste der 100 besten Lost Places in Ostdeutschland. Jetzt wurde die Ruine verkauft.
Die Nikolaikirche steht auf der Liste der 100 besten Lost Places in Ostdeutschland. Jetzt wurde die Ruine verkauft. Foto: Steffen Könau

Halle/Zeitz/Köthen/MZ - Das Ufo ist noch immer da. Geduckt hockt es im Gebüsch, ein Unikum von äußerst eigentümlicher Form. Halb Gewächshaus, halb hypermodernes Labor, so zieht das frühere Spaßbad „Basso“ am Rand von Bad Schmiedeberg bis heute Besucher an.

Sie kommen von weither. Sie kommen, obwohl es verboten ist. Und sie sind keineswegs enttäuscht darüber, dass der einstige Stolz der Dübener Heide nicht nur nicht geöffnet hat, sondern in Trümmern liegt, beschmiert, angezündet, mit zertretenen Türen, zerbrochenen Scheiben und Schwimmbecken, die von oben bis unten vollgesprüht wurden.

Zur Karte mit allen 100 Lost Places: https://bit.ly/heimatkunde

Als "Yellowstone des Saalekreises" wurde die aufgegebene Tongrube bei Roßbach berühmt.
Als "Yellowstone des Saalekreises" wurde die aufgegebene Tongrube bei Roßbach berühmt.
Foto: Steffen Könau

Nein, das „Basso“, vor 30 Jahren als erstes großes Spaßbad der damals noch neuen Bundesländer eröffnet und vor 15 Jahren auch als erstes wieder geschlossen, zieht heute eine besondere Art von Gästen an. Lost-Place-Touristen suchen nicht das Schöne, Herausgeputzte, Gebügelte. Sondern das Gegenteil: Ruinen mit dem Charme des Verfalls.

Plätze, die langsam zurücksinken in den Staub der Zeit. Orte, die Besuchern beim Durchwandern Fragen stellen, was sie einmal waren, wer hier gelebt und gearbeitet hat und welche Verwerfungen dafür gesorgt haben, dass sie nun allmählich dem Vergessen anheimfallen.

Hundert Mal Verfall

Hundert solcher Plätze - hier zur interaktiven Übersichtskarte bei Google Maps - hat die MZ in den zurückliegenden Monaten erkundet, darunter Schlösser und Burgen, Bunker, Fabriken, Kinos, Sporthallen, Freibäder, Hotels und Ferienheime, Privathäuser, Tagebaue und Minen. Manche sind seit Jahrzehnten aufgegeben, andere fielen erst vor kurzen brach. In einigen Fällen sind die Eigentümer zumindest noch bekannt, aber oft nicht erreichbar wie beim altehrwürdigen Hotel „Meves“ in Mägdesprung oder der Pektinfabrik in Egeln bei Magdeburg. Andere Objekte haben – wie alle Immobilien in Deutschland – durchaus einen Besitzer.

Erstes Spaßbad im osten, erstes Spaßbad im Osten, das geschlossen wurde: Das Basso in der Dübener Heide.
Erstes Spaßbad im osten, erstes Spaßbad im Osten, das geschlossen wurde: Das Basso in der Dübener Heide.
Foto: Steffen Könau

Doch wie Alexander D., dem Schlossherren von Hohenthurm,Jürgen Rohrmoser, dem Eigentümer des weit verzweigten Imperiums des Kaolin- und Tonwerkes Salzmünde, oder Karl-Josef T., der die Böllberger Mühle in Halle hatte sanieren wollen, sind sie abgetaucht und selbst für die zuständigen Behörden schwer erreichbar. Riesige Gelände und historische Immobilien wirken dadurch wie herrenlos, im besten Fall Zielorte von Neugierigen, die sich umschauen wollen. (Video: Sowjetbunker im Geiseltal)

Im schlimmsten Fall Objekte der Begierde von Schrotträubern, die wie im Fall des aufgegebenen Ton-Tagebaus in Roßbach, dem "Yellowstone" des Saalekreises mit seinen quietschbunten Seen und Teichen, (Saalekreis) mit schwerem Gerät anrücken und Metall tonnenweise erbeuten – auf Fahrzeugen, die sie vor Ort entdeckten und gleich mitnahmen. Die über das ganze Land verstreuten Niederlassungen des einst größten privaten Bergwerksunternehmens des Landes sind heute vollkommen geplündert. Was nicht niet- und nagelfest war in den Ruinen, haben Besucher mitgehen lassen, von der Arbeitskleidung in den Spinden bis hin zu Werkzeug, Paletten voller Fliesen und Baumaterial. Das Bergamt hat mittlerweile eine Anordnung zu Sicherungsmaßnahmen erlassen, gegen die der Betreiber Klage eingereicht hat.

Die Schleusenruine von Wüsteneutzsch ist einer der Top-100 Lost Places in Ostdeutschland, der jederzeit legal besichtigt werden kann.
Die Schleusenruine von Wüsteneutzsch ist einer der Top-100 Lost Places in Ostdeutschland, der jederzeit legal besichtigt werden kann.
Foto: Steffen Könau

Wie beim Hotel „Meves“ im Harzörtchen Mägdesprung sind die Möglichkeiten begrenzt, die einstürzenden Altbauten zu retten. Marcus Weise, als Bürgermeister von Harzgerode zuständig auch für die vor Jahren halb ausgebrannte Ruine des ehemals besten Hauses am Platze, mühte sich Jahre. Erst vor wenigen Wochen kam endlich ein Zwangsversteigerungsverfahren in Gang, das der Kommune vielleicht irgendwann zum Zugriff auf den Schandfleck verhelfen wird, dessen bedauernswerter Zustand nach Weises Ansicht nur noch einen Abriss erlaubt.

Das "Sportparadies": Kurz vor der Fertigtsellung ging dem Investor das Geld aus.
Das "Sportparadies": Kurz vor der Fertigtsellung ging dem Investor das Geld aus.
Foto: Steffen Könau

Andere verlorene Orte haben in den vergangenen Monaten hingegen neue Hoffnung schöpfen können. Beim Julius-Kühn-Haus in Halle, über Jahrzehnte das Zentrum nicht nur der Landwirtschaftsfakultät der Martin-Luther-Universität, sondern auch des studentischen Lebens, ist inzwischen die Fassade verhängt. Die Uni plant, das 1971 gebaute Haus, das eigentlich einem Parkhaus hatte weichen sollen, zu sanieren und in den neuen Steintor-Campus einzugliedern. „Es laufen bereits die bauvorbereitenden Maßnahmen, der Baustart ist im Laufe des Jahres 2024 geplant“, sagt Uni-Sprecherin Manuela Bank-Zillmann.

Der Riesenschachtisch auf der Peißnitzinsel wurde bereits freigelegt.
Der Riesenschachtisch auf der Peißnitzinsel wurde bereits freigelegt.
Foto: Steffen Könau

Ebenso vor der Rettung, die im Grunde genommen ein Neuaufbau sein wird, steht der ebenfalls aus DDR-Zeiten stammende Freizeitpark auf der Naherholungsinsel Peißnitz. Über Jahrzehnte der Zerstörung preisgegeben, wurden die im Stil der Ostmoderne gearbeiteten Schachtische aus Beton im vergangenen Jahr geborgen, nachdem ein Unwetter die überwachsenen Überbleibsel beschädigt hatte. Die Planung für den „Generationenspielplatz“, den die Stadt auf dem Spielplatzgelände aus den 60er Jahren bauen will, ist nach Ankunft von Sprecher Drago Bock abgeschlossen. „Der Baubeschluss soll im September in den Stadtrat eingebracht werden.“

Das RAW in Halle steht dank großer Pläne vor dem Umbau zu einem neuen Wohngebiet.
Das RAW in Halle steht dank großer Pläne vor dem Umbau zu einem neuen Wohngebiet.
Foto: Steffen Könau

Bereits gebaut wird am ehemaligen Polizeipräsidium in Halle, einem Gebäude mit langer und dunkler Geschichte, das in Kaiserreich, Weimarer Republik, in der Nazizeit, der DDR und in der Bundesrepublik stets als Behördensitz diente. Nach anderthalb Jahrzehnten Leerstand fand sich schließlich ein Investor, der das vom halleschen Stadtbaurat Gustav Zachariae geplante Haus am halleschen Hallmarkt in hochwertige Wohnungen verwandelt. Auch das Gelände des VEB Gravo Druck in Halle hat nach Jahren steten Verfalls binnen kurzer Zeit sein Gesicht gewechselt. Ein großer Teil der denkmalgeschützten Industrieanlage wurde abgerissen - wie auch das 34 Millionen teure „Sportparadies“ in Halle, Ostdeutschlands teuerster und kurzlebigster Lost Place. Der Rest entsteht als moderne Wohnanlage neu.

Wohl für alle Zeiten verloren: Das ehemalige Buna-Klubhaus X50 in Schkopau steht seit dem Stopp der Sanierung wegen zurückgerufener Fördermittel leer und verfällt.
Wohl für alle Zeiten verloren: Das ehemalige Buna-Klubhaus X50 in Schkopau steht seit dem Stopp der Sanierung wegen zurückgerufener Fördermittel leer und verfällt.
Foto: Steffen Könau

Auch an der Böllberger Mühle am Saaleufer in Halle, einst das Herz des Imperiums des Großunternehmers Louis Hildebrand, tut sich etwas. Einen großen Teil des Geländes hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft GWG bereits in ihr Neubaugebiet „Am Mühlwerder“ integriert. Nur das hochaufragende Hauptgebäude der vor mehr als 100 Jahren erbauten und vor 30 Jahren ausgebrannten Industrieanlage ist nach wie vor durch einen unmarkierten Elektrozaun gesichert. Lebensgefahr aber besteht auf dem meist weit offenstehenden Gelände nicht. Es handele sich bei der Sicherungsmaßnahme nur um einen Weidezaun, der ohne Genehmigung zulässig sei, heißt es bei der Stadtverwaltung.

Das Polizeipräsidium innen: Damals einer der geheimnisvollsten Lost Places in Ostdeutschland.
Das Polizeipräsidium innen: Damals einer der geheimnisvollsten Lost Places in Ostdeutschland.
Foto: Steffen Könau

Vor lebensgefährlichen Zustanden an Lost Places warnen deren Eigentümer und Verwalter ohnehin meist vergebens. Ob auf der nie beendeten Baustelle des größten DDR-Kernkraftwerks in Arneburg oder am Ferienheim „Fritz Heckert“ in Gernrode, auf dem Militärflugplatz in Köthen oder im Wald bei Jüterbog, in dem sich Überreste von 150 Jahren militärischer Nutzung erhalten haben: Neugierige finden immer einen Weg durch die löchrigen Zäune und vorbei an den oft kaum lesbaren Warnschildern. Für sie ist die Suche nach vergessenen Plätzen ein Abenteuer, das belohnt wird mit eindrucksvollen Fotos, die zeigen, was mit Menschenwerk geschieht, wenn kein Mensch mehr sich darum kümmert.

Das mehr als 100 Jahre alte Polizeipräsidium in Halle wird derzeit zu einem Appartmenthaus umgebaut.
Das mehr als 100 Jahre alte Polizeipräsidium in Halle wird derzeit zu einem Appartmenthaus umgebaut.
Foto: Steffen Könau

Die Sorgen der Besitzer

Für Menschen wie den Dachdeckermeister Thomas Grüber aus Rottleberode oder den Unternehmer Daniel F. Schüssler aber bedeuten die verlorenen Orte Kosten, Knatsch und Ärger. Trotz Videoüberwachung, fester Zäune und zugenagelter Türen dringen Neugierige dorthin vor, wo besonders spektakuläre Entdeckungen vermutet werden. Mit der Pandemiezeit hat sich die Szene überdies verändert. Galt unter den Ruinenbegeisterten, die sich nach dem englischen Begriff für Stadterkundung „Urban Explorer“ Urbexer nennen, das Motto „Hinterlasse nichts als Fußspuren und nimm nichts mit außer Bilder“, geht es heute oft um Erinnerungsstücke, um Partys oder das wilde Besprühen der Wände.

Das für fast 35 Millionen Euro errichtete "Sportparadies" wurde abgerissen, derzeit ist dort eine große Freifläche zu besichtigen.
Das für fast 35 Millionen Euro errichtete "Sportparadies" wurde abgerissen, derzeit ist dort eine große Freifläche zu besichtigen.
Foto: Steffen Könau

Immer wieder kommt es zu Bränden. Die Malzfabrik in Köthen und der Schlachthof von Halle fielen den Flammen zuletzt zum Opfer. Lange vorher waren schon das frühere FDGB-Heim „Hermann Duncker“ in Schierke, die Böllberger Mühle, das Ferienheim der Draht- und Seilwerke Rothenburg auf der Harzer Viktorshöhe und die Kirche St. Nikolai in Zeitz ausgebrannt.

Die als "Stasi-Sternwarte" missverstandene Privatsternwarte im Saalekreis.
Die als "Stasi-Sternwarte" missverstandene Privatsternwarte im Saalekreis.
Foto: Steffen Könau

So lange aber noch eine Mauer steht, gibt es Hoffnung. So wurde die Nikolaikirche, wegen statischer Probleme bereits vor 40 Jahren aufgegeben, gerade versteigert. Für 27.000 Euro sicherte sich der neue Eigentümer die Ruine, die in der Szene Kultstatus genießt. Ebenso wie das als „Henriette“ bekannte Schloss Helmsdorf im Saalekreis, das zu DDR-Zeiten als Pflegeheim diente und zum Bedauern der früheren Besitzer später von der Treuhand an neue Besitzer verkauft wurde, die „nur Interesse hatten, hier Holz zu schlagen“, wie einer der Nachfahren der früheren Schlossherren sagt.

Gravo Druck vor Teilabriss und Umbau.
Gravo Druck vor Teilabriss und Umbau.
Foto: Steffen Könau

Heute kümmert sich ein Verein um das frühe Meisterstück des Architekten Paul Schultze-Naumburg, es werden Vorträge organisiert, Besichtigungen und Kinonächte. Obwohl das von Urbexern auf den Namen „Henriette“ getaufte Schloss nun kein Lost Place mehr sei, heißt es beim Verein, müsse niemand auf dieses Stück mitteldeutsche Geschichte verzichten. Im Gegenteil: Führungen gibt es nun ganz offiziell.

Der VEB Gravo Druck wird umgebaut.
Der VEB Gravo Druck wird umgebaut.
Foto: Steffen Könau

Zerschlagen haben sich derweil andere hochfliegende Pläne. So wird die Lederwarenfabrik im Süden von Halle keine neue Heimat für die Disko „Schorre“. Zu teuer, zu schadstoffbelastet.

Anmeldungen für Henriette: www.schloss-henriette.de

Ebenso womöglich bereits für immer aufgegeben ist das frühere Buna-Klubhaus X 50 in Schkopau, das längst nicht einmal mehr symbolisch gesichert wird. Der Wind weht durch glaslose Fenster. Der Regen peitscht durchs Dach. Noch steht der Riese zwischen Bundesstraße und Buna-Werk. Aber ein Retter ist nicht in Sicht.

Aktuell werden im Übrigen geschichtsträchtigen Gebäude oder Orte von der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt gesammelt und aufbereitet, um sie auf einer weiteren digitalen Landkarte im Internet zu veröffentlichen.

Zeitzeugen, Schulen, Heimatvereine und alle Menschen, die sich für die Geschichte ihrer Heimatregion interessieren, sind aufgerufen, über einen in Vergessenheit geratenen Lost Place zu berichten. Das Land Sachsen‑Anhalt unterstützt dieses Projekt laut eigenen Angaben im Jahr 2024 finanziell mit 10.000 Euro.